Körper: Ein Handbuch.
Ricardo Domeneck
Übersetzungen von Odile
Kennel
Edition Polyphon
Verlagshaus J. Frank | Berlin
Edition Polyphon | Quartheft 39
Körper: Ein Handbuch.
Ricardo Domeneck
Übersetzungen von Odile
Kennel
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#
13 Hoch lebe die reine Poesie 15 Körper
18 X + Y: eine Ode 27 Brief des Dichters im Berliner
Winter an einen Freund im Sommer
in São Paulo 30 Bruit Pur Pour Les Brutes
Tauschhandel
mit Sauerstoff
R
34 Kleine Abhandlung über Körperausscheidungen
37 Immerzu Exil 41 Dérive betreiben auf der Strecke
Charlottenburg–Mitte, Berlin, 5. Oktober 2011
46 Sechs offensichtliche Lieder
53 Fremde Füße an meinem Gesäß
57 Von der Übersetzung als erotische Übung
Bleib
TREIBGUT
+
60 Reiseanleitung für alle vier Himmelsrichtungen
64 Der verwirrte Kartograph oder Notizen am Ufer des Tejo
66 Der Akkordeonist vor der Brüsseler Kathedrale
68 Text, in dem der Dichter sich veranlasst fühlt, Jannis Birsner
in Zürich genau das zu sagen, was Frank O’Hara Vincent
Warren in New York sagen wollte 71 Touristisches RundumPaket für den Wanst des Wales
73 Treuhandvermögen
Odysseische
Gymnastik
S
76 Lasst mich vortragen, was Geschichte lehrt
80 Text, in dem der Dichter als Tourist in Budapest über
das unmögliche Entkommen der Geschichte meditiert
84 Ísis Dias de Oliveira (1941–?)
Liebe,eine Frage
der Hydraulik
V
88 Text, in dem der Dichter den Liebhaber feiert,
der fünfundzwanzig wird 90 Kartographie der Decke in einem
Doppelbett 93 Wiegenlied für einen tauben Liebhaber
95 Brief an Antinoos 97 Wie komisch endete, was uns episch
erschien 100 Dem, der die Mauern möglicherweise wieder
aufbauen und die Zitadelle wieder bevölkern könnte
Hollywoodträume
des Dichters
N
104 Hollywoodträume des Dichters 107 Text, in dem der Dichter von
Maria Schneiders Tod überrascht wird, bei dem es sich offenbar um
eine Synekdoche handelt, von welcher der Dichter jedoch die Grenze
zwischen pars und toto nicht erfasst. 112 Verse, die davon handeln,
dass sie geschrieben wurden, als der Dichter mit kaputtem Kreuz beim
Frühstück saß 115 Text, in dem der Dichter über das Ende seines
Wiedererinnerns meditiert, gleichwohl ein möglicher Mythos ihn nicht
hinwegtröstet über „The End“ in seiner Geschichte
120 Nachwort von Odile Kennel
X + Y: eine Ode
An refert, ubi et in qua arrigas?
(Für mich ergibt es keinen Unterschied,
wer dir wann eine Erektion besorgte)
Wär ich als Frau
geboren, ich hätte
schon sieben Kinder
zur Welt gebracht von neun
ganz unterschiedlichen Männern.
Nun aber vertreib ich mir
die Zeit mit Theorien
die meine Vorliebe erklären
für gewisse Gerüche
für die Verteilung von Haaren
an fremden Beinen
am Nacken, für eine Brust
bar jeglicher Brüste
obwohl ich die Milchdrüsen
schätze von Jünglingen und Knaben
mit dieser in meinen Augen
äußerst gesunden
Dosis Hypertrophie.
Ich meditiere über therapeutische
Thesen, über Berichte
von einer gespaltenen Persona
eines abgezehrten
Ödipus ohne Vorbild
in der Kindheit
ohne idealen, legendären Laios
18
Sueton
und mach mich bei Liebhabern
auf die mutmaßliche
Suche nach mir selbst.
Ich hab mehrere Tage vergeblich
versucht, mir vor dem Spiegel
eine Erektion zu induziern.
Und schloss daraus: Mein Ego
ist nicht besonders erektil.
Hab mir aufmerksam
die Formel angehört
von abwesenden Vätern
dominanten Müttern
die träge, schräge
Kreuz-, Karo- und Pikdamen
generiern, doch ungeachtet der Historie ­—
Erzeugerin hysterisch
Kindsvater stoisch —
verzerren meine Brüder, diese klaren
Kavaliere der Klitoris
die Statistik.
Ich hab alle Artikel gelesen
über queerness in der Boutique
des genetischen Codes, dieser Kirmes
für Buhlverwandtschaften
und lachte, als der Freund
mich scherzhaft biologischer
Dispositiv nannte einer gestressten
Natur im Kampf
gegen Überbevölkerung.
Zu behaupten
Furcht und Zittern
vor der Hölle gälte für mich nicht
wäre allerdings gelogen.
19
Alles in allem kam ich
zu dem Schluss
dass mein one way ticket
zum Hades
nicht alleinige Folge
der durchaus versessenen
Neigung meiner Geschlechtsorgane
zum heterogenen Charakter
eurer Keimzellen ist.
Wär ich als Weibchen
geboren, ich hätte schon elf
Jungen zur Welt gebracht
von dreizehn durchaus
verschiedenen Männchen
und bei keiner einzigen
Hure, beglaubigen
Vatikan und Hollywood
weiß man von einer Himmelfahrt
immer nur vom Fall.
Folglich verfolge ich
Lyriker, Luder, Lustknabenverkoster
alle Träger dieser prächtigen
Chromosomenkombination
X und Y
mit dem Blick, ganz gleich, ob
Alex oder Absalom
mit ihrem wohl proportionierten
Abstand zwischen den Öffnungen
des Schädels, der Linie, die zwischen
Ohren und Schultern sich bildet
den Flügeln der Schulterblätter
den Rotatorenmanschetten, der äußert
unbeständigen Symmetrie zwischen
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erregenden und erregbaren
Extremitäten wie
Nase, Penis, Finger
der Zahl ihrer Haare
zwischen Nabel und Scham
der Form ihrer Zähne, die sich diametral
in den Fußnägeln spiegelt.
Ob sie gehen wie sie essen,
ob sie gähnen wie sie lachen,
ob sie trinken wie sie husten,
ob sie’s treiben wie sie tanzen?
An einigen ist nichts
Geheimnisvolles, die berühmte
Lüge gewisser
Protagonistinnen der Literatur
des 19. Jahrhunderts
liegt ihnen nicht.
Rätselhaft an ihnen ist nur
die gelegentliche Erektion
im unpassenden Moment.
Solche Geständnisse
machen mich verlegen
doch würd ich für manchen
Beckenkamm, den ich an Stränden
in der Sonne sah, auf Bürgerrechte
verzichten, und für den einen
oder anderen Nacken
diesen Winter auf die Wahl.
Und schau mal, der Planet besteht
auf der empirischen Demonstration
von muskulärem Überfluss
und seinem Kremasterreflex:
Just im Moment, in dem ich dieses
21
Von der Übersetzung
ALS erotische Übung
Ich übersetze die Texte des hübschen
Dichters, als glättete ich seine Beine
ermäße erregt seine Muskeln mit
Augen und Fingern, seinen knackigen
Stil, der nur die Erweiterung seines
knackigen Hinterns ist, die Straffheit
der Metonymien, die Hände auf der Brust
seiner Metaphern, das bodenlose „o“
in „Loch“, das nicht verraten werden will
das i-Tüpfelchen im Spritzen des ersten
Tröpfchens, phallisch forsch ich, und stoß
ich auf ’nen wit in seiner, meiner Sprache
häng ich wortwörtlich an seiner spitzen
Zunge, der neue Text, der wächst, wäre
das Gör, das, gottverdammt, ich nicht
gebären kann, die Spannung seines Textes
gleicht der Erektion, wenn ich am Ende
seinen, meinen Punkt erreiche, ich frage
mich, an seiner Übersetzung sitzend, ob
er, meilenweit weg, es spürt, wie ich
durch unsere Zwiesprache tiefer in ihn
dringe, niemals glich Texte übertragen
so sehr einer Transplantation von Haut
war Übersetzung so bi- und anilingual.
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Reiseanleitung FÜR alle vier
Himmelsrichtungen
Wohin
ist nicht wichtig. Feiertag heute
in Berlin, morgen
anderswo, der Wind
kappt jedes Haar
das den Lidsaum
ziert, und meine Reaktion
auf die Temperatur
ist die einzige
Konstante in meiner privaten
Gleichung für Geschichte.
Wann
ist nicht wichtig. Auf einem beliebigen
Boden kniend, grabe ich
behutsam, bei jedem Schritt
eine mögliche Gruft
ein Massengrab.
Mit den Lippen
schwebe ich über Kaffeetassen
oder Weingläsern, es ist meine
Entscheidung, ob ich wie ein Hund
leide oder nicht
an der langsamen
Gerinnung einer verschütteten
Sangria.
60
Wer
ist nicht wichtig. Auf einer Chaussee
in São Paulo oder Kinshasa
einzig Gedichte
von Toten zur Gesellschaft
als seien sie
Sauerstoffmasken
mit Schläuchen ins
Nichts, kartographiert
unter einer beliebigen
eingebildeten Sonne
schreite ich
weiter, schreibe
Verträge fort, Pleiten.
Wer reisen will in alle vier
Himmelsrichtungen, auf allen Vieren
oder mit dem Wagen muss
die Selbstviertelung akzeptieren.
Wie
ist nicht wichtig. Das Licht
fragt die im Dunkeln
Lebenden nicht
nach seiner Quelle.
Herrscht Stau in der Kehle
und reißen die Lippen
hilft kein
Immunsystem
gegen die Erben
des Eros oder Herodes
diese erhabenen Raubtiere.
61
Nein, es ist nicht
wichtig. Ich weiß, bin
eher Schleimaal
als Seegurke
ach, könnte ich nur
ein paar zur Verstellung
entbehrliche Organe
abstoßen, um nicht gefressen zu werden
wie auf einem Maskenball
an einem Freitag den dreizehnten
in irgendeinem Horrorfilm.
Mein Fluchtplan sah nicht vor
mich auszuweiden, sondern
mich zu vertreiben
aus deinen Eingeweiden.
Ich hätte dir gern kleine
Stücke oder Überbleibsel
von mir selbst vermacht
Tupperschüsseln
mit Widmungen wie:
“Dem ehrwürdigen Monsignore
der die Luft drosselt
die ich in seiner Umgebung verschwende
meine liebevollen
disjecta membra.”
Mein höchstpersönlicher
Jack the ripper, stampfst
wie ein Pferd auf meinem
Schädel herum, als sei er
aus Schotter, bleib
auf immer und ewig
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in der oberen Etage
meiner Nahrungskette, während ich
überaus Ergebene, sie stütze für dich
mit meinen Schultern
und anderen Teilen
meiner erneuerbaren
Anatomie.
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126
Os pés alheios nos próprios glúteos
Ninguém
espera de Medeia
que engula,
digestório, o brio feito broa
se o kit-sobrevivência
dita, às vezes, vingança:
direciona a proa
do orgulho
à jusante
das consequências para Jasão
& que claudique
Gláucia,
furunculose
na fuselagem
do meu ego
fusível,
sem eco
e sindicato.
Até eu, Brutus,
não saberia sem dúvida
o que Arthur
diria, nestes dias
de infidelidade
partidária, de Guinevere.
Não me importa
portanto a balança
torrencial deste
déficit
ou se
o senhor promotor
ousa
proferir a sentença de sucesso
na condenação,
num processo em prol de Troia,
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das árvores usadas para o cavalo
de seu calvário.
Quando se trata
de réu, traia
quem se toma por troféu.
Não
conheço quem indique
onde assino que aceito
o ponto de combustão
do meu empalhamento
ou o ângulo que auxilie
a gota-d´água
à véspera
de transbordamento e queda.
Vamos, não choramingo ao fogo
que me poupe escamas
ou não me lamba o estofo:
descalço, não
hei-de sentir descaso nas bolhas
que separam, com pus,
as solas da brasa,
a derme das cinzas:
que me arda
até que me extinga *eu, mucosa
hidratada
a sal de Ló,
ensinaria a arte
da perda em loterias
como hábito e destino,
e discursaria
algo sobre a solitude, ser o
terceiro ornitorrinco
de contrabando
em qualquer arca
de um Noé distraído.
Isto sim one art.
49
Da tradução como exercício erótico
Traduzo os textos do poeta bonito
e é como se eu alisasse suas pernas,
erotizado medisse os seus músculos
com os olhos e as mãos, a carnadura
do seu estilo na extensão de sua carne
dura, rija, o tesão de suas metonímias,
as palmas no tórax de suas metáforas,
o vazio de um “o” como o orifício
que não se quer trair, o pingo do “i”
como a primeira gotícula que jorra,
falo, brusco, e quando eu encontro
a wit, equivalente em meu idioma
à sua, é como se um beijo de língua
misturasse a sua saliva à minha, e o
texto novo que nasce fosse o filho
que não posso, puta, parir-lhe, tesura
de sua escrita só equiparada à ereção
que me habita a cada vez que atinjo
um ponto final seu, meu, e pergunto,
enquanto a milhares de quilômetros
o traduzo, se ele sente como penetro
por sua linguagem sua língua, nunca
antes verter textos fora tal transplante
de pele, ou a tradução esta anilíngua.
50
51
110
Texto em que o poeta medita sobre
o fim dos recomeços de sua memória
ainda que um possível mito não o
console pelo “The End” em sua história
Que tragédia poderia me catapultar
ao lendário? Às legendas e os créditos
de um cartaz qualquer, talvez um filme
chamado Todo Domeneck será castigado?
Qual fim em glamour haveria de render
o direito às biografias não-autorizadas?
Se a Rimbaud custou-lhe uma perna,
e a O´Hara a morte como cão n´areia;
a Pasolini como lixo em terreno baldio,
e a Faustino ir aos pedaços nos Andes;
os melhores partiram deste mundo
como cães, ratos: cegos, sós e sujos,
e você espera, Ricardo, um fim melhor,
como feliz em colo de embalo ao mar?
Quem me dera um dia algum Gênio
da lâmpada me concedesse prorrogar,
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indefinida, minha data de expiração,
e eu jamais visse aquilo que viu Rosa
de Luxemburgo a quinze de janeiro
de 1919. Mas somos todos Jonas,
a cada um sua baleia tão particular,
reservada, numerada e etiquetada;
a nós se reserva sempre o Nekuia,
como se entre a 00:01 e as 23:59
fosse tão-somente possível assoviar,
segundo a segundo, o “Kyrie Eleison”,
desconhecendo melodia, ritmo e tom.
Por isso eu cantarolo meu “Hallelujah”
como se eu fosse um Leonard Cohen
com o corpo e a voz de Jeff Buckley,
goleiro que sussurrasse “toda morte
é súbita” perante cada penalidade,
e por fim perguntarei, entre árias,
“Meu querido, what are years?”
112
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