Potentiell gefährliche Schriften. Überlegungen bezüglich der kastilianischen
Übersetzungen der Os Lusíadas in der Zeit der Iberischen Union
VANDA ANASTÁCIO
Für Cleonice Berardinelli
In dem Text „Vida de Luís de Camões“ die Manuel Severim de Faria im Jahre
1624 in seinen Discursos Vários Políticos1 veröffentlichen liess, findet sich eine
entzückende kleine Geschichte, die ich hier in Erinnerung rufen möchte:
[...] berichten viele Edelmänner dieser Zeit, dass König D. Filipe, der
Vorsichtige, als er den Thron dieses Königreichs bestieg und in Lissabon
einzog eine Depesche an Luís de Camões schicken liess &, nachdem er von
dessen Ableben erfahren hatte, seinen Kummer hierüber kund tat, da er ihn
seines Ruhmes wegen hatte sehen & ihn hatte auszeichnen wollen2.
Diese Geschichte von König D. Filipe, der, überwältigt vom Ruhm des lusitanischen
Poeten, mit dem Wunsch in Portugal einzieht, ihn zu sehen um sodann seinen Kummer
darüber zum Ausdruck zu bringen, dass ein Kennenlernen unmöglich war, wurde von
den
Geschichtsschreibern
verschiedener
Epochen
beidseits
der
Landesgrenze
ausführlich zitiert3. Sie wird zum Beweis für die unangreifbare Qualität der Os Lusíadas
(einziges Werk Camões’, das zum Zeitpunkt der Ankunft Filipes II in Lissabon verlegt
worden war) angeführt, aber auch zum Beweis für den aufsehenderregenden Erfolg, den
dieses epische Gedicht in Spanien ab dem Zeitpunkt seines dortigen Erscheinens
1
DISCVRSOS / VARIOS / POLITICOS / POR MANOEL SEVERIM DE FARIA / Chantre & Conego
in Santa Sê de Euora. / Com as licenças necessarias /EM ÉVORA Impressos por Manoel Cavalho /
Impressor da Vnivesidade, Anno 1624.
2
Manoel Severim de Faria (1624): „Vida de Luís de Camões, com hum particular juizo sobre as partes,
que hade ter o Poema heroico, et como o Poet aas guardou todas nos seus Lusiadas“ Op. Cit., S. 125 ff.
3
Sie wird, u. a., von Manuel Faria e Sousa in dessen Edition Os Lusíadas vom Jahre 1639 erwähnt, von
Nicolás António in Bibliotheca Hispana Nova sive Hispanorum scriptorum, Madrid, Joaquín de Ibarra,
1783-1788, von Francisco de Santa Maria, Anno Histórico, Vol. II, Lissabon, off. Domingos Gonçalves,
1744, S.329 (es existiert eine Veröffentlichung aus dem Jahre 1714) erwähnt, und Teófilo Braga kleidet
die nationalistische Interpretation der Fakten, ein in seiner Zeit geläufiges Erbe der autonomistischen
Propaganda der Restauration in seinem Werk “Um Soneto de Camões glosado por Philippe II”, Lissabon,
Livraria A. Ferin, 1889, S.5, in Worte: “Dank einer Widmung von Faria e Sousa in der Edition der
“Lusíadas” von 1639 ist allgemein bekannt, dass Philippe II, als er in Portugal einreiste, CAMÕES sehen
wollte; glücklicherweise für den Poeten bewahrte ihn der Tod vor einer derart zweifelhaften Ehrerbietung
[...]”; desweiteren wird sie von Eugénio Asensio in dessen Werk “España en la épica portuguesa del
tiempo de los Felipes (1580-1640)”, in Estúdios Portugueses, Paris, F. Gulbenkian, Centre Culturel
Portugais, 1974, Seiten 303-484, erwähnt.
© Vanda Anastácio
1
erfuhr4, sowie für die Liebe des Sohnes Karls V nicht nur zur Poesie, sondern auch zu
Portugal, zur portugiesischen Literatur und deren herausragende Figur, Luís de Camões.
Trotz der leidenschaftlichen Bekundungen patriotischer Gefühle, die die Os
Lusíadas auch heute noch hervorrufen5, können sie mit ihren vier, während des XVI
Jahrhunderts offiziell veröffentlichten, Editionen nicht als ein großer Publikationserfolg
angesehen werden6, vor allem wenn wir sie mit anderen Werken vergleichen, wie
„Imagem da Vida Cristã“ von Frei Heitor Pinto, das kurz zuvor veröffentlicht worden
war und sich schnell zu einem echten „bestseller“ entwickelt hatte7. So wie von
Eugenio Asensio in einer berümten Schrift8 herausgestellt, führt die ureigene Natur des
Gedichts, sowohl was die Befolgung der Regeln dieser Gattung als auch die klassischen
und gelehrten Anspielungen angeht, dazu, dass es ein Epos für „Minderheiten“ wurde,
jener kleinen Anzahl von Lesern, die – damals wie heute - fähig ist es zu verstehen9 .
4
Braga geht sogar so weit, dass er einen direkten und positiven Einfluss der portugiesischen auf die
spanische Literatur in dieser Zeit sugeriert, indem er sagt (Op. cit., S. 19) :”Die in der hispanischen
Zivilisation zu beobachtende Antinomie, nämlich die, dass die Grösse (Pracht) ihrer Literatur in eine
Epoche fällt, die dem schlimmsten Depotismus der Monarchen des Österreichischen Hauses unterliegt,
erklärt sich aus dem tiefgreifenden Einfluss, den Portugal in Konsequenz der Einverleibung unserer
kleinen Nation in die kastillianische Union – von Karl V. geplant und von Philippe II. ausgeführt –
ausgeübt hat.”
5
Es sei an die öffentliche Reaktion erinnert, die im Jahre 2002 von einem Reformvorschlag für das Fach
Portugiesisch hervorgerufen wurde, in welchem die Streichung der Lusíadas aus dem Programm der
Gymnasien vorgeschlagen worden war.
6
Wir sprechen hier von den Editionen der Jahre 1572, 1584, 1591 und 1597. Abgesehen von diesen
„offiziellen” Editionen, d.h. denjenigen, die die Hürde der damals für eine Veröffentlichung notwendigen
Genehmigungen genommen hatten, ist eine ...Edition aus dem Jahre 1572 bekannt, die einer “RaubAuflage” oder “Raub-Wiederzusammensetzung” entspricht. Siehe, in diesem Zusammenhang, unter
anderem: Tito de Noronha, A Primeira Edição dos Lusíadas, Porto e Braga, Liv. Internacional de
Ernesto Chardron Editor, 1880, Cleonice Berardinelli, “De censores e censura” Estudos Camonianos,
Rio de Janeiro, Ed. Nova Fronteira, 2000, Seiten 109-122, B. Xavier Coutinho, “A Edição Princeps de Os
Lusíadas. Um problema complexo e difícil (ou insolúvel?)”, Arquivos do Centro Cultural Português,
Vol. XVI, Paris, F. Gulbenkian, 1981, Seiten 571-720 und Artur Anselmo, Camões e a Censura Literária
Inquisitorial, Braga, Barbosa & Xavier, 1982.
7
Bezüglich dieses Themas siehe Frei Francisco Leite de Faria, “O Maior sucesso editorial do século XVI:
a Imagem da Vida Cristã de Frei Heitor Pinto”, Revista da Biblioteca Nacional, Lissabon, Série 2, Vol. 2,
Juli bis Dezember 1987, und, Idem, “As muitas edições de obras de Frei Heitor Pinto”, Isaías da Rocha
Pereira e Frei Franciso Leite de Faria, IV Centenário de Frei Heitor Pinto (1526?-1584), Lissabon,
Academia Portuguesa da História, 1991, Seiten 45-129.
8
Eugénio Asensio, “La Fortuna de Os Lusíadas en España” Op. cit., Seiten 303-324.
9
In dieser letzten Schrift nennt Eugenio Asensio die Lusíadas in der Tat auf Seite 303 ein:”Gedicht für
Minderheiten”, und hebt auf Seite 306 hervor, dass “jede einzelne Seite Anspielungen aus den Bereichen
der Mythologie, der Geschichte und der Kosmographie enthielten, die die Minderheit, die die Fähigkeit
besass, sie zu verstehen, begeisterten.” Er (Eugenio Asensio) greift diesen Gedanken im Jahre 1982 in
seiner Schrift “Los Lusíadas y las Rimas de Camões en la poesia española (1580-1640)” in Eugénio
Asensio und José V. Pina Martins, Luís de Camões. El humanismo en su obra poética. Los Lusíadas e lás
Rimas en la poesia española (1580-1640), Paris, Fundação Calouste Gulbenkian, Centro Cultural
Português, 1982, wieder auf, und sagt auf Seite 43: ”Ein grosser Teil seiner Verse kann von in den Indien
stationierten Soldaten genossen werden, oder von Spaziergängern der Rua Nova in Lissabon; jedoch nur
eine schwindend kleine Minderheit von Mitgliedern des Hofstaates oder der Universitäten verfügt über
ausreichend Kultur, um seine schwierige Kunst, die Verschmelzung von Klassizismus und Modernität
tatsächlich schätzen zu können.” Erstaunlicherweise wurde dieser gleiche Gedanke bereits im XVII
© Vanda Anastácio
2
Filipe II war zweifelsohne einer dieser Wenigen. Dazuu zählten auch
zeitgenössische Hofdichter der hohen Aristokratie Portugals und Kastiliens, ebenso wie
Universitätsgelehrte. Gerade in der Einflusssphäre der damals angesehensten spanischen
Universitäten – den Universitäten von Alcalá de Henares und Salamanca – wurden im
Jahre 1580 in kurzem Abstand die ersten Übersetzungen der Os Lusíadas10
veröffentlicht. Eine aufmerksame Prüfung der einleitenden Texte und Kommentare gibt
uns einen Hinweise auf das Umfeld, dem die Übersetzer entstammen: zu denjenigen, die
das von dem Portugiesen Benito Caldera (oder Bento Caldera), auch manchmal „Batto“
genannt, in Alcalá in Druck gegebene Werk loben, zählen die dem Hofe nahestehenden
Dichter aus dem Kreis um Lope de Vega und Cervantes11; unter denjenigen, die die
Version von Luys Gomez de Tapia rühmen, befinden sich vor allem Akademiker aus
Salamanca, unter denen Francisco Sanchez de las Brozas und der junge Luís de
Góngora hervortreten. Diese Texte erlauben uns den Schluss, dass die Version von
Alcalá, deren Genehmigung mit dem 17 März datiert ist als erste Übersetzung
veröffentlicht wurde. In dem in Salamanca gedruckten Werk kann man in der Tat ein
„al Libro“ gerichtetes Gedicht von Pedro de Vega lesen, in welchem er in12:
Por la primera impression
Señor libro vuestras quexas
No muestren tanta passion
auf das Verlangen Caldeira’s hinweist, das Land, in welchem er geboren war, in
Verbindung mit seinem Namen zu ehren - eine Art von Rechtfertigung für die Eile bei
der Veröffentlichung:
Jahrhundert von D. Francisco Manuel de Melo in einem seiner Apólogos Dialogais, genauer: in den
Hospital das Letras zum Ausdruck gebracht: Hier legt er Quevedo den berühmten Satz in den Mund:
”Wenn es wenige sind, die ihn lesen, so sind es noch weniger, die ihn verstehen.”
10
Es handelt sich hier um die folgenden Werke: LOS/LUSÍADAS/DE LVYS DE CAMÕES/, Traduzidos
en octaua rima castellana por Benito Caldera, residente en corte./ Dirigidos al Illustriss. Señor Hernando
de Vega de Fonse/ ca, Presidente del consejo de la hazienda de su M. Y dela Santa y general Inquisición. /
CON/ PRIVILEGIO./ Impresso en Alcala/ de Henares, por lua Gracian./ Año de M. D. L. XXX. Und: LA
LVSIADA / DE EL FAMOSO POETA / Luys de Camões. TRADVZIDA EN VERSO CA / stelhano de
Português, por el MA / estro Luys Gomez de Tapiá, vezino de Seuilla. / DIRIGIDA AL ILLVSTRISSI/mo Señor Ascanio Colona, Abbad/ de Sãcta Sophia./ Con priuilegio. / EN SALAMANCA. / En casa de
Ioan Perier Impressor / de Libros. Año de / M. D. L. XXX.
11
Siehe in diesem Zusammenhang die Artikel von Dámaso Alonso „La recepción de Os Lusíadas en
España (1579-1650)” Obras Completas, Madrid, Gredos, 1974, Band III, Seiten 7-40, von Eugenio
Asensio, op. cit. Und von Nicolás Extremera Tapiá, “A fortuna nas letras espanholas de um verso de Os
Lusíadas”, I Congresso Internacional de Estudos Camonianos, Rio de Janeiro, UERJ/SBLL, 1988, Seiten
195-218.
12
Wir beziehen uns hier auf einen Text mit dem Titel: “PEDRO DE VEGA AL LI/ bro del Maestro Luys
Gomez de Tapiá”
© Vanda Anastácio
3
Ni negueys que fue buen zelo
Querer Batto en edad tierna
Ilustrar su nombre y suelo
Y des u lengua paterna
Transplantarse al nuevo cielo.
Der Text fährt dann mit den Lobreden auf diese zweite Übersetzung fort: sie ist besser,
obwohl von einem Kastilianer stammend, und, wenn sie das Objekt von Kritik sein
sollte, so solle sich das Buch vor Augen halten (denn das Gedicht adressiert sich ja an
das Buch), dass in derartigen Angelegenheiten „Aljubarrota“ nichts verloren hat:
Pero si no ha conseguido
Del traduzir la victoria
Que vos haveis merecido
En cosas de tanta gloria
Baste le averla querido,
Und, etwas weiter unten steht:
Que baxo de tal vandera
No es menester casco o cota
Pues no es esta la caldera
Que llaman de Aljubarrota.
Die Differenzen, die zu Reibungen zwischen den Völkern der verschiedenen
Regionen der Halbinsel führen können beiseite zu legen, wäre zu allen Zeiten ein guter
Ratschlag, aber den Portugiesen und den Kastilianern im Jahre 1580 einen solchen Rat
zu gegeben hat besondere Bedeutung. Auch wenn Portugal und Kastilien durch
Jahrhunderten eine gemeinsame, von den gleichen Modellen und den gleichen Idealen
geprägte, literarische Tradition hatten, so ist es dennoch nicht weniger wahr, dass es
Zeiten großer politischer Spannungen waren, Spannungen, von denen wir auch Spuren
in den einleitenden Texten der Version aus Salamanca auffinden. Ich beziehe mich hier
auf: „CATALOGO DE LOS REYES/ que en Portugal ha auido, des’el primer Conde
don Henrique, hasta el año ochenta, en que la mayor parte de Portugal está subjecta a
la Magestad del rey Don Phelipe nuestro Señor“13. Dieser letzte Satz scheint nicht nur
auf ein nach der Schlacht von Alcantara (25 August 1580) liegendes Datum zu deuten,
sondern es scheint uns auch ein Hinweis auf die Komplexität dieses Teils der
13
Unterstreichungen durch uns. Der genannte Katalog umfasst die Folios 13 bis 16 der einleitenden
Seiten des Bands, op. cit.
© Vanda Anastácio
4
Geschichte Iberias zu sein. Die aufmerksame Lektüre des genannten „Katalogs“ ist
ebenfalls aufschlussreich, da in ihm eine Revision der Genealogie des Königshauses
Portugals auf der Basis der Texte des „Cauallero Andaluz“, Gonçalo Argote de Molina,
vorgeschlagen wird14. Die Liste der portugiesischen Könige begänne somit nicht mit D.
Afonso Henriques, sondern mit dessen Urgroßvater („Eustachio, Conde de Boloña“), sie
enthält keinerlei Referenz auf D. António - den Prior von Crato, der am 18 Juni 1580
zum König proklamiert worden war -, und endet mit einer Rechtfertigung des Rechtes
Filips II auf den portugiesischen Thron, wie folgt:
A dõ Henrique succedio el año de ocheta la sacra Magestad del rey dõ Pheippe
II. deste nombre, Rey de España: assi por ser Reyno que de su corona auia
salido, como por ser nieto del Serenissimo Rey dõ Manuel, padre de don
Enrique, que murio sin herederos.
Wie wir sehen, werden hier die wichtigsten Argumente, die auch Filipe II für
seine Legitimation als König Portugals benutzt und ab dem Jahre 1578 mittels seiner
Propagandamaschine in Umlauf brachte, wiederholt - sei es aus rechtlicher Sicht, sei es
auf dem Gebiet der Symbolik der Bilder und der Darstellungen15. Das Datum dieser
ersten beiden Veröffentlichungen der Übersetzungen der Os Lusíadas und die Hinweise
auf die Umstände dieser Epoche in der Version von Gomez de Tapia bilden den
Ausgangspunkt der Überlegungen, die wir im Folgenden auf zwei Hauptfragen
konzentriert zu entwickeln versuchen: was ist die Beziehung der spanischen
Übersetzungen aus dem Jahre 1580 mit dem aktuellen geschichtlichen Kontext? Und
welche Beziehung kann zwischen diesen beiden ersten Übersetzungen und der
Aufnahme, die das Werk in Portugal bis Ende des XVI Jahrhunderts erfuhr, festgestellt
werden?
Für die Beantwortung der ersten Frage ist es vielleicht nützlich, sich einige
Fakten in Erinnerung zu rufen und sich vor Augen zu halten, dass sich Portugal nach
14
In der Tat wird gesagt: „Deve mucho la nació Portuguesa a Gonçalo Argote de Molina, cauallero
Andaluz, veynte e quatro de seuilla, por auer decubierto cõ su grande curiosidad cõ que ha recogido en su
museo los mejores libros y papeles de España, quie aya sido el primeir Cõde dõ Enrique, progenitor de la
casa real de Portugal, en que tã errados hã andado todos los autores, y tã incierto Luys de Camões [...]”
Fol. 13 ff.
15
Siehe in diesem Zusammenhang, den Artikel von Fernando Jesus Bouza Alvarez, “Retórica da Imagem
Real. Portugal e a Memória Figurada de Filipe II” Penélope. Fazer e Desfazer História, Nr. 4, November
1989, Seite 20-58,; hierbei sei die Alegorie von dem kastilianischen Löwen, der den portugiesischen
Drachen bezwingt herausgehoben, eine Zeichnung von E. Quellinus für das Portal des Bauwerks von
Juan de Caramuel, Philips Prudens, der eben gerade von der Idee ausging, dass “Portugal mit der Krone
Kastiliens vereint sein muss, Krone, von deren Herrschaftsgebiet es sich unrechtmässigerweise im
Moment seiner Geburt getrennt hatte”, Idem, op. cit, Seite 47.
© Vanda Anastácio
5
der Niederlage von Alcácer – Quibir in einer verzweifelten Lage befand: es hatte nicht
nur den Thronerben verloren, sondern darüber hinaus auch noch einen großen Teil der
Elite, die das Land regiert hatte. Es ist zum Beispiel in Erinnerung zu rufen, dass Filipe
II seit dem Jahre 1578 Agenten in Lissabon hatte, die seinem Befehl unterstanden und
mittels derer er erhebliche Summen für die Freilassung der vielen portugiesischen
Aristokraten, die in Nordafrika in Gefangenschaft geraten waren, kanalisierte. Auf diese
Weise war, vor dem Jahre 1580, ein Verhältnis der Dankbarkeit und der Abhängigkeit
zwischen vielen der großen lokalen Familien und dem zukünftigen König geschaffen
worden16. Die Ansprüche, die Filipe auf die portugiesische Krone erhebt, datieren in der
Tat vom Beginn der Thronfolgekrise. Wie von den Geschichtsexperten dieser Epoche in
Erinnerung gerufen17 wird, setzte der König von Spanien eine konzertierte Offensive in
Gang - sowohl diplomatisch (indem er Botschafter aussandte und schon früh damit
begann, in Verhandlungen mit den Vertretern portugiesischer Institutionen zu treten),
juristisch (indem er die Verbreitung von Texten förderte, die von Juristen erarbeitet
worden waren und ihn als den Einzigen rechtmässigen Thronfolger darstellten),
militärisch (indem er Truppen unter dem Kommando des Herzogs von Alba nach
Portugal sandte und kastilianische „Festungen“ entlang der portugiesischen Küste und
in den wichtigsten Ortschaften errichtete) als auch vertraglich (mittels des Abschlusses
eines Paktes, am 15 April 1581, mit den portugiesischen Oligarchien auf dem Reichstag
von Tomar).
In dieser komplizierten Situation des Fehlens eines direkten Erben D. Sebastiãos
war das Jahr 1580 von entscheidender Bedeutung. Die Eröffnung des Reichstages von
Almeirim, mit dem Ziel einberufen, einen Nachfolger für D. Henrique zu ernennen,
fand am 11. Januar statt. Am 31. desselben Monats starb der Kardinal-König, ohne dass
ein Nachfolger in offizieller Weise bestimmt worden wäre. Wie bekannt ist, wurde D.
16
Siehe, zur Unterstützung der hier von uns gemachten Aussage, die Dankesbriefe der portugiesischen
Aristokratie (aufbewahrt im Archivo General de Estado von Simancas), die von Carlos José Margaça
Veiga in dessen Dissertation zur Beweisführung für seine pädagogische Eignung und wissenschaftliche
Fähigkeit in der Universität Lissabon, Humanwissenschaftliche Fakultät (Universidade de Lisboa, 1990)
erwähnt werden.
17
Wir basieren uns vor allem auf Carlos José Margaça Veiga, A agregação da Coroa de Portugal à de
Castela. Aspectos da estratégia de Filipe II, op. cit., und Poder e poderes na crise sucessória portuguesa
1578-1580,
(polikopierter
Text)
Doktorarbeit
in
Moderner
Geschichte,
Lissabon,
Humanwissenschaftliche Fakultät, Universität Lissabon, 1999, Fernando Bouza Alvarez, Portugal en la
monarquía hispânica (1580-1640). Filipe II, Lás cortes de Tomar y la génesis del Portugal católico,
Madrid, Universidad Complutense, 1987, Op. cit., und “Lisboa sozinha, quase viúva. A cidade e a
mudança da Corte no Portugal dos Filipes” Penélope. Fazer e Desfazer a História, Nr. 13, 1993, Seite 7193, Jean-Frédéric Schaub, Portugal na Monarquia Hispânica, Lisboa Livres Horizontes, 2001 und auf
Joseph Perez, La España de Filipe II, Barcelona, Crítica, 2000, Johm Lynch, Los Austrias, 1516-1700,
Barcelona, Crítica, 2000.
© Vanda Anastácio
6
António am 18 Juni in Santarém zum König proklamiert. Im Verlaufe desselben Monats
zieht der Herzog von Alba an der Spitze des spanischen Heeres in Portugal ein, und am
25. August kommt es zur Schlacht von Alcântara. Die Iberische Union kam trotz der
konzertierten Bemühungen, der Verhandlungen und der Akzeptanz dieses Monarchen
durch viele Gruppen der portugiesischen Gesellschaft, schlussendlich zum großen Teil
auf Grund der Macht der Waffen zustande.
Man soll aber nicht glauben, dass die Universitäten in diesen Zeiten der Politik
fern blieben. Ganz im Gegenteil, sowohl die Gelehrten von Alcalá de Henares, als auch
jene von Salamanca waren aufgefordert juristische Gutachten zur Untermauerung der
Ansprüche Filipes II auf die portugiesische Thronfolge auszuarbeiten. Es sei z. B. an
den Fall des Doktor Luís de Molina erinnert - Autor einer Verteidigungsschrift zu
Gunsten der Ansprüche des Erben des Hauses Österreich, welche in lateinischer
Sprache verfasst und auf Grund eines königlichen Befehls im Juni 157918 veröffentlicht
wurde - der Mitglied der diplomatischen Delegation Spaniens wurde, die noch im
selben Jahr nach Portugal geschickt wurde. Es sei weiters daran erinnert, dass der
Habsburger König, zum Zeitpunkt der Erarbeitung der Übersetzungen, Juristen beider
Universitäten den Auftrag gab, die Rechtmässigkeit eines eventuellen Krieges gegen
Portugal zu prüfen. Wie Carlos Margaça Veiga unterstreicht, trägt das Gutachten das
Datum vom 4 Juni 1580, einem Zeitpunkt, an dem sich das kastilianische Heer bereits
nur noch eine Meile von Badajoz entfernt befand, bereit, die Landesgrenze zu
überschreiten19.
In diesem Zusammenhang erscheint es wenig glaubwürdig, dass die beiden
kastilianischen Übersetzungen der Os Lusíadas auf Grund eines einfachen Zufalls im
Jahre 1580 von den Universitäten veröffentlicht worden waren. Sie scheinen uns eher
ein wesentlicher Bestandteil der politischen Strategie der Verführung und des
Einschüchterns gewesen zu sein, die von dem kastilianischen Erben der portugiesischen
Krone angewendet worden war. So sagt auch Eugenio Asensio in Jahre 1982, „sin el
patrocinio directo e immediato de Filipe II“ könne die fast gleichzeitig erfolgte
Veröffentlichung der zwei Übersetzungen nicht erklärt werden, vor allem, wenn man
18
Es handelt sich hier um folgendes Werk: Luís Argote de Molina, Júris Allegatio pro rege catholico
Philippo ad successionem regnorum, veröffentlicht im Jahre 1579.
19
Carlos J. Margaça Veiga, A agregação da coroa de Portugal à de Castela. Aspectos da estratégia de
Filipe II, op. cit., Seite 162.
© Vanda Anastácio
7
sich die vergegenwärtigt, dass keine dieser Übersetzungen der kirchlichen Zensur
unterworfen worden war20.
Dies führt uns zur Frage, warum gerade Os Lusíadas zur Verbreitung
ausgewählt worden waren – sicherlich nicht wegen fehlender Auswahl. Wie bekannt,
hatte Jerónimo Corte-Real nach 1572 und vor 1580 zwei epische Gedichte in Druck
gegeben (möglicherweise durch die Veröffentlichung der Os Lusíadas im Jahre 1572
stimuliert), ein es davon auf portugiesisch, das andere auf kastilianisch, letzteres sogar
Filipe II gewidmet war21. Es scheint als ob, dass mit dieser Wahl - abgesehen davon,
dass der Text von Camões für die spanischen Leser von Interesse sein könnte, weil es
sich um eine Verkörperung des Rennaissance-Ideals des Epos und des Überschwangs
der Werte und der gemeinsamen Vorfahren handelt - eine Verbindung zwischen den Os
Lusíadas und Portugal hergestellt wird indem der Epik Camões’ der symbolische Wert
des „Vertreters“ einer Kultur zugesprochen wird. Wenn Os Lusíadas bis dahin noch
nicht zum nationalen Symbol aufgestiegen waren(unter dem Vorbehalt dessen, was ein
solches Adjektiv, auf eine Gesellschaft des Alten Regimes angewandt, bedeuten mag),
so würden sie ab diesem Zeitpunkt als ein solches verstanden werden22. Das Gleiche
könnte man von der „Kanonisation“ von Luís de Camões sagen, die bereits im Jahre
1580 von Las Brozas folgendermaßen dargestellt wird:
Luys de Camões Lusitano, cuyo subtil ingenio, doctrina entera, cognició de
lenguas, y delicada vena, muestran claramente no faltar nada para la perfection
de tal alto nombre [de Poeta]
20
In der Tat hebt Eugenio Asensio, op. cit., auf den Seiten 45-46 das Folgende hervor: “La traducción de
Alcalá, relizada por Benito Caldera o Bento Caldeira, mozo de origen portugués, esta aprobada por
Fadrique Furió Ceriol, el insigne escritor político, en Madrid 17 de marzo; y licenciada a toda prisa en
Guadalupe por António de Eraso, el secretario real. La traducción de Salamanca, hecha por Luís Gómez
de Tapiá, no inserta ni aprobación ni licencia. Nil a de Alcalá nil a de Salamanca han pasado por la
censura eclesiástica.”
21
Es handelt sich hierbei um folgende Gedichte: Jerónimo Corte Real, Sucesso de Segundo Cerco de Diu:
estando Dom Joham de Mazcarenhas por Capitam da Fortaleza (1574) e Felicíssima victoria concedida
del cielo al señor Dom Iuan d’Austria en el golfo de Lepanto de la poderosa armada otomana (1578).
Siehe, in diesem Zusammenhang, Fidelino de Figueiredo, A Épica Portuguesa no Século XVI, São Paulo,
1950, Eugenio Asensio “España en la épica portuguesa del tiempo de los Felipes (1580-1640)”, op. cit.,
und auch Hélio Alves, O Sistema da Epopeia Quinhentista, Coimbra, Imp. Da Universidade, 2000.
22
Es muss hier an den Gedanken von Ivana Gallo erinnert werden, die in ihrem Artikel “La prima
traduzione spagnola dei “Lusíadas”: da quale originale?”, Quaderni Portoghesi, Nr. 6, Pisa, Giardini
Editori, Herbst 1979, Seite 103, sagt: “Se si considera, inoltre, che questa è l’epoca delle spedizioni
d’oltremare, delle grandi conquisti e della colonizzazione americana, si capisce il significato che assume
in Spagna la traduzione del poema nazionale portoghese, nonché l’interesse che deve riscuotere: è como
se il potente regno di Castiglia si impadronisse cosi, anche culturamente, delle scoperte di Vasco da
Gama.”
© Vanda Anastácio
8
Die außerordentliche Wirkung der kastilianischen Übersetzungen von Caldera
und Gomez de Tapia auf die spanische Literatur ist bekannt. Unter den Autoren, die die
die Art und Weise untersuchten, wie das portugiesische Epos Inspirationsquelle neuer
Texte wurde, und von diesem Strukturelemente, mythische und heroische Episoden,
formelle Einzelheiten und stilistische Mittel übernahmen, finden sich Dámaso Alonso
und Eugenio Asensio
23
. Es ist sogar möglich, das Auftreten vieler Kultismen und
einiger Lusismen in der poetischen Sprache Kastiliens dieser Zeit auf die ersten
Übersetzungen der Os Lusíadas zurückzuführen. Dieses Phänomen war nur möglich,
weil beide Übersetzer dem Originaltext überaus treu blieben, und ihn, in seiner
Neufassung, mit dem Respekt behandelten, der einem bedeutenden Werk zusteht.
Tatsächlich können die wenigen, wirklich signifikanten Abweichungen vom Geiste des
Originaltextes als unumgänglich für seine Verbreitung unter der neuen Leserschaft
bezeichnen werden: die Abschwächung der weniger schmeichelhaften Bezüge zu
Kastilien und den Kastilianern in Camões’ Gedicht 24.
Aber lassen Sie uns jetzt zur zweiten Frage kommen: Welche Verbindung kann
zwischen den Übersetzungen von 1580 und der Aufnahme des Werkes in Portugal bis
Ende des XVI Jahrhunderts hergestellt werden?
Die erste Ausgabe der Os Lusíadas, die nach der Annexion Portugals
veröffentlicht wurde, stammt aus dem Jahr 1584. Sie wurde, dank eines berühmten
Fehlers25, als die Edition der „piscos“ bekannt und präsentiert das Gedicht in
veränderter Form und von einer bedeutsamen Anzahl von Versen „gesäubert“. Diese
verstümmelte Version wurde, mit Berichtigungen einiger Details, im Jahre 1591 erneut
gedruckt. Autor dieser Eingriffe war Frei Bartolomeu Ferreira, derselbe Zensor, der –
Ironie des Schicksals – die Edition aus dem Jahre 1572 genehmigt hatte. Mag Sousa
Viterbo auch in seinem berühmten Werk26 von Frei Bartolomeu ein Bild von
Menschlichkeit und Toleranz gezeichnet haben, so lebte dieser doch in der Epoche in
der er lebte, übte die Tätigkeit eines Buchzensors zumindest in der Zeitspanne von 1571
23
Abgesehen von den oben zitierten Artikeln von Eugénio Asensio beziehen wir uns auf den Artikel von
Dâmaso Alonso, “La recepción de Os Lusíadas en España (1579-1650)” Obras Completas, Band III,
Madris, Gredos, 1974, Seite 7-40.
24
Es handelt sich um die Referenzen in Lied III, 34, V. 1, Lied III, 99, V.1, Lied III, 105, V.4, Lied III,
138, V. 5, Lied IV, 24, V. 2 und Lied IV, 47, V. 2.
25
Dieser Fehler findet sich im Kommentar, den der Kommentator der im Jahre 1584 gedruckten Version
im Vers 2 der Strophe 65 des Lieds III beging: ”E a piscosa Sesimbra, e juntamente”
26
Sousa Viterbo, Frei Bartolomeu Ferreira o primeiro censor de Os Lusíadas. Subsídios para a História
Literária do Século XVI em Portugal, Lissabon, Imprensa Nacional, 1891.
© Vanda Anastácio
9
bis 1595 aus, und war nicht nur abhängig von den Prinzipien und Handlungen der
Inquisition, sondern verteidigte diese27. Als Verantwortlicher für die Anpassung und
Ausgabe der portugiesischen Version der Regeln des Index librorum prohibitorum von
1584 und Autor der Anmerkungen in der Ausgabe der „piscos“ , scheint dieser Kleriker
nicht nur, wie gelegentlich behauptet wird, eine nur geringfügige Verantwortung für die
erfolgte Verstümmelung zu tragen28. Eine Prüfung seiner Vorgehensweise bei anderen
Texten (wie Filodemo oder Poema da Velhice von Lopo Serrão29) offenbart einen
einehtilichen Masstab bei der Ausmerzung von möglicherweise die Religion, den
kirchlichen Gehorsam und die Moral angreifenden Stellen, aller Anspielungen mit
möglichen Hinweisen auf Aberglauben und, wenn auch in verminderter Form, aller
Stellungnahmen sozio-politischer Natur. Tatsache ist, dass der Text von Camões im
Jahre 1597 in einer fast vollständigen Ausgabe30 wieder veröffentlicht wird, ebenso wie,
dass der erste Zensor der Os Lusíadas zu diesem Zeitpunkt seine Funktionen bereits
nicht mehr ausübte.
In der Zeit zwischen 1572 und 1584 hatte es in Portugal viele Veränderungen
gegeben, aber bestimmt nicht zum Schlechteren für jenigen, die der Inquisition
angehörten. Wie bekannt, hatte Filipe II während des Reichtages von Tomar (1581) mit
den Vertretern des Klerus, Der Aristrokratie und des portugiesischen Volkes einen
echten Sozial-Pakt abgeschlossen. Darauf bestehend, dass Portugal wie ein ererbtes
Königreich zu behandeln sei und nicht wie ein durch Gewalt unterworfenes Territorium,
27
Sousa Viterbo korrigiert dieses erste Bild, das er von dem Zensor gemacht hatte, als er von einer
Denunziation erfährt, die Frei Bartolomeu Ferreira dem Inquisitinsgericht gegenüber gegen einen Mönch
gemacht hatte; díese Korrektur findet sich in der Einleitung der Edition Os Lusíadas, Lissabon, Empreza
da História de Portugal, 1900, Seite XXIV-LXXX. Die erste von Frei Bartolomeu Ferreira erteilte
Genehmigung zum Druck datiert von 1571 und findet sich im Werk: Libro primero del espejo del
príncipe christiano. Und bis zum Jahre 1595 können Genehmigungen mit seinem Namen gefunden
werden. Man weiss, dass der Zensor innerhalb der Institution, der er diente, Karriere machte. Barbosa
Machado, in Bibliotheca Lusitana, Lissabon, in der Of. von António Isidoro da Fonseca, 1791, berichtet,
dass Frei Bartolomeu Ferreira seinen Posten als Gesandter der Inquisition Lissabons am 3 November
1576 übernahm.
28
Sebastião Tavares de Pinho, “Critérios e métodos de censura na edição dos Piscos d’Os Lusíadas de
Camões e no Poema De Senectute de Lopo Serrão, de 1579”, Ponta Delgada, Universität der Azoren,
1984 schreibt auf Seite 473: “Die Bestätigung dessen, dass die Verantwortung Frei Bartolomeu Ferreiras
in diesen Zensuren eine mindere war, ist die, dass er sich darauf beschränkte die Anweisungen der
Inquisition zu befolgen, die in der Zwischenzeit ihre Kriterien und ihre Überwachung verschärft hatte.
29
Siehe in diesem Zusammenhang Paul Teyssier, “As duas versões do Auto de filodemo” Actas da III
Reunião de Camonistas, 1983, Seite 419-436, Sebatião Tavares de Pinho, “Critérios e métodos de censura
na edição dos Piscos d’Os Lusíadas de Camões e no poema De Senectute de Lopo Serrão, de 1579”,
Ponta Delgada, Universität der Azoren, 1984 und Idem, “As variantes: critérios de censura”, Lopo Serrão
e o seu Poema da Velhice, Coimbra INIC, 1987, Seite 98-117.
30
Für eine vertiefte Prüfung der Edition dieses Jahres siehe B. Xavier Coutinho, „A Edição Princeps de
Os Lusíadas. Um problema complexo e difícil (ou insolúvel?)”, Arquivos do Centro Cultural Português,
Band XVI, Paris, F. Gulbenkian, 1981, Seite 571-720.
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machte der neue König eine ganze Serie von Versprechungen, die in den darauf
folgenden Jahrzehnten im Allgemeinen auch eingehalten wurden31. Eines dieser
Versprechen beinhaltete die Aufrechterhaltung der juristischen Imunität des Reiches,
was es den portugiesischen Gerichten erlaubte, außerhalb der kastilianischen
Gerichtsbarkeit zu bleiben. Es sei in diesem Zusammenhang angemerkt, dass die
Inquisition, selbst wenn es Zeiten mit Eingriffen Kastiliens
in einige juristische
Instanzen gab, während der 60 jährigen Regierung der Dynastie Filipes autonom blieb.
Diese Tatsache scheint den Widerspruch zu erklären, dass der Text von Camões
in Spanien seit 1580 in vollständiger Version verbreitet war, während zwischen 1584
und dem Beginn des darauf folgenden Jahrhunderts in Portugal eine verstümmelte
Version in Umlauf war32. Aber könnte es nicht sein, dass noch andere Aspekte zu
berücksichtigen sind?
Filipe II hielt sich von 1581 bis 1583 in Portugal auf. Aber während dieser Jahre
und trotz des Inkrafttretens einer neuen Liste verbotener Bücher, wurden die Os
Lusíadas nicht wieder herausgegeben. Man könnte meinen, dass sich die Inquisition erst
dann in der Lage sah, den Text auf eine so tiefgreifende Weise zu „säubern“, als die
Kontrolle durch die Anwesenheit des Königs nicht mehr möglich war?
Wie wir gesehen haben, können die durchgeführten Verstümmelungen keine
politischen Gründe gehabt haben. Mit Ausnahme der Tatsache, dass versucht wurde, die
für die Kastilianer und für Kastilien weniger angenehmen Referenzen zu mildern (ein
Aspekt, bei dem vorsichtshalber den von Caldeira und Tapia gemachten Vorschlägen
Folge geleistet wurde), beschränkte sich die politisch motivierte Zensur auf die eine
oder andere berühmte Stelle im Gedicht (die Kritik an die Undankbarkeit des D. Manuel
in der 25. Strophe des X. Lieds, oder der gegen den Klerus erhobene Vorwurf der 119.
Strophe des gleichen Lieds). Es waren aber vor allem die Benutzung der Wörter Gott,
Götter, göttlich usw., die Referenzen auf die Allmacht einiger Figuren aus der
Mythologie, die Beschreibungen der Nacktheit der Göttinnen und der Nymphen oder
31
Versprechungen die nicht gehalten wurden waren u. a. die, die Festungen der kastilianischen Soldaten
entlang der portugiesischen Küste aufzulösen, die dort bis zum Jahre 1640 verblieben und von der
kastilianischen Staatskasse bezahlt wurden, sowie die Aufhebung der Zölle zu Lande (“Portos secos”
bezeichnet), die gleich im Jahre 1582 wieder erhoben wurden. Im Verlaufe der Zeit wurden auch
Abweichungen eingeführt, wie z. B. kastilianische Inspektionen der portugiesischen Gerichte, aber es
scheint nicht, dass irgend eine dieser “Vertragsverletzungen” das Inquisitionsgericht betroffen hätte. Vgl.:
Jean-Frédéric Schaub, Op. cit.
32
Cleonice Berardinelli, „De Censores e censura “ in Estudos Camonianos, Rio de Janeiro, Ed. Nova
Fronteira, 2000, schreibt auf Seite 121: “Während in Spanien der integrale Text übersetzt wird, wird in
Portugal, wie man sehen kann, das verstümmelte und entstellte Gedicht erneut herausgegeben.”
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der Sinnlichkeit von Maria, die den Eingriff des Zensors hervorriefen. Es wurde
behauptet, dass das so „gesäuberte“ Gedicht dazu bestimmt gewesen sei, als Studientext
in den Jesuitenschulen benutzt zu werden33. Aber verfällt man da nicht dem
Anachronismus, die in den 80er und 90er Jahren des XVI Jahrhunderts gelebte Realität
auf die Realität der Schulen des XX Jahrhunderts zu übertragen?
Es wurde auch angeführt, dass diese Änderungen eine Folge der Anwendung der
von Bartolomeu Ferreira verfassten, neuen Regeln für den Index von 1581 gewesen
seien34. Aber sind denn diese Regeln nicht, abgesehen von der neuen Formulierung,
identisch mit jenen des Index von 1564? Und sind denn die Prinzipien, die sie darlegen,
nicht tatsächlich die gleichen wie die im Index von 1597?
Warum bis zum Jahre 1597 warten, um den Text der ersten gedruckten Ausgabe
wiederherzustellen? Warum erschienen – obwohl dies eine Frage ist, auf die mangels
Zeit nicht näher eingegangen werden kann – nach 1584, mit dem falschen Datum von
1572 eine oder mehrere Raub – Editionen?
Schlussendlich, und angesichts dessen, dass der größte und hartnäckigste
Widersacher Filipes II, D. António, Prior von Crato, in und außerhalb Portugals in der
gesamten Zeit zwischen 1580 und 1595 (Jahr seines Todes) Unterstützung mobilisieren
konnte, könnten wir vielleicht dieses plötzliche Nachlassen der Schärfe der Zensur des
Gedichts von Camões mit der Tatsache in Verbindung bringen, dass die von ihm
ausgehende Bedrohung erloschen war?
Oder anders ausgedrückt: ist es möglich, dass Os Lusíadas in der Periode
zwischen 1580 und 1595 auf indirekte Anregung Filipes II hin zu einem Banner der
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34
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