DIPLOMARBEIT Titel der Diplomarbeit „Literarische Inszenierung von Frauenstimmen bei Ilse Losa“ Verfasserin Julia Holzschuh angestrebter akademischer Grad Magistra der Philosophie (Mag.phil.) Wien, 2013 Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 236 357 Studienrichtung lt. Studienblatt: Romanistik / Portugiesisch Betreuerin: Univ.-Prof. Dr. Kathrin Sartingen Danksagung Zuallererst möchte ich mich bei meiner Betreuerin Kathrin Sartingen, die meiner Themenwahl von Anfang an interessiert gegenübergestanden ist und sich immer die Zeit für persönliche Gespräche genommen hat, bedanken. Diese Gespräche und ihre konstruktive Kritik haben mich immer wieder motiviert und mir neue Perspektiven eröffnet. Genauso viel Dank gebührt meinen Freunden und meiner Familie – sie haben mich in allen Lebenslagen unterstützt, mir durch Gespräche, Ratschläge, Zuhören oder einfach nur Verständnis bei vielen Hürden geholfen und immer wieder für willkommene Abwechslung gesorgt. Roland danke ich für seine unerschütterliche Geduld, seine Unterstützung in wirklich allem, sowie für sein aufrichtiges Interesse, die vielen themenbezogenen Diskussionen und Anregungen für diese Arbeit. Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ...................................................................................................................... 1 2. Forschungsstand ............................................................................................................ 5 3. Biografischer Hintergrund ............................................................................................. 7 4. 5. 6. 3.1. Ilse Losas Leben .................................................................................................... 8 3.2. Losas Werk .......................................................................................................... 10 Historischer Hintergrund ............................................................................................. 14 4.1. Von der Monarchie zum Estado Novo ................................................................ 14 4.2. Frauen im Estado Novo ....................................................................................... 16 Theoretische Ansätze................................................................................................... 21 5.1. Feministische Literaturtheorie und weibliches Schreiben – Ein Überblick ........ 21 5.2. Erzähltheorie – Die Fokalisierung nach Gérard Genette ..................................... 25 Literarische Inszenierung von Frauen in Sob Céus Estranhos .................................... 28 6.1. Portugiesinnen ..................................................................................................... 29 6.1.1. Senhor Ribeiro Pintos Ehefrau Helena ....................................................................... 29 6.1.2. Sousas Frauen ............................................................................................................. 32 6.1.3. Dona Branca ............................................................................................................... 40 6.1.4. Teresa, Josés Ehefrau ................................................................................................. 49 6.1.5. Maria .......................................................................................................................... 58 6.1.6. Dona Ambrosina und Dona Alice .............................................................................. 62 6.1.7. Nazaré ......................................................................................................................... 67 6.1.8. Gils Mutter ................................................................................................................. 71 6.1.9. Gils Schwester Carolina ............................................................................................. 73 6.1.10. Luís' Ehefrau............................................................................................................... 74 6.1.11. Ehefrau des Sekretärs vom amerikanischen Konsulat ................................................ 75 6.1.12. Dona Beatriz ............................................................................................................... 76 6.1.13. Dona Maria do Céu .................................................................................................... 77 6.1.14. Zusammenfassung ...................................................................................................... 78 6.2. Nicht-Portugiesinnen ........................................................................................... 80 6.2.1. Waltraut, Josés Mutter ................................................................................................ 80 6.2.2. Liesel .......................................................................................................................... 87 6.2.3. Die Lindomontes ........................................................................................................ 89 6.2.4. Die Mündels ............................................................................................................... 91 6.2.5. Rosemarie Grünbaum ................................................................................................. 97 6.2.6. Senhora/Witwe Teich ................................................................................................. 99 6.2.7. Die Österreicherin .................................................................................................... 100 6.2.8. Elfe ........................................................................................................................... 102 6.2.9. Zusammenfassung .................................................................................................... 103 7. Schlussbetrachtungen ................................................................................................ 106 8. Literaturverzeichnis ................................................................................................... 109 8.1. Primärliteratur.................................................................................................... 109 8.2. Sekundärliteratur ............................................................................................... 109 8.3. Zeitungsartikel ................................................................................................... 112 8.4. Internetquellen ................................................................................................... 112 8.5. Andere Medien .................................................................................................. 113 9. Abstracts .................................................................................................................... 114 9.1. Resumo em português ....................................................................................... 114 9.2. Deutsche Zusammenfassung ............................................................................. 123 10. Lebenslauf ............................................................................................................. 124 1. Einleitung Die portugiesisch-deutsche Autorin Ilse Losa, 1913 in Deutschland geboren, musste 1934 ihr Heimatland verlassen. Sie kam aus einer jüdischen Familie, zudem war ein Brief an eine befreundete Pazifistin abgefangen worden, indem sie Hitler als Verbrecher bezeichnete. Nachdem Losa über mehrere Stunden hinweg verhört worden war, wurde sie vorerst entlassen. Sie nutzte diese Chance und floh aus Deutschland. Ihr Ziel war Portugal, wo bereits ein Bruder und Onkel Fuß gefasst hatten. Im Exil angekommen, war die Rückständigkeit des Landes ein enormer Kulturschock für die junge Frau, die ihr letztes Jahr das pulsierende Leben in Berlin erlebt hatte. Losa versuchte sich zu integrieren, lernt Portugiesisch und heiratet 1935 einen Portugiesen mit dem sie eine eigene Familie gründet. Im Exil beginnt sie auch wieder zu schreiben, wird in ihrer neuen Heimat eine erfolgreiche Autorin und erlangt mit der Übersetzung zweier Romane in ihrer alten Heimat späten Ruhm. Als Losa 2006 stirbt, hinterlässt sie ein umfangreiches und vielschichtiges Werk: drei Romane, zahllose Erzählungen und Anthologien, Kinderbücher, Prosagedichte und Übersetzungen sowohl deutscher als auch portugiesischer Autoren. 1 Mit der Autorin Ilse Losa kam ich 2009 in einem Seminar zum Thema Vozes femininas lusófonas in Berührung. Als Thema meiner Seminararbeit wählte ich damals den Roman Sob Céus Estranhos (1962; Unter fremden Himmeln, 1991) und untersuchte ihn hinsichtlich der Frage ob im Roman eine weibliche, lusofone Stimme zu finden ist. Auf der Suche nach einem geeigneten Diplomarbeitsthema kam ich schließlich zu dem Entschluss, dass das Thema mit einer Seminararbeit noch lange nicht ausgeschöpft ist und zudem einen von der Forschungsliteratur noch unbehandelten Aspekt von Losas Werk darstellt. Sob Céus Estranhos ist der einzige Roman Losas, der mit José Montanha/Josef Berger über einen männlichen, als Erzähler fungierenden, Protagonisten verfügt. Das mag nicht ungewöhnlich erscheinen, gewinnt aber an Relevanz, wenn man die Umstände betrachtet unter denen der Roman entstanden ist. Losa war in ein Land gekommen, wo die Frauen am Rand der Gesellschaft ihr Dasein fristeten und mit vielen Verboten leben mussten. Es ist also anzunehmen, dass eine weibliche Autorin wie Ilse Losa selbst von diesen Normen betroffen 1 Vgl. Holzschuh, Julia: Selbstübersetzung bei Ilse Losa. Diplomarbeit. Universität Wien 2012, S. 8-17. 1 war und dies auch in ihren Texten thematisiert. Frauen- oder Einzelschicksale werden laut Engelmayer sogar zu den thematischen Hauptkonstanten in Losas Werk gezählt. 2 Gerade deshalb ist dieser Roman in Hinblick auf die Art der Inszenierung von Frauenstimmen interessant. Denn es stellt sich die Frage ob der Roman trotz männlicher Erzählstimme auch die weibliche Sicht der Dinge darstellt, wie sich weitere Frauenstimmen in diesem Roman manifestieren und ob diese überhaupt vorhanden sind. Die portugiesische Gesellschaft lag zum damaligen Zeitpunkt weit hinter vielen anderen europäischen Ländern zurück was Emanzipation und Gleichberechtigung anbelangte. Neben portugiesischen Figuren kommen allerdings auch viele nicht-portugiesische, weibliche Charaktere im Text vor. Das lässt die Hypothese zu, dass in der Inszenierungsart von Portugiesinnen und Nicht-Portugiesinnen möglicherweise ein Unterschied zu erkennen ist. Um also die Inszenierungsarten der Frauenstimmen und einen möglichen Inszenierungsunterschied betreffend ihrer Nationalität nachweisen zu können, wird eine eingehende Figurenanalyse am Text vorgenommen. Nach der Einleitung wird in einem Kapitel zum Forschungsstand vor allem auf die Forschungsliteratur zu Losa eingegangen, da es sich dabei noch um eine relativ junge handelt. Es soll des Weiteren auch auf andere Texte, die als Sekundärtexte für das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit sehr hilfreich waren, hingewiesen werden. Das darauf folgende dritte Kapitel gibt einen Überblick über Losas Biografie und Werk. Losas Leben wurde durch die patriarchalen Strukturen des Estado Novo stark beeinflusst beziehungsweise eingeschränkt. Da sich diese Einschränkungen auch in Losas Werk niederschlagen müssten, scheint es sinnvoll, durch Angaben zu ihrer Biografie und ihrem Werk ein differenziertes Werkverständnis zu vermitteln. In Bezug auf die Werke möchte ich ihr Gesamtwerk aufweisen und mögliche erkennbare Hauptthematiken nennen. Im nächsten Kapitel soll auf ein weiteres wichtiges Thema, sowohl für Losas Werk als auch für die Analyse, eingegangen werden – den historischen Hintergrund vor dem der Roman spielt. Das Kapitel ist dazu in zwei Teile gegliedert. Der erste Teil befasst sich dabei mit einem Überblick über die Geschichte Portugals und umreißt wichtige Daten und 2 Vgl. Engelmayer, Elfriede: Vom Anderssein. Zu drei Erzählungen von Ilse Losa. In: Tranvía. Revue der Iberischen Halbinsel. Nr. 26, September 1992, S. 64-65. 2 Informationen zum Ende der Monarchie, der schwierigen Zeit der Ersten Republik und des Estado Novo. Der zweite Teil des Kapitels befasst sich mit der Rolle und Position, die Frauen während der Diktatur in der portugiesischen Gesellschaft innehatten. Dabei bezieht sich das Kapitel auf Rechte, Pflichten, etc. Das fünfte und letzte Theoriekapitel der Arbeit beschäftigt sich mit literaturtheoretischen Ansätzen, die bei der Auseinandersetzung mit dem Text und der Analyse des Romans von Belang sein könnten. Auch dieses Kapitel ist in zwei Unterkapitel unterteilt. Das erste beschäftigt sich mit der feministischen Literaturtheorie und dem weiblichen Schreiben, das zweite zeigt Ansätze aus der Erzähltheorie auf. Da das Hauptaugenmerk dieser Arbeit jedoch auf der Analyse und somit auf der praktischen Arbeit am Text liegt, möchte ich nur einen Überblick geben. Bei der feministischen Literaturtheorie werden vor allem Theorien aus Judith Butlers Gender Trouble und Simone de Beauvoirs Le Deuxième Sexe ausgegriffen, bei der Erzähltheorie gehe ich hauptsächlich auf den Begriff der Fokalisierung nach Gérard Genette ein. Das sechste Kapitel beschäftigt sich schließlich mit dem Hauptteil der Arbeit, der Analyse des Romans Sob Céus Estranhos in Hinblick auf literarische Inszenierungsformen von Frauenstimmen. Zur besseren Übersicht und auch um Unterschiede besser aufzeigen zu können, ist dieser Teil der Arbeit ebenfalls in zwei Unterkapitel geteilt. Der erste Teil des Kapitels beschäftigt sich mit der Inszenierung portugiesischer Frauenfiguren, der zweite Teil mit der Inszenierung der nicht-portugiesischen Frauenfiguren. Der Begriff NichtPortugiesinnen wird dabei absichtlich verwendet, da es sich nicht bei allen ausländischen Frauenfiguren des Romans um Emigrantinnen handeln, sondern manche Charaktere Teil von Josés Vergangenheit in Deutschland sind. Es wird daher bei den Charakteren zwischen portugiesisch und nicht-portugiesisch Inszenierungsunterschied durch die unterschieden, unterschiedliche um Herkunft einen und möglichen Erziehung der nachzuweisen. Die Vorgehensweise ist dabei folgende: Jede einzelne Frauenfigur wird einer eingehenden Analyse unterzogen. Das heißt sie wird anhand von Zitaten – direkten und indirekten Aussagen im Text – möglichst detailliert beschrieben und charakterisiert. Danach soll für jede Figur einzeln festgestellt werden, wie sie im Roman dargestellt wird und ob es sich bei ihr um 3 eine indirekte oder direkte Inszenierung handelt. Am Ende der beiden Kapitel wird dann eine Zusammenfassung gegeben, in der die Ergebnisse bei den Inszenierungsarten der portugiesischen und der nicht-portugiesischen Frauen aufgezeigt werden. Mögliche Auffälligkeiten, Gemeinsamkeiten, etc. sollen dort ebenfalls besprochen werden. Das letzte Kapitel fasst die Ergebnisse dann noch einmal zusammen und stellt sie gegenüber, um einen Gesamtüberblick über die literarische Inszenierung der Frauenstimme bei Ilse Losa zu geben. 4 2. Forschungsstand Die Forschungsgeschichte zu Ilse Losa ist eine relative junge, sie setzt in Portugal mit etwa Anfang der neunziger Jahre ein. Zuvor erschienen bereits Kritiken und Rezensionen über Losas Romane und andere Werke, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ließ aber noch auf sich warten. In Deutschland scheint sie mit der Veröffentlichung der übersetzten Romane Die Welt in der ich lebte (1990; O Mundo em que Vivi, 1949) und Unter fremden Himmeln (1991; Sob Céus Estranhos, 1962) in den neunziger Jahren und der erst verspätet einsetzenden Auseinandersetzung mit der Exilliteratur, vor allem der des „weiblichen Exil“, zusammen zu hängen. 3 Diese beginnende Auseinandersetzung mit der Autorin zeichnet sich anfangs in Artikeln in Sammelbänden ab, vor allem auf diverse Aspekte der drei Romane bezogen. Beispielgebend hierfür sind unter anderem die Artikel von Offenhäußer über Losas Roman Unter fremden Himmeln (1993), von Becker zum Thema Akkulturation und Enkulturation bei Ilse Losa und Jenny Aloni (1995), von Hammer über die Biografie und das Schreiben der Losa (1997) oder zu Stereotypen und Clichés im Roman Sob Céus Estranhos (2000) von Mühlschlegel. Mit Ende der neunziger Jahre befasst man sich immer öfter in Monografien mit Ilse Losa, auch das Themenspektrum erweitert sich auf ihre Erzählungen, Kinderliteratur und die die von ihr vorgenommenen Übersetzungen. Monografische Arbeiten, die diesbezüglich erwähnenswert sind, sind unter anderem: Ilse Losa – Schriftstellerin zwischen zwei Welten (1999) von Nunes, die Diplomarbeit Das Exil als Schreiberfahrung und literarisches Thema im Werk von Ilse Losa, Stella Rotenberg und Ruth Tassoni (1998) von Gruber, die Masterarbeit (Paisagens da Memória. Identidade e alteridade na escrita de Ilse Losa, 2001) und Dissertation (As traduções de Ilse Losa no período do Estado Novo: Mediação cultural e projecção identitária, 2009) von Marques, sowie die ebenfalls von mir verfasste Diplomarbeit Selbstübersetzung bei Ilse Losa (2012). 3 Vgl. Gruber, Doris: Das Exil als Schreiberfahrung und literarisches Thema im Werk von Ilse Losa, Stella Rotenberg und Ruth Tassoni. Diplomarbeit. Universität Wien 1998, S. 5-7. 5 Des Weiteren wurde in den achtziger Jahren unter dem Titel Wo haben Sie Ihre blonden Haare gestohlen? ein Film über Losa gedreht. 4 1989 kam Ilse Losa auch in der Ö1Radioreihe Menschenbilder. Die Sendung vom geglückten Leben des Österreichischen Rundfunks zu Wort. 5 Außerdem sei auf die zahlreichen, über die Jahre hinweg geführten Interviews (unter anderem von Elfriede Engelmayer 6, Rolf Eigenwald 7, Angela Gutzeit 8, Ana Isabel Rosa Marques 9 und Adriana Nunes 10) und Briefkontakte (Doris Gruber 11, Arnim Borski 12) hingewiesen, die Einblicke in das Leben und Werk von Losa geben. Trotz der mittlerweile relativ vielseitigen und umfassenden Beschäftigung mit Losas Werk, vor allem den Romanen O Mundo em que Vivi und Sob Céus Estranhos, sind noch lange nicht alle Aspekte ihres Schaffens aufgearbeitet. So ist auch eine Analyse in Hinblick auf die Frage ob Losas Literatur als feministische Literatur/Frauenliteratur 13 gesehen werden kann oder welche Arten von literarischer Inszenierung von Frauenstimmen in ihren Texten erfolgen, noch nicht vorgenommen worden. In Bezug auf die literaturtheoretischen Kapitel ist anzumerken, dass sowohl zur feministischen Literaturtheorie, als auch zur Erzähltheorie bereits eine Vielzahl an Texten vorliegt. Die hier genannten Vorschläge haben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und sollen nur jene Texte nennen, die mir bei der Beschäftigung mit dem Thema und der Arbeit selbst, hilfreich waren. 4 Vgl. Eigenwald, Rolf: Gespräch mit der Schriftstellerin Ilse Losa. Der Wunsch nach sprachlicher Integration. In: Neue Gesellschaft. Frankfurter Hefte. Nr. 9, 1997, S. 828. Auf: http://library.fes.de/cgibin/ng_mktiff.pl?year=1997&pdfs=1997_0824x1997_0825x1997_0826x1997_0827x1997_0828 [Letzter Zugriff am 18.10.2012] 5 Vgl. Berchthold, Elisabeth (Gestaltung): Unter fremden Himmeln – Die Schriftstellerin und Übersetzerin Ilse Losa. Radioreihe „Menschenbilder. Die Sendung vom geglückten Leben“, ORF 29.10.1989. 6 Vgl. Engelmayer, Elfriede: „Denn Sprache ist ja Heimat, dieses furchtbare Wort“. Ein Gespräch mit Ilse Losa. Porto/Januar 89. In: Tranvía. Revue der Iberischen Halbinsel. Nr. 51, Dezember 1998, S.62-64. 7 Vgl. Eigenwald: Gespräch mit der Schriftstellerin Ilse Losa, S. 824-828. Auf: http://library.fes.de/cgibin/ng_mktiff.pl?year=1997&pdfs=1997_0824x1997_0825x1997_0826x1997_0827x1997_0828 [Letzter Zugriff am 18.10.2012] 8 Vgl. Gutzeit, Angela: „Die Welt, in der ich lebte.“ – Begegnungen mit einer Emigrantin. In: Anschläge. Magazin für Kunst und Kultur. Nr. 19, November/Dezember 1988, S. 12-14. 9 Vgl. Marques, Ana Isabel: Paisagens da Memória. Identidade e alteridade na escrita de Ilse Losa. Coimbra: Edições MinervaCoimbra 2001, S. 209-213. 10 Vgl. Nunes, Adriana: Ilse Losa, Schriftstellerin zwischen zwei Welten. Berlin: edition tranvía, Verlag Walter Frey 1999, Kommentare aus Interview mit Ilse Losa vom Juni 1994. 11 Vgl. Gruber: Das Exil als Schreiberfahrung, S. 67-68 u. S. 72-73, Zitate aus Brief Losas vom 29.12. 1996. 12 Lehr, Michael (Hg.): Briefe aus dem Exil. 30 Antworten von Exilanten auf Fragen von Arnim Borski. Mit einem Vorwort von Günter Kunert und einem Nachwort von Arnim Borski. Katalog 100. Berlin: Antiquariat Michael Lehr 2011. 13 Anm. Einen ersten Vorstoß in diese Richtung stellt Dieter Offenhäußers Beitrag im von Elfriede Engelmayer und Renate Heß herausgegebenen Band Die Schwestern der Mariana Alcoforado (1993) dar. 6 In meiner ersten Herangehensweise und einer ersten Gliederung der Arbeit orientierte ich mich an Haslingers Frauenstimmen von der Grenze – Bilder von Weiblichkeit bei mexikanischen und Chicana-Autorinnen (2012). Die beiden Einführungen in die feministische Literatur von Lindhoff (2003) und Sexl (2004), aber auch Krolls Gender Studies in den romanischen Literaturen (1999), halfen dann einen Überblick über diverse Strömungen, Richtungen und Ansätze zu bekommen und die für die Analyse relevanten Thesen herauszufiltern. Infolgedessen habe ich mich vor allem mit Butlers Gender Trouble (1990) und Performative Akte und Geschlechterkonstitution (2002) auseinandergesetzt, da beide Texte für diese Analyse und die Bestimmung der Inszenierung von Frauenstimmen essentiell sind. Sadliers The Question of How (1989) war sehr hilfreich, um Informationen über den portugiesischen Feminismus und damit verbunden auch über die Rolle der portugiesischen Frau im Wandel der Zeit zu erfahren. Texte, wie beispielsweise Weigels Die Stimme der Medusa (1987), Scherrers Schreiben Frauen anders? (1998), Klügers Was Frauen schreiben (2010) und Magalhães’ O Sexo dos Textos e Outras Leituras (1995) ermöglichten eine Annäherung an das Thema der Frauenliteratur und des weiblichen Schreibens. In Bezug auf die Erzähltheorie habe ich mich vor allem mit dem Text Die Erzählung (32010) von Gérard Genette und des darin definierten Begriffs der Fokalisierung auseinandergesetzt, mir aber auch durch Texte wie Fluderniks Erzähltheorie. Eine Einführung (32010) oder Toolans Narrative, A critical linguistic introduction (1992) einen Überblick über das Thema verschafft. Auch Stanzels Typische Formen des Romans (1967) und Theorie des Erzählens (21982) waren mir bei der Analyse und der Bestimmung der Perspektive und Erzählstruktur eine große Hilfe. 3. Biografischer Hintergrund Wenn man sich mit Losas Werk auseinandersetzt, muss man sich zwangsläufig auch mit ihrer Biografie auseinandersetzen. Es wäre zwar vermessen ihre drei Romane und unzähligen anderen Texte als rein autobiografisch zu betrachten, jedoch stellen Losas Eindrücke und Erlebnisse, vor allem als Flüchtling und Emigrantin, eine wesentliche Thematik ihres Werkes dar. Daher erscheint es sinnvoll, das Leben der Autorin von Sob Céus Estranhos zu 7 umreißen. 14 Zudem soll hier ein Überblick über Losas Werk gegeben werden, um die verschiedenen Themenkomplexe aufzuzeigen und so auch den Roman Sob Céus Estranhos einer ersten Einordnung unterziehen zu können. 3.1. Ilse Losas Leben Ilse Losa, geboren als Ilse Lieblich am 20. März 1913 in Buer, gestorben am 6. Jänner 2006 in Porto, wird als ältestes von drei Kindern in einer jüdische Familie geboren. Sie hat zwei jüngere Brüder, Ernst und Fritz. Mit Ausbruch des ersten Weltkriegs ziehen die Eltern ins nahe gelegene Melle um. Losa bleibt in Buer bei den Großeltern. Sie hängt vor allem am Großvater. Zu ihm entwickelt sie ein inniges Verhältnis und erlebt eine glückliche Kindheit, die als Inspirationsquelle für ihren ersten Roman O Mundo em que Vivi dienen wird. Bereits im Dorf beginnt ihr Leben zwischen den Kulturen 15, wie sie es später nennen wird. Losas Freundeskreis besteht damals zwar noch aus Kindern unterschiedlicher Glaubensrichtungen, trotzdem sind sie und ihre Familie im Dorf aufgrund der Religion bereits Außenseiter oder zumindest anders. Mit der Einschulung wird sie zu ihren Eltern in die Kleinstadt Melle geschickt, was einen Bruch in ihrem Leben darstellt. 1930 verstirbt ihr Vater und Losa muss aus finanziellen Gründen die Schule beenden. Während die Mutter eine Pension betreibt, besucht Losa einen Handelsschulkurs. Danach geht sie nach England. Da für einen Sprachkurs zu wenig Geld vorhanden ist, arbeitet sie als Au-pair. Ihr späteres Interesse für Kinder, Kindererziehung und Kinderliteratur stammt aus dieser Zeit. Außerdem beginnt sie mit dem Schreiben, zuerst nur tägliche Erlebnisse und Beobachtungen 16, später auch kurze Geschichten. Zu einer Veröffentlichung kommt es damals jedoch noch nicht, die Texte gehen durch Losas Flucht verloren. Losa kehrt nach Deutschland zurück und arbeitet von 1932 bis 1933 in einem Hannoveraner Krankenhaus. Als Hitler an die Macht kommt, ändert sich ihr Leben schlagartig, so verliert sie beispielsweise ihre Arbeit. Über das jüdische Arbeitsamt wird sie als Büroangestellte nach 14 Anm. Für eine ausführlichere Auseinandersetzung mit Losas Biografie empfiehlt sich das Buch Paisagens da Memória. Identidade e alteridade na escrita de Ilse Losa von Marques (2009) oder die ebenfalls von mir verfasste Diplomarbeit zum Thema Selbstübersetzung bei Ilse Losa (2012), siehe Literaturverzeichnis. 15 Vgl. Berchthold: Unter fremden Himmeln – Die Schriftstellerin und Übersetzerin Ilse Losa, Track 3, ab 00:00. 16 Vgl. Gruber: Das Exil als Schreiberfahrung, S. 64. 8 Berlin vermittelt. 17 1934 wird schließlich ein Brief Losas, den sie an eine Freundin schickt, abgefangen. Losa wird von der Gestapo vorgeladen. Nach einem mehrstündigen Verhör lässt man sie gehen. Der Gestapobeamte gibt ihr aber zu verstehen, dass man sie in sechs Tagen über eine mögliche Deportation benachrichtigen würde. Sie selbst schreibt später in einem Brief an Arnim Borski folgendes: „Diesen Glücksfall verdankte ich ausschließlich meinem „arischen“ Aussehen (blondes Haar, helle Augen) und meiner Jugend.“ 18 Losa nutzt ihre Chance und flieht nach Portugal, wo sie im März 1934 ankommt und „das Gefühl [hat], in einer anderen Welt gelandet zu sein.“ 19 „Portugal erscheint [ihr] als ein Land des Elends und der Enge, der Vorurteile und der rechtlosen Frauen.“ 20 Sie erlebt einen regelrechten Kulturschock, als sie mit den Zuständen und Lebensumständen in Portugal konfrontiert wird. Doch Losa hält sich nicht an die in Portugal herrschenden Konventionen und sagte diesbezüglich in einem Interview mit Engelmayer: „[…] ich machte, was ich wollte." 21 In der ersten Zeit verdient sie ihren Lebensunterhalt als Kindermädchen und durch Deutschstunden. Ihr Bruder Ernst, der ebenfalls nach Porto geflohen war, hatte sich bereits einen studentischen Freundeskreis aufgebaut, dem auch Losa bald angehört. Unter ihnen befindet sich der angehende Architekt Arménio Taveira Losa, den sie 1935 heiratet. 1938 und 1943 werden die beiden Töchter Alexandra und Margarida geboren 22. „Als die Kinder kamen, wuchsen mir auch schuechterne [sic!] Wurzeln.“ 23, schrieb Losa in einem ihrer Briefe an Borski. Durch die Heirat erhält Losa eine Arbeitserlaubnis und die portugiesische Staatsbürgerschaft. Sie wird somit zumindest formal zur Portugiesin. Trotzdem blieb sie durch Freundeskreis und Familie mit den Schicksalen der vielen Emigranten verbunden. In den folgenden Jahren geht sie zahlreichen beruflichen Tätigkeiten nach: von 1937 bis 1939 unterrichtet Losa an der Escola Superior de Educação de Porto Kinderliteratur, in den sechziger Jahren liest Losa für 17 Vgl. Hammer, Gerd: Fluß ohne Brücke. Das Schreiben der Ilse Losa. In: Thorau, Henry (Hg.) unter Mitarbeit von Marina Spinu: Portugiesische Literatur. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S. 429. 18 Lehr: Briefe aus dem Exil, S. 24. 19 Vgl. Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 63. 20 Offenhäußer: Ilse Losa: Unter fremden Himmeln, S. 172. 21 Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 64. 22 Vgl. Marques: Paisagens da Memória, S. 45-46. 23 Lehr: Briefe aus dem Exil, S. 26. 9 die Verlage S. Fischer und Livros do Brasil und übersetzt sowohl portugiesische als auch deutsche Autoren. 24 Neben diesen Tätigkeiten beginnt Losa wieder zu schreiben. Anfangs diente das Schreiben jedoch nicht dem Zweck Geld zu verdienen oder Ruhm zu erlangen, sondern war eine ärztliche Verordnung – schreiben auf Rezept sozusagen. 25 Um sich voll und ganz als Portugiesin fühlen zu können, aber auch auf das Zureden anderer, wählt sie Portugiesisch als ihre Arbeitssprache. Ihr erster Roman O Mundo em que Vivi entsteht aus diesen Schreibübungen und ihren Kindheitserinnerungen, er wird 1949 veröffentlicht. Dieser Roman der Autorin wurde in Portugal ein großer Erfolg, was die Neuauflage von 1987 und die Tatsache, dass das Buch seit 1992 in Portugal zur Pflichtlektüre an Schulen zählt, belegen. 1949 veröffentlicht Losa ihr erstes Kinderbuch und schreibt nebenher immer wieder Erzählungen für portugiesische Zeitschriften. Diese ersten Arbeiten legen den Grundstein zu dem umfangreichen Spektrum ihres Schaffens: Romane, Erzählungen, Kurzgeschichten, Anthologien, Kinderbücher, Dramen und Prosagedichte. 1951 kehrt sie nach ihrer Flucht zum ersten Mal nach Deutschland zurück. Die Heimat ist ihr mittlerweile jedoch fremd geworden. Auch ein paar Amerikareisen folgen. Ihr werden vor allem ab den achtziger Jahren zahlreiche Preise verliehen, meistens für ihre Kinderliteratur oder Erzählungen. 26 1988 stirbt ihr Mann, 1999 die Tochter Margarida. Erst spät erntet sie auch in Deutschland Ruhm für ihr literarisches Werk. 1990 erscheint ihr erster Roman unter dem Titel Die Welt in der ich lebte in einer Übersetzung von Maralde Meyer-Minnemann in Zusammenarbeit mit Losa in Deutschland. 1991 erscheint der dritte Roman Losas unter dem Titel Unter fremden Himmeln, den sie diesmal selbst übersetzt. 3.2. Losas Werk Ilse Losa beginnt bereits als Jugendliche zu schreiben. Diese ersten Texte und Aufzeichnungen gingen durch ihre eigene Flucht aus Deutschland und schließlich durch die 24 Vgl. Hammer: Fluß ohne Brücke, S. 433. Hammer: Fluß ohne Brücke, S. 432. 26 Vgl. Marques, Ana Isabel: As traduções de Ilse Losa no período do Estado Novo: Mediação cultural e projecção identitária. Tese de Doutoramento (Dissertation). Universidade de Coimbra 2009, S. 63. Auf: https://estudogeral.sib.uc.pt/bitstream/10316/12615/3/Tese%20Ana%20Isabel%20Marques.pdf [Letzter Zugriff 30.10.2012]. 25 10 Zerstreuung ihrer Familie verloren. 27 Im Exil angekommen, schreibt sie aufgrund von Depressionen ihre Kindheits- und Jugenderlebnisse nieder. Der Arzt, Freunde und ihr Mann ermutigen sie, den Schritt einer Veröffentlichung auf Portugiesisch zu wagen. 28 Und so veröffentlicht sie bis auf wenige Ausnahmen ihr gesamtes Werk in der für sie neuen Sprache. 29 Ihr Erstlingswerk ist der Roman O Mundo em que Vivi, der 1949 erscheint und der in Grundzügen Losas Kindheit und Jugend bis zum Gestapoverhör vor ihrer Flucht wiedergibt. 1952 folgt der Roman Rio Sem Ponte, der sich auch um die Entscheidung ins Exil zu gehen, dreht. 1962 wird Losas dritter Roman Sob Céus Estranhos, der in dieser Arbeit behandelt wird und der vom Leben und den Erlebnissen des Flüchtlings José im Exil erzählt, veröffentlicht. Während die ersten beiden Romane noch in Deutschland angesiedelt sind, spielt der dritte bereits in Portugal. Der dritte Roman war gleichzeitig auch der letzte Roman Losas. Die Tatsache, dass die Protagonisten der drei Romane dieselben Erlebnisse haben wie Losa (O Mundo em que Vivi – Kindheit und Jugend im Dorf; Rio Sem Ponte – erste Liebe und Au-pair-Aufenthalt in England; Sob Céus Estranhos – Flucht und Leben im portugiesischen Exil), lässt die Rezeption und Kritik oft von einer Trilogie sprechen. 30 Es lässt sich nicht leugnen, dass Losa in ihren drei Romanen auch Aspekte ihrer eigenen Biografie bearbeitet hat. Losa meinte dazu zwar, dass ihre „Romane und Erzählungen […] unbedingt durch eigene Ereignisse geprägt“ 31 sind, weigert sich aber zeitlebens, O Mundo em que Vivi als „totale Autobiografie“ 32 und die anderen Romane als Fortsetzungen zu sehen. Vor allem Sob Céus Estranhos könne man laut Losa nicht als autobiografischen Bericht deuten, da die Lebenswirklichkeit des Protagonisten José Berger nicht ihrer eigenen 27 Vgl. Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 62. Vgl. Gruber: Das Exil als Schreiberfahrung, S. 64. 29 Anm. Als ihre Romane Jahrzehnte später in Deutschland auf Deutsch erscheinen, wird die Konfliktsituation, den Losas Sprachwahl darstellte, erneut aufbrechen. In ihren späteren Interviews bezeichnet sie diese Entscheidung als einen Fehler und meinte, dass sie von Anfang an auf Deutsch hätte schreiben sollen. Siehe dazu: Holzschuh: Selbstübersetzung bei Ilse Losa. 30 Siehe u.a. Marques: As traduções de Ilse Losa no período do Estado Novo, S. 75. Auf: https://estudogeral.sib.uc.pt/bitstream/10316/12615/3/Tese%20Ana%20Isabel%20Marques.pdf [Letzter Zugriff 30.10.2012]. 31 Eigenwald: Gespräch mit der Schriftstellerin Ilse Losa, S. 826. Auf: http://library.fes.de/cgibin/ng_mktiff.pl?year=1997&pdfs=1997_0824x1997_0825x1997_0826x1997_0827x1997_0828 [Letzter Zugriff am 18.10.2012]. 32 Eigenwald: Gespräch mit der Schriftstellerin Ilse Losa, S. 826. Auf: http://library.fes.de/cgibin/ng_mktiff.pl?year=1997&pdfs=1997_0824x1997_0825x1997_0826x1997_0827x1997_0828 [Letzter Zugriff am 18.10.2012]. 28 11 entsprochen habe. Sie betont diesbezüglich auch immer wieder, dass sie immer Erlebtes mit Fiktivem verwoben habe. 33 Das Losa sich nach drei Romanen anderen Textarten zuwandte, begründete sie damit, dass ihr für weitere Romane eine tiefere Einsicht und Kenntnis der portugiesischen Lebenswelt fehlte und sie nicht mehr genug aus ihrer eigenen Erfahrungswelt schöpfen konnte. 34 „Deutschland ist ihr nur noch eine Erinnerung, keine Erfahrung mehr.“ 35 Wäre sie in Deutschland geblieben, so meinte sie selbst „waere [sic!] ich mehr geworden als Schriftstellerin.“ 36 Die Arbeit an einem Roman sei zudem eine andere, sie würde mehr Zeit in Anspruch nehmen und sie auch sonst mehr beanspruchen, als beispielsweise Erzählungen oder Geschichten für Kinder. 37 1951 erscheint mit Grades Brancas ein Band mit Prosagedichten. Später wird sie sich vehement gegen eine Neuauflage ihrer Gedichte aussprechen. Mögliche Motive dafür sind, dass Losas Lyrik noch intimere Gefühle als die Prosatexte preisgibt und ihr die Sprachwahl des Portugiesischen später für Gedichte unpassend erscheint. 38 Durch die intensive Auseinandersetzung mit Kindern, die sie als Au-pair erfahren hatte, beginnt Losa sich auch mit Erziehungsfragen und Kinderliteratur zu beschäftigen. 39 Durch dieses Interesse und den eher schwierigen Stand dieser Literaturform 40 in Portugal inspiriert, erscheint 1949 das erste Kinderbuch Losas unter dem Titel Faísca Conta a Sua História. Doch abgesehen davon, dass Ilse Losa selbst Kinder- und Jugendbücher verfasste, machte sie sich auch allgemein für die Kinderliteratur stark. „Ilse Losa desenvolveu um importante trabalho editorial, tendo, na qualidade de leitora da Porto Editora, promovido a divulgação de obras, nacionais e estrangeiras, na colecção “Asa Juvenil”, nas décadas de 70 e 80.” 41 Aber 33 Eigenwald: Gespräch mit der Schriftstellerin Ilse Losa, S. 826-827. Auf: http://library.fes.de/cgibin/ng_mktiff.pl?year=1997&pdfs=1997_0824x1997_0825x1997_0826x1997_0827x1997_0828 [Letzter Zugriff am 18.10.2012]. 34 Vgl. Offenhäußer, Dieter: Ilse Losa: Unter fremden Himmeln. »… als zöge die Landschaft und wir ständen fest.« In: Engelmayer, Elfriede und Renate Heß (Hg.): Die Schwestern der Marian Alcoforado. Portugiesische Schriftstellerinnen der Gegenwart. Berlin: edition tranvía 1993, S. 182. 35 Offenhäußer: Ilse Losa: Unter fremden Himmeln, S. 182. 36 Lehr: Briefe aus dem Exil, S. 26. 37 Vgl. Marques: Paisagens da Memória, S. 209. 38 Vgl. Köffers, Susanne: “Sonhar é partir.“ Innere und äußere Reisen im Werk von Ilse Losa. In: Lange, WolfDieter und Andrea-Eva Smolka (Hg.): 25 Jahre nachrevolutionäre Literatur in Portugal. Nationale Mythen und kulturelle Identitätssuche. Bd. 26. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2001, S. 264. 39 Anm. Für eine eingehende Beschäftigung mit Losas Kinder- und Jugendliteratur empfiehlt sich die 2006 eingereichte Dissertation Figurações da Infância na Obra de Ilsa Losa von Maria Goreti da Silva Torres. 40 Hammer: Fluß ohne Brücke, S. 435. 41 Marques: As traduções de Ilse Losa no período do Estado Novo, S. 70. Auf: https://estudogeral.sib.uc.pt/bitstream/10316/12615/3/Tese%20Ana%20Isabel%20Marques.pdf [Letzter Zugriff 30.10.2012]. 12 nicht nur in der Kinderliteratur war Losa tätig, sie verfasste 1954 auch einen Ratgeber: Nós e a Criança: um Livro para os Pais. In Portugal machte sich Ilse Losa vor allem durch ihre Kinder- und Jugendliteratur – über zwanzig Erzählungen, Kurzgeschichten und Theaterstücke – aber auch durch ihr Engagement, den Kindern Werke ausländischer Autoren zugänglich zu machen, einen Namen. So gilt sie bis heute als eine jener Schriftstellerinnen, die maßgeblich an der Entstehung oder Formgebung der heutigen portugiesischen Kinderliteratur beteiligt waren. Losas Erzählungen, die zahlreich in Zeitschriften und Anthologien veröffentlicht wurden – unter anderem À Flor do Tempo, Ida e Volta – À Procura de Babbitt oder Tagträume und Erzählungen der Nacht – machen wohl den Großteil ihres Gesamtwerks aus. In ihrem Werk gibt es zwei Ausnahmen, die einen Exkurs in die deutsche Sprache darstellen. 1958 wurde die Erzählung Retta in der Zeitschrift Neue Deutsche Literatur des Ostberliner Verlags Aufbau abgedruckt. 1967 erschien eine Sammlung von Erzählungen mit dem Titel Das versunkene Schiff im ebenfalls ostdeutschen Verlag der Nation, die erst 1979 unter dem Titel O Barco Afundado ins Portugiesische übersetzt wurde. 42 Die Themenwahl in Losas Texten ist sehr vielfältig. Die Geschichten bewegen sich vor allem vor zwei Hintergründen: zum einen im Deutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und zum anderen im Portugal des Estado Novo. 43 Losa beschäftigt sich hauptsächlich mit Thematiken wie dem Exil, dem Allein- und Ausgegrenzt-Sein, Identitätsverlust, Alltagsprobleme, Kindheit mit all ihren Sorgen, Freuden und Gedanken. Ein Thema das für Losa sehr wichtig war, in ihren Erzähltexten jedoch fast gänzlich unerwähnt blieb, ist die Sprache. Bei Nunes findet sich diesbezüglich die Aussage, dass es bei Losa „Kurioserweise […] keine direkte Anspielung auf die Problematik der Aneignung einer neuen Sprache.“ 44 gibt. Laut Engelmayer lassen sich Losas Erzähltexte unter anderem in folgende drei „thematische Konstanten“ 45 unterteilen: das Exil, die Welt des Kindes, sowie Geschichten die sich oft mit Frauen- und Einzelschicksalen beschäftigen und in der portugiesischen Realität 42 Vgl. Marques: As traduções de Ilse Losa no período do Estado Novo, S. 67. Auf: https://estudogeral.sib.uc.pt/bitstream/10316/12615/3/Tese%20Ana%20Isabel%20Marques.pdf [Letzter Zugriff 30.10.2012]. 43 Vgl. Marques: As traduções de Ilse Losa no período do Estado Novo, S. 70. Auf: https://estudogeral.sib.uc.pt/bitstream/10316/12615/3/Tese%20Ana%20Isabel%20Marques.pdf [Letzter Zugriff 30.10.2012]. 44 Nunes: Ilse Losa, Schriftstellerin zwischen zwei Welten, S. 102. 45 Engelmayer: Vom Anderssein, S. 64. 13 angesiedelt sind. 46 Dem in dieser Arbeit behandelten Roman Sob Céus Estranhos lässt sich auf den ersten Blick vor allem die Thematik des Exils in all seinen Facetten zuschreiben. Ob bei dem Roman auch die Thematik der Einzel- und Frauenschicksale belegt werden kann wird die später folgende Analyse zeigen. 4. Historischer Hintergrund Der Roman Sob Céus Estranhos wurde 1962 während der Zeit des Estado Novo veröffentlicht. Deshalb ist es für ein besseres Verständnis des Werks wichtig auch den historischen Hintergrund zu kennen vor dem die Erzählung sich bewegt. In diesem Kapitel sollen, in Hinblick auf die spätere Analyse der literarischen Inszenierung von Frauenstimmen, kurz die wichtigsten Momente auf dem Weg zur Diktatur und während des Estado Novo umrissen, aber auch die Rolle und das Leben der Frauen unter Salazar aufgezeigt werden. Dadurch können bei der späteren Analyse traditionelle und atypische Charaktere herausgearbeitet werden. 4.1. Von der Monarchie zum Estado Novo Bereits seit dem 12. Jahrhundert war Portugal ein Königreich, das von 1250 bis heute immer in etwa in denselben Grenzen bestehen blieb. Herrschergeschlecht war zuerst das Haus Burgund, danach das von Avis, auf welches das sechzigjährige Interregnum der spanischen Habsburger folgte. Nach Ende der spanischen Herrschaft kam die Adelsfamilie Bragança an die Krone, die im Jahr 1853 in direkter Linie ausstarb. Der König wurde daraufhin bis zum Ende der Monarchie 1910 vom portugiesischen Zweig der Familie Sachsen-Coburg und Gotha gestellt. Diese letzten Jahre der Monarchie waren unter anderem von folgenden Missständen geprägt: sehr hohe Armut und Analphabetismus, wirtschaftliche Probleme und republikanische Aufstände. 1908 gipfelten diese Probleme in einem Attentat König und den Thronfolger. Der Zweitgeborene überlebte das Attentat und bestieg als König Emmanuel II. den Thron. Er konnte die Monarchie jedoch nicht mehr retten. Bereits zwei Jahre nach dem Attentat brach eine Revolution aus und die Erste Republik, die bis 1926 dauern sollte, wurde 46 Vgl. Engelmayer: Vom Anderssein, S. 64-65. 14 ausgerufen. Doch auch die neue Staatsform war kein Garant für Stabilität. In den sechzehn Jahren der Republik wurden über vierzig neue Regierungen gebildet, das Parlament und der Staatspräsident in etwa alle zwei Jahre neu gewählt. Auch Gewalt, Streiks und Aufstände waren an der Tagesordnung. 47 Das Bevölkerungswachstum ging zwischen 1901 und 1921 stark zurück, Probleme mit der Nahrungsversorgung aus eigener Landwirtschaft kamen hinzu. 48 Über die Jahre sammelten sich viele Probleme an: der Analphabetismus war immer noch enorm hoch, das Gesundheits- und Bildungssystem kränkelte, das Land war sehr rückständig und die Bevölkerung verarmte immer mehr. Auch im Ersten Weltkrieg fehlte Portugal die Stabilität. Offiziell war das Land neutral, hatte aber gleichzeitig dem alten Bündnispartner Großbritannien Unterstützung zugesagt. 1916 wurde Portugal von Deutschland der Krieg erklärt, woraufhin die Portugiesen auf Seiten der Triple Entente in den Krieg eintraten. Dies schädigte das Ansehen der Demokratischen Partei erneut. 49 Die politisch instabile Situation, die gravierenden Probleme und die vielen Rückschläge führten 1926 schließlich zu einer Revolte von General Gomes da Costa. 50 Nachdem der erste Staatspräsident schon nach kurzer Zeit von Costa gestürzt wurde und man diesen ins Exil zwang, übernahm General Óscar António de Fragoso Carmona das Amt. 51 Bereits 1926 wurde unter Carmona eine Militärdiktatur ausgerufen. Ab 1928 war Salazar Finanzminister, der die katastrophale finanzielle Situation Portugals lösen sollte. Er war mit seiner Sparpolitik anfangs durchaus erfolgreich, denn 1939 waren die Staatsschulden zur Gänze getilgt. 52 1932 wurde Salazar Ministerpräsident, weshalb dieses Jahr oft als Anfangsjahr des Estado Novo genannt wird. Das Parteiensystem wurde abgeschafft, 1933 folgte eine neue Verfassung. Nicht alle in der Bevölkerung waren mit dem neuen Weg, den Portugal einschlug, einverstanden. Immer wieder kam es in den folgenden Jahrzehnten zu Revolten und Putschversuchen, die alle niedergeschlagen wurden. Salazars strikter Sparkurs und das Herunterschrauben sämtlicher Ausgaben fror Portugal in seinem damaligen Zustand ein. Einsparungen wurden vor allem auf Kosten der unteren Gesellschaftsschichten vorgenommen, die bis in die fünfziger und sechziger Jahre stark vernachlässigt wurden. Erst 47 Vgl. Bernecker, Walther L. und Horst Pietschmann: Geschichte Portugals. Vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck 22008, S. 100. 48 Vgl. Marques, António Henrique de Oliveira: Geschichte Portugals und des portugiesischen Weltreichs. Aus dem Portugiesischen von Michael von Killisch-Horn. Stuttgart: Alfred Körner Verlag 2001, S. 526-527. 49 Vgl. Bernecker, Pietschmann: Geschichte Portugals, S. 101. 50 Vgl. Marques: Geschichte Portugals, S. 511. 51 Vgl. Marques: Geschichte Portugals, S. 554. 52 Vgl. Mühlen: Fluchtweg Spanien-Portugal, S. 118. 15 danach begann sich die Lage langsam zu bessern. Salazar setzte zudem auf strikte Überwachung seines Volks, zum einen durch moralische und politische Zensur und zum anderen durch die Gründung der Polícia de Vigilância e Defesa do Estado (PVDE), die sich an der deutschen Gestapo orientierte. 1946 wurde sie in die gefürchtete Polícia Internacional e de Defesa do Estado (PIDE) umgewandelt und ihr Zuständigkeitsbereich erweitert. Auch ein KZ-ähnliches Gefängnis auf den Kap Verden richtete man 1936 ein, in das vor allem politische Gegner gesperrt wurden. Mit kurzen Unterbrechungen blieb es bis 1974 in Betrieb. 53 Im Zweiten Weltkrieg blieb Portugal neutral, was Salazar jedoch nicht davon hinderte, sowohl mit den Achsenmächten als auch den Alliierten zu Handeln und Kontakt zu pflegen. 1943 erlaubte Portugal schließlich den Briten und Amerikanern ihre Truppen auf den Azoren zu stationieren. 54 Zu den Problemen, die in Kontinentalportugal unter Salazar herrschten (Analphabetismus, Armut, politische und soziale Ungerechtigkeit, etc.), kamen schließlich auch jene der Kolonien, vor allem was ihre Unabhängigkeit betraf. Diese Konflikte führten in den sechziger Jahren zum Beginn der Kolonialkriege, die bis zum Ende des Estado Novo andauern sollten. Salazar konnte sich bis 1968, als er einen Schlaganfall erlitt, im Amt des Ministerpräsidenten halten. Danach kam Marcelo Caetano an die Macht. Caetano startete zwar einen Versuch den an allen Ecken und Enden krankenden Estado Novo zu retten, es war jedoch zu spät. Am 25. April 1974 kam es zu einem Putsch, der Nelkenrevolution, die dem Estado Novo ein Ende setzte und Portugal zu einem demokratischen System führte. 4.2. Frauen im Estado Novo Die Rolle der Frau war im Portugal des 19. Jahrhunderts wie in vielen anderen europäischen Staaten auf die Familie, den Haushalt, die Kinder und die Pflege kranker Bekannten oder Verwandten beschränkt. Mit dem Ende der Monarchie und der Ausrufung der República Democrática Portuguesa im Jahr 1910 erhoffte man sich auch eine Reform der Frauenrechte. 53 Schäfer, Jürgen: „Ihr seid gekommen, um hier zu sterben“. Nahezu unbekannt: Das portugiesische Konzentrationslager Tarrafal von 1936 bis 1954 auf den Kapverden. In: Die Tageszeitung Junge Welt, 19.10.2005, S. 15. Auf: https://www.jungewelt.de/loginFailed.php?ref=/2005/10-19/012.php?sstr=Tarrafal [Letzter Zugriff am 22.3.2012] 54 Vgl. Bernecker, Pietschmann: Geschichte Portugals, S. 116. 16 In dieser politisch instabilen Zeit, die bis 1926 andauerte, wurden einige Gesetze verabschiedet, welche die Situation der Frauen ein wenig verbesserten. Das Leben der Frau war während der Zeit des Estado Novo relativ lange durch einen in den Grundzügen gleichbleibenden Gesetzestext geregelt. 1867 trat der Código de Seabra in Kraft, der nur wenige Änderungen erfuhr und erst hundert Jahre später durch ein neues Zivilgesetzbuch abgelöst wurde. Dieser besagte, dass verheiratete Frauen bei ihrem Ehemann wohnen und ihn überall hin begleiten mussten, dass der Ehemann alleinige Entscheidungsund Verfügungsgewalt über die Güter und das Geld seiner Frau und Kinder hatte. Die Frau musste ihrem Mann Gehorsam leisten und durfte ohne seine Erlaubnis weder arbeiten, noch irgendwelche Geschäfte führen oder selbst Geschriebenes veröffentlichen. 55 Die Frauen erlebten durch diese Gesetze jedoch bereits eine Verbesserung zu ihrer vorherigen Situation: so erhielten verwitwete Frauen beispielsweise endlich das Sorgerecht für Kinder, die zuvor nach dem Tod des Vaters bereits als Waisen gegolten hatten. 56 Wirklich gleichberechtigt waren sie dadurch aber noch lange nicht. Auch die erste Republik brachte einige Neuerungen, unter anderem ein neues Scheidungsgesetz im Jahr 1910 das Mann und Frau relativ gleichgestellt behandelte. Doch mit dem Beginn der Diktatur verschlechtere sich die Situation der Frauen wieder, denn viele der Zugeständnisse wurden durch den neuen Código de Processo Civil von 1939 wieder zurückgenommen. 57 In den vollen Besitz ihrer Bürgerrechte kamen Frauen erst nach dem Ende des Estado Novo 1974. Die 1910 eingeführte Zivilehe wurde in den vierziger Jahren wieder abgeschafft, danach konnte nur noch katholisch geheiratet werden. Doch war eine Scheidung der kirchlich geschlossenen Ehe nicht möglich. Da man sich nicht mehr trennen oder scheiden lassen konnte, lebten viele ihre Liebesbeziehungen oder Lebensgemeinschaften illegal aus 58, was zu einem extremen Anstieg bei den unehelich geborenen Kindern führte. Erst ab 1945 ist langsam wieder ein Rückgang zu erkennen. 59 55 Vgl. Pimentel, Irene Flunser: História das Organizações Femininas do Estado Novo. Lissabon: Temas e Debates 2001, S. 33. 56 Vgl. Sadlier, Darlene J.: The Question of How. Women Writers and new portuguese Literature. Contributions in Women’s Studies, n°109. New York, Westport, London: Greenwood Press 1989, S. 113-114. 57 Vgl. Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 34. 58 Vgl. Sadlier: The Question of How. Women Writers and new portuguese Literature, S. 122. 59 Vgl. Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 59-60. 17 Auch was das Frauenwahlrecht anbelangte, blieb Portugal hinter allen anderen europäischen Staaten zurück. 1911 nützte Dr. Carolina Beatriz Ângelo den unklar formulierten Gesetzestext bezüglich des Wahlrechts aus um sich für die Wahl registrieren zu lassen. Dieser besagte, dass man nur wählen durfte, wenn folgendes zutraf: der Wähler musste das Familienoberhaupt sein, das Alter von einundzwanzig Jahren erreicht haben, sowie die Sekundarstufe einer Schule oder eine höhere Ausbildung abgeschlossen haben. Im Fall von Carolina Beatriz Ângelo, die das Alter von einundzwanzig Jahren erreicht hatte, verwitwet war – was sie zum Familienoberhaupt machte – und zudem noch studiert hatte, trafen alle Punkte zu. Sie wurde somit die erste Portugiesin die zu einer Wahl zugelassen wurde. Kurze Zeit später wurde dem Gesetz jedoch hinzugefügt, dass nur ein männlicher Familienvorstand wählen durfte. 60 Ab 1931 wurden Frauen wieder zur Wahl zugelassen, wenn sie als Witwe das Familienoberhaupt waren oder sich der Ehepartner zur Zeit der Wahl im Ausland oder in den Kolonien aufhielt. Trotzdem blieb auch ein weiterer Punkt zu erfüllen, der, angesichts des niedrigen Bildungsniveaus und des hohen Analphabetismus, den Großteil der Frauen von einer Wahl ausschloss, nämlich der Abschluss der Sekundarstufe oder eines Universitätskurses. 61 Bis zum Ende der Diktatur wurde ein allgemeines Frauenwahlrecht verhindert. Wie in den meisten Diktaturen wurde die Rolle der Frau über ihre Funktion der Ehefrau, Hausfrau und Mutter definiert. Nach der im Gegensatz dazu etwas liberaleren Zeit der Demokratie Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die Frau während des Estado Novo wieder in den Haushalt zurückgeschickt. Salazar betonte diesbezüglich: [...] que era necessário distinguir entre a mulher solteira, que vivia sem família ou com família a seu cargo, à qual devia ser pragmaticamente facilitado o emprego, e a mulher casada, cuja missão na família era tão importante como a do homem [...] 62 Wie man auch unter Hitler sehen konnte, war die ideologische und ideale Rolle der Frau die der Hausfrau und Mutter. In der Realität sah dieses Bild dann oft ganz anders aus, da die Frauen beispielsweise in Deutschland in den Rüstungsbetrieben gebraucht wurden. Vor allem die Zahl der in Fabriken arbeitenden Portugiesinnen stieg über die Jahre rapide an. Aufgrund 60 Vgl. Sadlier: The Question of How. Women Writers and new portuguese Literature, S. 117-118. Vgl. Guimarães, Elina: Mulheres Portuguesas ontem e hoje. Cadernos condição feminina n.° 24. Lissabon: Comissão da Condição Feminina 31989, S. 25. 62 Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 27. 61 18 der allgemeinen, hohen Arbeitslosigkeit wurden nach und nach jedoch Restriktionen für die von Frauen auszuübenden Berufe eingeführt. So durften Frauen dem Gesetz nach ohne Erlaubnis des Ehemannes beispielsweise nichts veröffentlichen. Der Beruf der Schriftstellerin war während des Estado Novo jedoch nicht der einzige, der Frauen schwer zugänglich gemacht wurde. Tätigkeiten die mit jeglicher Art von toxischen oder chemischen Substanzen zu tun hatten – in der Chemiebranche ebenso wie in Färbereien, Gerbereien, etc. – wurden als erstes verboten, da man die Gesundheit der Frauen in Hinblick auf eine spätere Mutterschaft nicht gefährden wollte. Ab 1934 durften Frauen beispielsweise nur zwischen 7 und 20 Uhr in Fabriken arbeiten, zwischen 9 und 18 Uhr war die Arbeit in Büros gestattet. Auch die Arbeit in anderen Branchen, etwa in Hutfabriken, wurde für Frauen verboten. 63 Frauen war also nur ein stark eingeschränktes Berufsleben gestattet. Bis das neue Zivilgesetzbuch 1967 in Kraft trat, musste bei verheirateten Frauen der Ehemann ohnehin seine Zustimmung zu einer Berufstätigkeit geben. Unverheiratete Frauen einiger Berufsgruppen, unter anderem Krankenschwestern und Volksschullehrerinnen, mussten ihrerseits beim Staat um eine Erlaubnis ansuchen wenn sie heiraten wollten. 64 Aber auch das private und soziale Leben war von strengen Richtlinien des patriarchalen Systems durchzogen. Ilse Losa berichtete immer wieder eindringlich vom Kulturschock, den sie in Portugal erlebte. Als einundzwanzigjähre, junge Frau hatte sie während ihres letzten Jahres in Deutschland in Berlin gelebt, wo man ausgehen oder tanzen gehen konnte, sich mit Freunden im Kino oder Kaffeehaus traf. Nun war sie in die Beengtheit Portugals gekommen wo das alles nicht erlaubt war. 65 Losa beschreibt das Leben als Frau in Portugal in einem Interview mit Rolf Eigenwald wie folgt: Eine sogenannte menina educada ging nicht in ein Café. Cafés waren für Männer, Frauen besuchten höchstens eine Confeitaria, eine Konditorei, besonders in kleineren Städten. Mädchen »aus gutem Haus« trugen auf der Straße eine Hut und gingen niemals ohne Strümpfe. Die Frauen aus dem Volk dagegen trugen ein Tuch oder einen Schal auf dem Kopf oder um die Schultern und konnten, wenn sie wollten, ohne Strümpfe und sogar barfuß gehen. 66 63 Vgl. Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 39-44. Vgl. Guimarães: Mulheres Portuguesas ontem e hoje, S. 27. 65 Vgl. Pollack, Ilse: Ilse Losa oder Emigration nach Portugal. Materialien für ein Porträt. In: Mit der Ziehharmonika 10, 1993. H.2., S. 24. 66 Eigenwald: Gespräch mit der Schriftstellerin Ilse Losa, S. 824-825. Auf: http://library.fes.de/cgibin/ng_mktiff.pl?year=1997&pdfs=1997_0824x1997_0825x1997_0826x1997_0827x1997_0828 [Letzter Zugriff am 18.10.2012] 64 19 Frauen, die sich in Kaffeehäusern oder abends noch auf der Straße aufhielten, hatten schnell den Ruf ein leichtes Mädchen zu sein. 67 Traf man sich alleine mit einem Mann galt dasselbe, denn junge Männer und Frauen durften nur in Begleitung einer älteren Verwandten, die als Anstandsdame fungierte, gemeinsam spazieren gehen. Und die wenigen Frauen, die sich gegen dieses unausgesprochene Verbot widersetzten, hatten danach wenigstens einen zweifelhaften Ruf. Losa schildert außerdem eine Szene, in der sie das Haus ohne Strümpfe verließ. Auf der Straße wurde ihr sofort von einem Passanten angeboten, ihr Strümpfe zu kaufen. Es war nämlich bei portugiesischen Frauen selbst im Sommer verpönt und galt als unschicklich, das Haus mit nackten Beinen zu verlassen, was Ilse Losa im Sommer und in Sandalen aber oft tat. 68 Erst mit den Flüchtlingswellen, die durch den Zweiten Weltkrieg bedingt waren, lockerten sich die Traditionen etwas: junge Frauen ahmten den Kleidungs- und Frisurenstil der Refugiées nach, rauchten, diskutierten auch mit Männern und wagten sich sogar alleine in Konditoreien oder ins Kino. 69 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Frauen während des Estado Novo sowohl rechtlich als auch politisch und sozial in eine Randposition gedrängt wurden, die sich erst nach der Nelkenrevolution 1974 auflockerte. Dabei machten auch etablierte Schriftstellerinnen wie Losa keine Ausnahme, die trotz allem vom Ehemann eine Veröffentlichungserlaubnis brauchten und zudem noch den strengen Vorgaben der politischen und moralischen Zensur gerecht werden mussten. Es ist durchaus vorstellbar, dass diese soziale Randposition und das „Zurückgedrängt-Sein“ Auswirkungen auf die Inszenierung von Frauen in Sob Céus Estranhos haben und möglicherweise eine gewisse Sprachlosigkeit bei den Charakteren hervorruft. 67 Vgl. Pollack: Ilse Losa oder Emigration nach Portugal, S. 24. Vgl. Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 64. 69 Vgl. Losa, Ilse: Sob Céus Estranhos. Porto: Edições Afrontamento 42000, S.62. 68 20 5. Theoretische Ansätze In diesem Kapitel soll die theoretische Grundlage für die spätere Analyse gelegt werden. Die Tatsache, dass Losa als weibliche Autorin mit Sob Céus Estranhos einen offenbar „männlichen“ Roman (der Protagonist und viele Hauptfiguren sind männlich) verfasst hat, kann natürlich sofort in Richtung feministischer Literaturtheorie führen. Da in der Analyse hauptsächlich auf „Frauenstimmen“ eingegangen werden soll und darauf wie und durch wen Frauen zu Wort kommen, ist auch ein Exkurs in die Erzähltheorie notwendig. Daher werden in einem ersten Unterkapitel unterschiedliche Konzepte der feministischen Literaturtheorie und des Begriffs „weibliches Schreiben“ aufgezeigt, ein zweiter Punkt beschäftigt sich mit dem Begriff der Fokalisierung aus der Erzähltheorie. Dabei soll ein Überblick über bestehende Theorien gegeben und auch festgestellt werden, welche Theorien für den Roman Sob Céus Estranhos anwendbar sind. 5.1. Feministische Literaturtheorie und weibliches Schreiben – Ein Überblick Dem Begriff feministische Literaturtheorie liegt […] ein breites und heterogenes Spektrum an Forschungsansätzen zugrunde, deren gemeinsamer Fokus die Kritik an einer androzentrischen Perspektive auf die Literatur ist. 70 Die Anfänge der feministischen Literaturtheorie sind, laut Babka, in der Politik verankert. Bereits Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hatte es frauenrechtliche Bewegungen gegeben, den so genannten First Wave Feminism. Als Übergang dieser Bewegung zum späteren Second Wave Feminism Ende der sechziger Jahre, kann Simone de Beauvoirs Studie Le Deuxième Sexe gesehen werden kann. 71 „Beauvoir entwickelte Grundbegriffe zur Bestimmung der Geschlechterdifferenz, mit denen die feministische Theorie bis heute operiert.“ 72 Der Second Wave Feminism fußt vor allem auf zwei politische Bewegungen: zum einen auf den amerikanischen Bewegungen, die Women’s Rights Movement und Women’s 70 Babka, Anna: Feministische Literaturtheorien, in: Sexl, Martin (Hg.): Einführung in die Literaturtheorie. Wien: WUV 2004, S. 193. 71 Vgl. Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 190. 72 Lindhoff, Lena: Einführung in die feministische Literaturtheorie. Stuttgart, Weimar: Verlag J.B. Metzler 2 2003, S. 1. 21 Liberation Movement genannt wurden; zum anderen auch auf einer englischen Bewegung, die gegen Patriarchat und Sexismus gerichtet war. Aus diesen Bewegungen entstand schließlich die sogenannte Second Wave of Feminist Literary Criticism. Zentren für die feministische Literaturtheorie bildeten sich dabei vor allem in Amerika und Frankreich heraus. Es entwickelten sich bald länderspezifische Strömungen und Schwerpunkte, die Tori Moi beispielsweise mit den Begriffen theory (der „theorielastige“ Feminismus in Frankreich) und criticism (Feminist Critique in den USA) unterscheidet. 73 Die Einteilung oder Kategorisierung dieser vielen Ansätze und Strömungen ist durchaus kompliziert, da es keine einheitliche feministische Theorie gibt. An dieser Stelle soll daher nur der Versuch stehen, einen Überblick zu geben, sowie relevante Ansätze und Gedanken für diese Arbeit herauszufiltern. Die Theoretikerinnen des französischen Feminismus beschäftigen sich vor allem mit dem ecriture féminine (Hélène Cixous) oder parler femme (Luce Irigaray), dem weiblichen Schreiben und erfuhren in der feministischen Kritik weltweit große Rezeption. 74 Frauen sollten ihrer Meinung nach nicht einfach mehr nur in „männlichen Begriffen“ denken und schreiben, sondern eigene Vorstellungen von Weiblichkeit entwickeln. 75 Der französische Differenzfeminisus [formierte sich] in kritischer Anlehnung an die dekonstruktive […] und psychoanalytische […] Theoriebildung der 1960er Jahrer als Theorie der sexuellen Differenz, die davon ausging, dass jegliche Form von Identität […] durch Sprache, durch Diskurse vermittelt und produziert wird. 76 Werke von Jacques Derrida und Jacques Lacan, aber auch Sigmund Freud bildeten für diese Auffassung den Ausgangspunkt. 77 Was in der Theorie leicht anwendbar scheinen mag, zeigt Schwierigkeiten sobald man sich der Frage nähert was spezifisch weibliches Schreiben sei. 78 Gerade die Frage nach einer 73 Vgl. Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 193. Vgl. Haslinger: Frauenstimmen von der Grenze, S. 10. 75 Vgl. Kroll, Renate: Was können Gender Studies heute leisten? Zu Versionen der Subversionen und (weiblicher) Subjektkonstituierung. In: Kroll, Renate und Margarete Zimmermann (Hg.): Gender Studies in den romanischen Literaturen: Revisionen, Subversionen. Bd.1. Frankfurt am Main: dipa-Verlag 1999 , S. 16-17. 76 Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 198. 77 Vgl. Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 198. 78 Vgl. Haslinger, Elisabeth: Frauenstimmen von der Grenze – Bilder von Weiblichkeit bei mexikanischen und Chicana-Autorinnen. Diplomarbeit. Universität Wien 2012, S. 7. 74 22 eigenen „weibliche Ästhetik“ oder einem speziellen „weiblichen Schreiben“ konnte trotz zahlreicher Ansätze bis heute nicht nachgewiesen werden. 79 Der in den USA etablierte Differenzfeminismus beschäftigte sich im Gegensatz dazu vor allem mit einer erneuten Lektüre des vorgeschlagenen Kanons in Hinblick auf Weiblichkeitsbilder. Über diesen literaturwissenschaftlichen Fokus konnten sich in den sechziger Jahren die sogenannten Women’s Studies, die „dezidiert politisch und emanzipatorisch“ 80 ausgerichtet waren, entwickeln. 81 Doch mit den Women’s Studies ergibt sich plötzlich ein neues Problem: man beharrte einerseits auf eine Gleichberechtigung von Frau und Mann, andererseits auf der Existenz einer eigenen Frauenkultur. Daraus entwickelten sich Mitte der siebziger Jahre die Gender Studies, als „Wortführerin […] gilt heute Judith Butler“ 82, Dekonstruktivismus. Vertreterin Laut Kroll des sind Postfeminismus und „Frauenforschung des feministischen und feministische Literaturwissenschaft […] von den Gender Studies nicht mehr kategorial zu trennen.“ 83 Wie bereits Simone de Beauvoir anmerkte wird man nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht – durch die Gesellschaft, durch Handlungen und Aussagen. Judith Butler bezieht sich auf Beauvoirs These und unterscheidet hierfür die Begriffe sex, das biologische Geschlecht, und gender, als „kulturell konstruierte[…], variable[…] Geschlechtszuschreibung[…]“ 84. Für Butler heißt „Frau werden“, den Körper einer historischen Idee des Begriffes Frau anzupassen. 85 Egal welches biologische Geschlecht ein Individuum hat, es muss nicht mit seinem gender übereinstimmen. Im Gegensatz zu Beauvoirs These geht Butler jedoch davon aus, dass nicht nur der Begriff gender ein diskursives Konstrukt ist, sondern auch der Begriff sex. Denn auch das biologische Geschlecht wäre schließlich von der Gesellschaft/Kultur konstruiert. 86 Im Zusammenhang damit führt sie auch den Begriff des Performativen ein. Das heißt, dass die Begriffe gender 79 Vgl. Scherrer, Doris Schafer: Schreiben Frauen anders? Klischees auf dem Prüfstand. Freiburg: Universitätsverlag Freiburg Schweiz 1998, S. 9-12. 80 Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 195. 81 Vgl. Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 195. 82 Kroll: Was können Gender Studies heute leisten?, S. 14. 83 Kroll: Was können Gender Studies heute leisten?, S. 13. 84 Vgl. Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 215. 85 Vgl. Butler, Judith: Performative Akte und Geschlechterkonstitution. Phänomenologie und feministische Theorie. In: Wirth, Uwe (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002, S. 305. 86 Vgl. Butler, Judith: Gender Trouble. Feminism and the subversion of identity. New York, London: Routledge 1990, S. 6-8. 23 und sex bereits durch performative Akte – beispielsweise die Aussage „Es ist ein Junge/Es ist ein Mädchen!“ – konstruiert werden. 87 Beeinflusst wurde Butler bei ihren Arbeiten dabei unter anderem von den Theorien von Michel Foucault, Jacques Lacan, Julia Kristeva, Monique Wittig und Jacques Derrida. 88 Wie man bereits in den beiden Kapiteln zum biografischen und historischen Hintergrund lesen konnte, nahm die portugiesische Frau in Zeiten der Diktatur eine eher marginale Stellung ein. Deshalb sind vor allem Judith Butlers Gender Trouble und Simone de Beauvoirs Le Deuxième Sexe für diese Arbeit von Relevanz, da sie sich mit der Begrifflichkeit des Weiblichen auseinandersetzen und es auf einen kulturellen Kontext beziehen. Babka meint diesbezüglich: Obwohl Butler nicht dezidiert literaturwissenschaftlich arbeitet, werden ihre Thesen zu soziokulturellen und sprachlichen Konstruktionsprozessen des Geschlechts innerhalb der Literaturwissenschaft rezipiert. 89 Im Hinblick auf die später folgende Romananalyse werden genau diese Thesen von Interesse sein. Denn die Geschichte wird hauptsächlich von José, einem männlichen Erzähler, erinnert und viele männliche Nebenfiguren kommen in direkter oder erzählter Rede zu Wort. Durch diese vorrangig männlichen „Erzähler“ stellt sich die Frage wie mit Weiblichkeit und den weiblichen Figuren umgegangen wird. Ausgehend von Beauvoirs Aussage, dass Frauen zu dem gemacht würden was sie sind, und Butlers Meinung, dass sowohl sex als auch gender konstruierte von außen projizierte Begriffe sind, wird ein wichtiger Punkt der Analyse sich damit beschäftigen wie die vorkommenden Frauenstimmen in diesem männlich wirkenden Umfeld inszeniert werden. Dabei stellt sich die Frage, ob die Frauen im Roman die Möglichkeit haben sich selbst zu definieren und über sich selbst zu sprechen oder ob sie von der Gesellschaft – den Männern – in ihre Rollen gepresst werden und der Leser nur über diese männliche Perspektive etwas über die Frauenstimmen und ihre Welt erfährt. 87 Vgl. Butler: Gender Trouble, S. 134-141. Vgl. Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 214. 89 Babka: Feministische Literaturtheorien, S. 217. 88 24 5.2. Erzähltheorie – Die Fokalisierung nach Gérard Genette Der Begriff Fokalisierung wurde von Gérard Genette eingeführt um die Begriffe Perspektive und point of view noch präziser bestimmen zu können. Genette geht es darum bestimmen zu können „Wer sieht?“, wobei sich „Aspekte der visuellen Darstellung […] mit der Frage nach dem Zugang zum Bewusstsein von Figuren“ 90 vermischen. Die Fokalisierung ist allerdings nicht von der im Text verwendeten Erzählperspektive abhängig. Genettes Fokalisierungsmodell wurde später weiterentwickelt, beispielsweise von Mieke Bal bei der zusätzlich zwischen Fokalisierungsinstanz und Fokalisierungsobjekt unterschieden wird. 91 Genette unterscheidet drei Fälle der Fokalisierung: die Nullfokalisierung / unfokalisierte Erzählung, die interne Fokalisierung oder die externe Fokalisierung. 92 Die Nullfokalisierung tritt dann auf, wenn die Erzählfigur eines Textes „allwissend“ ist, also die Gedanken und Emotionen einer jeden Figur im Roman kennt. Kritisiert kann hierbei allerdings werden, dass ein Erzähler nie vollkommen objektiv ist, sprich immer auch etwas von anderen zu berichten weiß, und immer über einen gewissen Wissenshorizont verfügt. Die interne Fokalisierung ist an den Blickwinkel einer einzigen Figur geknüpft. Sie erzählt, das was sie weiß, Gedanken anderer Figuren werden nicht wiedergegeben. Da die Fokalisierung jedoch nicht mit den herkömmlichen Erzählperspektiven zusammenhängt, kann dieser Text auch in der ersten Person erzählt sein, muss aber nicht. „Restlos verwirklicht wird die interne Fokalisierung nur im „inneren Monolog […]“ 93. Innerhalb der internen Fokalisierung unterscheidet Genette zudem zwischen drei weiteren Typen: • Der festen Fokalisierung, die beschreibt, dass eine einzige Erzählperspektive beibehalten und niemals verlassen wird. • Der variablen Fokalisierung, bei der die Erzählfigur durchaus wechseln kann, sprich die Person, durch die fokalisiert wird, geändert werden kann. 90 Fludernik, Monika: Erzähltheorie. Eine Einführung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 32010, S. 172. 91 Vgl. Fludernik: Erzähltheorie. Eine Einführung, S. 172. 92 Vgl. Genette, Gérard: Die Erzählung. Paderborn: Wilhelm Fink 32010, S. 121. 93 Genette: Die Erzählung, S. 123. 25 • Der multiplen Fokalisierung, bei der ein einziges Ereignis / eine einzige Begebenheit aus der Sicht verschiedener Figuren erzählt wird. Die externe Fokalisierung bezeichnet im Gegensatz zur internen Fokalisierung, dass nicht einmal Einblicke in das Innenleben einer einzelnen Figur gewährt werden, sondern rein die Handlung wiedergegeben wird, ohne jegliche Gefühlsregungen, Gedanken, etc. einzubeziehen. Es muss an dieser Stelle jedoch auch erwähnt werden, dass Genette nicht davon ausging, dass in einem literarischen Werk immer eindeutig ist, welche der drei Typen angewandt wird. Manchmal erstreckt sich eine Fokalisierung auch nicht über ein ganzes Werk, sondern nur über ein „narratives Segment“ 94. 95 In Bezug auf den Roman Sob Céus Estranhos lässt sich diesbezüglich feststellen, dass eine interne, variable Fokalisierung vorliegt. Die Kapitel 1 und 30 sowie das Nachwort sind in einer personalen Erzählperspektive verfasst. Die dadurch entstehende Objektivierung ist gleichzusetzen mit einer Dramatisierung und baut im Fall von Sob Céus Estranhos die Spannung für die eigentliche Geschichte auf. 96 Die Kapitel 2 bis 29 sind jedoch einem Perspektivenwechsel unterzogen, hier wird monologisch aus der ersten Person erzählt. Eine interne, variable Fokalisierung liegt meines Erachtens aus folgenden Gründen vor: Zu Beginn der Geschichte erzählt ein personaler Erzähler, aber nicht José selbst. Die Geschichte von José, führt den Erzähler durch Lissabon und lässt ihn über Josés Erlebnisse berichten, aber auch über seine Gefühle. Der Erzähler sieht die Welt aus Josés Augen und kann die Gedanken anderer nicht lesen. Der Leser erfährt hier in Grundzügen alles, was José später selbst erzählen wird, denn mit dem 2. Kapitel wird José zum Focalizer. Nun berichtet er aus seiner Sicht, wendet sich aber nie direkt an den Leser, sondern erzählt monologisch und in der Ich-Form, von den Geschehnissen der letzten Jahre. Dadurch erscheinen die Kapitel 2 bis 29 wie eine Art Selbstreflexion oder Erinnerung, eine Art Tagebuch, an dem der Leser Teil hat. Durch Josés Fokus erfährt man etwas über andere. Diese Informationen, die Gedanken, Meinungen und Wünsche anderer Charaktere ausdrücken, hat José von den Personen selbst in Gesprächen oder in einem Brief erfahren. Er kann nicht in sie hineinsehen. Bezüglich des Ich-Erzählers lässt sich noch festhalten, dass sie 94 Genette: Die Erzählung, S. 122. Vgl. Genette: Die Erzählung, S. 121-124. 96 Vgl. Stanzel, Franz K.: Typische Formen des Romans. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 31967, S. 39-55. 95 26 […] prinzipiell suspekt [sind], da sie für ihren Erzählakt Gründe haben, die mit der wahrheitsgemäßen Darstellung der Ereignisse in Konflikt geraten können, z.B. weil sie sich rechtfertigen wollen. […] Manche Ich-Erzähler sind nicht nur subjektiv, naiv oder emotionsgeladen, sie können auch als unzuverlässig interpretiert werden – ihre Darstellung ist offensichtlich befangen, exzessiv, ideologisch oder moralisch verzerrt oder verblendet. 97 Die erzählten Reden und die Briefe, die José wiedergibt, müssen deshalb mit Vorsicht betrachtet werden. Denn die Person, die all das wiedergibt, ist immer noch José. Man weiß nie so genau, inwiefern die getroffenen Aussagen anderer Leute durch José beeinflusst und wie wahrheitsgetreu sie wiedergegeben werden. 97 Fludernik: Erzähltheorie. Eine Einführung, S. 174. 27 6. Literarische Inszenierung von Frauen in Sob Céus Estranhos Como era costume em cafés assim, não se viam elementos femininos, à excepção de duas dessas mulheres de quem Dostoiewski dizia que se sacrificavam para que as boas meninas burguesas pudessem entrar intactas no casamento. 98 Wie an diesem Ausspruch Josés in Sob Céus Estranhos zu sehen ist und wie man bereits im Kapitel zum historischen Hintergrund lesen konnte, waren Frauen im Estado Novo an den Rand der Gesellschaft gedrängt und in vielen Situationen des alltäglichen Lebens unsichtbar. Laut Magalhães waren die Frauen, ihre Sprache und Texte „[…] deixados mudos pela cultura (masculina) dominante“ 99. Auch Losa hatte mit der patriarchalen Gesellschaft und ihren Normen Probleme, was sich mit Sicherheit auch in ihren Geschichten niederschlägt. Die Geschichten in Losas ersten zwei Romanen, O Mundo em que Vivi und Rio Sem Ponte, waren jeweils im Deutschland der Zwischenkriegszeit angesiedelt und wurden von einer weiblichen Hauptfigur erzählt. Auch viele Erzählungen Losas beschäftigen sich mit Frauenschicksalen. In dieser Hinsicht ist Sob Céus Estranhos anders. Die Rahmenhandlung wird von einem personalen Erzähler wiedergegeben, den Rest der Geschichte lässt der männliche Protagonist José Berger Revue passieren. Er kann deshalb als zweiter Erzähler und Focalizer betrachtet werden. Durch ihn erfährt der Leser also eine „männliche“ Sicht der Dinge und Situationen in einer patriarchalen Umgebung. Kommen Frauen also überhaupt zu Wort? Drücken sie sich selbst aus oder spricht jemand anderer für sie? Oder bleiben sie in so einem männlichen Umfeld komplett stumm? Da die Portugiesinnen in die Lebensumstände Portugals hineingewachsen und durch das patriarchale System des Estado Novo geprägt waren, stellt sich außerdem die Frage, ob sich ein Unterschied zwischen der Inszenierung von Portugiesinnen und Nicht-Portugiesinnen erkennen lässt. 98 99 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 29. Magalhães, Isabel Allegro de: O Sexo dos Textos e Outras Leituras. Lisboa: Editorial Caminho 1995, S.10-11. 28 6.1. Portugiesinnen José ist in seiner Anfangszeit in Portugal von sehr vielen Emigrantinnen umgeben und erinnert sich zudem an Bekanntschaften, Freunde, Verwandte, von daheim. Doch langsam wird er in die portugiesische Gesellschaft integriert und beginnt, vor allem nach Ende des Zweiten Weltkrieges, sich zunehmend mit Portugiesen zu umgeben. Dieses Unterkapitel geht daher auf die portugiesischen Frauenfiguren des Romans ein und analysiert ihre Inszenierungsart. 6.1.1. Senhor Ribeiro Pintos Ehefrau Helena Senhor Aurélio Ribeiro Pinto ist ein ältlicher Kolonialwarenhändler, dem José im Roman drei Mal begegnet. José trifft zum ersten Mal auf ihn, als er sich im Nachtzug von Lissabon nach Porto ein Abteil mit Senhor Ribeiro Pinto und seinem späteren Freund Gil Roseira teilt. Man lernt Senhor Pinto hier als jemanden kennen, der nach dem Motto „Poupar em tudo menos a comida.“ 100 lebt und auch so aussieht. Bei dieser ersten Zugfahrt erfährt der Leser noch nichts von Pintos Ehefrau. Erst nachdem sich die drei voneinander verabschiedet haben und Gil mit José alleine ist, meint dieser Senhor Ribeiro Pinto habe: „por certo […] uma mulher com cheiro a lixívia.“ 101 Gil schließt vom typisch bürgerlich-portugiesischen Auftreten Senhor Pintos darauf, dass dessen Frau bestimmt nach Seifenlauge riechen müsse, was indirekt als Anspielung auf das Hausfrauendasein gesehen werden kann. José begegnet Senhor Ribeiro Pinto wieder, als dieser Deutschstunden nehmen möchte und durch eine Zeitungsannonce zufällig bei ihm landet. Senhor Ribeiro Pinto kommt zwei Mal die Woche zum Deutschunterricht und jedes Mal, wenn er die extravaganten, wie Paradiesvögel anmutende Hüte von Maria Paula sieht, spottet er darüber und versichert José, dass seine Frau nie im Leben so einen Hut aufsetzen würde – nicht einmal wenn sie ihn geschenkt bekäme. 102 Er bezieht sich damit darauf, dass seine Frau viel zu bodenständig, bescheiden und anständig wäre, um jemals solche auffälligen, ausgefallenen Hüte zu tragen. 100 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 29. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 29. 102 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 70. 101 29 Die dritte Begegnung zwischen José und Senhor Ribeiro Pinto findet im ersten Kapitel, in der Rahmenhandlung, statt. José hat gerade das Krankenhaus verlassen in dem Teresa in den Wehen liegt und spaziert nun durch die Stadt. Er lässt sich in einem Kaffeehaus nieder und trifft dort zum ersten Mal nach Jahren auf den deutlich gealterten Ribeiro Pinto. José fragt Ribeiro Pinto höflichkeitshalber nach dessen Frau und erfährt von ihm, dass die Arme bereits vor zwei Jahren gestorben sei. 103 Dann erzählt Ribeiro Pinto zum ersten Mal länger über seine Frau: Era uma boa mulher, pode crer. Uma jóia. Trazia-me sempre num mimo. Nunca me lembro de me ter faltado um botão que fosse. E olhe que era competente no governo da casa, sabia impor-se com o pessoal. Só queria que visse. Não havia criada que a intrujasse, ou tinha de haver-se com ela. 104 Senhor Ribeiro Pinto äußert sich hier zum ersten Mal darüber, dass seine Frau ein Juwel gewesen wäre. Er bezieht sich dabei auf Eigenschaften, die in der damaligen portugiesischen Gesellschaft als erstrebenswert galten, nicht auf persönliche, individuelle Wünsche oder Charakterzüge: Sie verhätschelt ihren Mann und kümmert sich um ihn, sie war eine gute Hausfrau, konnte sich gegenüber dem Dienstpersonal gut durchsetzen, keine Angestellte hätte auch nur gewagt sich mit ihr anzulegen. Eine weitere Beschreibung von Ribeiro Pintos Ehefrau taucht auf, als sich dieser mit José über den früheren Deutschunterricht unterhält: Lembro-me como se fosse hoje. Estávamos, eu e a minha mulher, sentados na cama a tomar o pequeno almoço. Helena, disse eu, e se eu aprendesse alemão, que te parece? Estás doido, homem, disse ela, mas por que carga de água alemão, Aurélio? A loja não te dá consumições que cheguem? Mas, Helena, expliquei-lhe — que a gente tem de ter paciência com as mulheres — mas, Helena, é justamente por causa da loja que quero aprender alemão. Supõe tu que entram fregueses alemães e eu lhes falo na língua deles. Não achas que ficavam bem impressionados? Mas quando entram fregueses alemães na tua loja, Aurélio? Foi o que ela disse. Helena, tu não fazes ideia de coisa nenhuma. Então não sabes que de dia para dia estão a chegar mais alemães? Fogem aos milhares da terra deles. Já se vê, ela não sabia nada de política e coisas assim. Nem lia os cabeçalhos dos jornais, só os anúncios do cinema e os das criadas. São assim as mulheres, que se lhes há-de fazer? O José já tem experiência do assunto, não é verdade? 105 An dieser Stelle erfährt der Leser, dass Senhor Ribeiro Pintos Ehefrau Helena heißt und dass er die Überlegung Deutschstunden zu nehmen zumindest mit ihr besprochen hat. Es wirkt nicht so als hätte er sich wirklich für ihre Meinung interessiert. Nachdem der Leser in den vorherigen Zitaten bereits erfahren hat, dass Helena offenbar das war was man die perfekte 103 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 11. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 12. 105 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 13. 104 30 Hausfrau nennt, wird das von Ribeiro Pinto verwendete sehr stereotype Bild der portugiesischen Frau hier weiter konkretisiert. Er stellt beispielsweise fest, dass man Geduld mit den Frauen haben müsse, weil sie offenbar nicht immer alles gleich erfassen oder verstehen können. Zudem sei Helena, genau wie alle Frauen, nicht an Politik interessiert gewesen und habe bei Zeitungen noch nicht einmal die Schlagzeilen gelesen. Was sie interessiert seien nur die Anzeigenseiten, dort nur die Neuigkeiten das Kino betreffend und die Stellenanzeigen. Senhor Ribeiro bezieht diese Aussage nicht nur auf seine Frau, wie man an folgender Aussage sieht: „São assim as mulheres, que se lhes há-de fazer?“ Auch José und dessen Ehefrau bezieht er mit als er die rhetorische Frage stellt: „O José já tem experiência do assunto, não é verdade?”. Auffallend für Senhor Ribeiro Pintos Ehefrau Helena ist, dass in den von ihrem Ehemann wiedergegebenen erzählten Reden zwar selbst zu Wort kommt gleichzeitig aber nie ihre eigene Meinung in einem Aussagesatz kund tut. Sie stellt ihrem Ehemann immer nur Fragen. An einer Stelle 106 wird sie von ihrem Ehemann beschrieben, einmal gibt José die Aussage Ribeiro Pintos wider, dass seine Frau niemals solche Hüte tragen würde 107 und an einer dritten Stelle mutmaßt Gil, dass Ribeiro Pintos Ehefrau bestimmt so eine „normale“ Hausfrau sei, die nach Seifenlauge riechen würde. 108 Da man in den erzählten Reden nicht wirklich etwas von ihrer Meinung, ihren Gefühlen oder ihren Vorstellungen erfährt, kann man im Fall von Helena von einer indirekte Inszenierung sprechen. Diese wird nur über Aussagen von Männern getätigt. Inwiefern Helena sich mit der ihr gegebenen Rolle als Hausfrau identifiziert und im Umgang mit den Dienstboten zurechtfindet, ob sie wirklich keine Ahnung von Politik hat, was sie in der Zeitung wirklich gerne liest und ob sie nicht eigentlich doch heimlich gerne die extravaganten Hüte Maria Paulas tragen würde, erfährt der Leser nicht. Helena wird durch die Aussagen ihres Mannes und auch durch die Mutmaßung von Gil als eine typische, brave portugiesische Hausfrau inszeniert. 106 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 11-13. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 70. 108 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 29. 107 31 6.1.2. Sousas Frauen Als José in Portugal ankommt, zieht er als Untermieter bei der portugiesischen Familie Sousa ein. Die erste Begegnung mit den Sousas hat der Leser, als José Gil kennenlernt und sie herausfinden, dass José bei derselben Familie wohnt, bei der auch schon Gil wohnte. Gil war jener Untermieter, der als Kunstmaler den schönen, polierten Esstisch mit seinen Farbklecksen ruiniert hatte und den Sousaschen Frauen so in Erinnerung geblieben ist. 109 Die Familie Sousa besteht aus dem Hausherrn Felisberto Sousa, seiner Ehefrau Dona Maria da Liberdade, der Schwiegermutter Dona Maria da Piedade, seiner etwa zwölfjährigen Tochter Luísa, seiner Schwägerin Maria Paula und dem Dienstmädchen Elvira. Trotz dieser geballten Weiblichkeit im Haus und der Tatsache, dass jede der Frauen ihren Teil zum Einkommen beisteuert, ist Sousa der Patriarch der Familie und hat das alleinige Sagen: „A sogra, a cunhada e a mulher tratavam-no respeitosamente por Sousa. O seu primeiro nome, Felisberto, nunca lhes ouvi pronunciá-lo.” 110 Gil bezeichnet die Sousas sogar als “Enfadonhas criaturas.” 111 Man könnte die Familie Sousa als Abbild der portugiesischen Gesellschaft bezeichnen. Die Frauen werden zwar auch einzeln beschrieben, meistens aber als eine Einheit mit Bezeichnungen wie „mulheres da casa“ oder „donas de casa“ erwähnt. An folgenden Stellen kann man diese Vereinheitlichung deutlich sehen: • „Mediante intervenção dela [Luísa] as mulhers obtinham autorização para uma ida ao cinema ou ao teatro [...]“ 112 • „[...] as três mulheres sacrificavam-se e vestiam mal.” 113 • „Mas como o Sousa ganhava um ordenado miseravelmente baixo, as mulheres da casa contribuiam, cada uma conforme as suas capacidades, para o sustento da família.” 114 • „As senhoras olhavam-me, nos primeiros dias, com certo receio. Poderiam fiar-se num estrangeiro?” 115 • „E no dia seguinte, provido dos bons desejos das boas senhoras do Sousa, pus-me a caminho.“ 116 109 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 30. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 47-48. 111 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119. 112 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48. 113 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48. 114 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 49. 115 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 49. 110 32 • „As senhoras em casa do Sousa interessavam-se muito pouco pelo decurso da guerra que, graças a Deus, se passava lá longe, e quando muito se fazia sentir pelo racionamento dos víveres e pelo florescimento dum mercado negro tão descarado que coisas corriqueiras como o azeite e o açúcar começaram a ficar raras em sua casa.” 117 • „Fui pagar às mulheres a minha velha dívida.” 118 Diese Aussagen veranschaulichen wie sehr Maria da Liberdade, Maria da Piedade und Maria Paula als Kollektiv beschrieben werden. Es sind nicht die Gefühle der Einzelnen die von Bedeutung sind, die Gruppe wird in den Vordergrund gestellt. Die zitierten Passagen kann man allerdings auch als Ausdruck des eindeutig vorhandenen, starken Zusammengehörigkeitsgefühls der drei Frauen sehen. Die erste Textstelle an der Dona Maria da Liberdade, die Ehefrau Sousas, erwähnt wird, lässt den Leser folgende Informationen wissen: Dona Maria da Liberdade, a volumosa mulher do Sousa, com os seus esbugalhados olhos escuros, fazia pensar num animal espantado ou, no dizer de Gil, alguém que via fantasmas. Servia as refeições ao marido e ficava de pé atrás da sua cadeira enquanto ele comia faustosamente e fazia reparos críticos [...] E só depois de ele se ter levantado da mesa, palitando os dentes, e saído aos saltinhos pela escada abaixo, Dona Maria da Liberdade se sentava e chamava: — Elvira! A sopa! 119 Man erfährt hier von José, dass es sich bei Maria da Liberdade um eine dicke Frau mit dunklen Kulleraugen handelt, die an ein verschrecktes Tier erinnert oder, wie Gil sagt, an jemanden der Gespenster sieht. Sie ist ihrem Mann bedingungslos ergeben, wie man an der bereits zitierten Szene bei Tisch sehen kann: sie serviert ihm persönlich das Essen, lässt dabei seine Kritik über sich ergehen und bleibt hinter seinem Sessel stehen, bis er mit dem Essen fertig ist. Erst dann setzt sie sich selbst zu Tisch und lässt sich von dem Dienstmädchen Elvira die Suppe servieren. Zudem erfährt man, dass über dem Ehebett der Sousas ein kitschiges Bild vom Heiligsten Herz Jesu hängt 120, das nach Sousas Tod ins Wohnzimmer gehängt wird 121. „Dona Maria da Liberdade […] encarregada do governo da casa, ocorrera em certa altura a ideia de sublugar a alcova.” 122 Dona Maria da Liberdade ist demzufolge Hausfrau, in 116 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 59. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 73. 118 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119. 119 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48. 120 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 30. und S. 50. 121 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119. 122 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 49. 117 33 toten Stunden häkelt sie außerdem Decken. 123 Um auch etwas zum Lebensunterhalt der Familie beisteuern zu können, entschließt sie sich den kleinen Alkoven der Wohnung unterzuvermieten. Von Gil erfährt man, dass Sousa später nach Angola geht und dort stirbt, weshalb sie einen zweiten Untermieter aufnimmt, der im ehemaligen Schlafzimmer des Ehepaars Sousa wohnt. Gil, der in der Zeit nach Sousas Tod die Sousaschen Frauen besucht, um seine immer noch ausstehenden Mietschulden zu begleichen, meint über Maria da Liberdade, dass sie ihre hässlichen Augen während des Gesprächs auf das Jesusbild heftete und seufzte, dass Sousas Seele in Frieden ruhen möge. 124 Die Tochter Luísa ist elf oder zwölf Jahre alt und die Einzige, die von Sousa bekommt was sie will. Sie ist außerdem die Einzige, die ihn nicht mit Sousa anspricht sondern mit dem Kosenamen „paizinho“. Wie José erzählt, war es nur ihrem Eingreifen zu verdanken, dass die Frauen des Hauses ab und zu ins Kino oder ins Theater gehen durften. Dorthin wurden sie aber – ganz der portugiesischen Gepflogenheit „sozinhas só à missa“ 125 entsprechend – selbstverständlich von Sousa begleitet. Damit die kleine Luisinha möglichst adrett und sorgfältig gekleidet werden kann, wenden die drei Frauen alles Geld für sie auf und vernachlässigen sich und ihre Kleider dafür. 126 Des Weiteren erfährt der Leser von Gil, dass Luísa später die Kunstschule besucht und dort dessen Schülerin ist. 127 Dona Maria da Piedade ist Sousas Schwiegermutter und somit die Mutter von Dona Maria da Liberdade und Maria Paula. Die erste Beschreibung, die im Roman über sie zu finden ist, lautet wie folgt: A velha Dona Maria da Piedade tricotava camisolas e queixava-se com amargura da fábrica de malhas no primeiro andar que, em seu entender, se comprazia em tirar o pão a senhoras respeitosas e honestas. 128 Der Leser erfährt an dieser Stelle nur sehr wenig über Dona Maria da Piedade. Im Roman wird jedoch immer wieder erwähnt, dass sie „velha“ 129, also alt ist. Einmal erwähnt José, dass sie eine langsame Stimme hat 130. Ihren Beitrag zum Lebensunterhalt der Familie leistet sie 123 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 86. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119. 125 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48. 126 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48. 127 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119. 128 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 49. 129 Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 49, S.53, S. 86, S. 119. 130 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 86. 124 34 indem sie für andere Leute Pullover strickt. Den im selben Haus ansässigen Strickwarenhandel empfindet sie als starke Konkurrenz. Ihrer Meinung nach würde dieses Geschäft aufrichtigen und ehrbaren Damen das wenige Geld, das sie verdienen könnten, auch noch wegnehmen. 131 Als Dona Maria da Piedade eines Tages sieht, dass José sich von seinem Geld jeden Tag nur noch ein Brötchen, eine Dose Sardinen und eine Zwiebel als Mahlzeit leisten kann, schlägt sie die Hände über dem Kopf zusammen und ruft: „Por amor de Deus!“ 132 Dies ist die einzige Aussage, die von Maria da Piedade selbst getätigt wird. Es ist wohl auch ihr zu verdanken, dass ihre Tochter Maria da Liberdade José anbietet für einen kleinen Beitrag mit der Familie bei Tisch essen zu können. 133 Maria da Piedade ist zudem anwesend, als Sousa entdeckt, dass Maria Paula die Nacht mit Nils verbracht hat und daraufhin José aus der Wohnung wirft. „A velha D. Maria da Piedade parecia ainda mais velha no seu roupão escuro e com os rolos de papel no cabelo.” 134 Sie ist bei der ganzen Szene nur Zuschauerin, bringt dann aber ihre Enkelin Luísa außer Hörweite, damit sie möglichst wenig von diesem unmoralischen Vorfall mitbekommt. 135 Als Gil seine Schulden bezahlt, wird er später zu José sagen: „A velhota está paralítica, passa a vida à janela a olhar não sei para onde. [...] A velhota, essa era toda azedume.” 136 Sie ist nach Sousas Tod voller Bitterkeit, gelähmt und verbringt den ganzen Tag am Fenster sitzend. Sousas Schwägerin Maria Paula ist die Schwester von Maria da Liberdade und zweifelsohne die interessanteste der drei Frauen. Die erste Erwähnung Maria Paulas findet sich gleich nach Josés Erzählung, dass Sousa immer die Erlaubnis für Kino- oder Theaterbesuche geben musste und die Frauen nur in seiner Begleitung gehen durften. Diesbezüglich meint José: „[...] tudo isso embora a cunhada Maria Paula pagasse os bilhetes para os espectáculos.” 137 Es ist also nicht Sousa, der für die Freizeitgestaltung aufkommt, sondern seine Schwägerin Maria Paula. Ihr Geld verdient Maria Paula als Modistin und fertigt extravagante Hüte an, die mit ihren bunten Federn, Blumen und Anstecknadeln vor allem im Dunkel der Nacht wie Paradiesvögel aussehen. Ihre Kunden empfängt Maria im Wohnzimmer der Sousas, das sie als Atelier nützt und das José deshalb nur benützen darf, wenn gerade keine Kunden da sind. 131 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 49. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 53. 133 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 53. 134 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 86. 135 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 86-87. 136 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119. 137 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48. 132 35 Interessant ist diesbezüglich auch, dass von José erwähnt wird, dass Maria Paula mit dem Verkauf ihrer Hüte den größten Anteil zum Familieneinkommen beisteuern konnte. 138 Maria Paula ist allein deshalb erwähnenswert, weil sie alleinstehend und berufstätig ist. Außerdem ist hat sie als Modistin einen richtigen Beruf gelernt und dürfte mit den hübschen Hüten recht erfolgreich sein. Die Kombination alleinstehend und berufstätig kommt bei keiner anderen Portugiesin im Roman vor, abgesehen von Elvira und auch Maria, die aber eine starke, revolutionäre Persönlichkeit ist. Alleinstehende, portugiesische Frauen stellen im Roman also eindeutig eine Minderheit dar. Alle anderen Frauenfiguren im Text sind entweder mittlerweile verwitwet, alleinstehend und vermieten Zimmer/stricken/prostituieren sich oder sie sind verheiratet und haben offenbar keinen Beruf erlernt. Als José Nils in einer Bar kennen lernt, sie sich betrinken und schließlich gemeinsam zu den Sousas gehen, da José nicht weiß wo Nils wohnt, zeigt sich dem Leser eine bis dahin verborgene Facette Maria Paulas. Durch den Lärm geweckt, den vor allem der betrunkene Nils macht, öffnet ihnen Maria Paula die Tür und führt die beiden ins Wohnzimmer. Dort singt Nils das Lied Parlez-moi d’amour, setzt sich einen der Hüte auf und tanzt durchs Zimmer. 139 Energicamente Maria Paula tirou-lhe o chapéu, conduziu-o ao sofá sobre o qual ele se deixou cair com todo o seu peso, de modo a afundar-se até ao chão. Ela cobriu-o com uma manta às riscas, de crochet, feita pela irmã em horas mortas, e ele olhou-a com olhos turvos. Depois ela ajoelhou-se para lhe tirar os sapatos e colocou-lhe também uma almofada debaixo da cabeça. 140 Maria Paula geht hier mit dem fremden Nils sehr verständnis-, ja sogar liebevoll um: sie deckt ihn zu, zieht ihm die Schuhe aus und legt ihm einen Polster unter den Kopf. Gleichzeitig tritt sie in dieser Situation bestimmend und energisch: sie nimmt Nils den Hut ab, bringt ihm zum Sofa, zieht ihm die Schuhe aus, legt ihm den Polster unter den Kopf und deckt ihn zu. José geht daraufhin schlafen, wird jedoch am nächsten Morgen von Sousas Geschrei geweckt. Das Sofa ist leer, die Häkeldecke liegt am Boden, aus dem Zimmer von Maria Paula hört man lautes Schluchzen. Sousa, der herumschreit das dies ein anständiges Haus und kein Bordell sei, beschimpft zuerst Nils, dann auch José als Boche und springt wie wild umher. Schließlich verweist er beide des Hauses. José versteht anfangs nicht was passiert ist. Er beginnt erst 138 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48-50. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 83-85. 140 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 85-86. 139 36 langsam zu begreifen, was eigentlich los ist, als Nils beim Verlassen der Sousaschen Wohnung zu ihm sagt 141: „Mas digo-te: uma mulheraça de corpo“ 142. Eu nunca tinha dado atenção especial a Maria Paula. Via nela a cunhada solteirona e já avelhada do Sousa, modista de chapéus, que contribuia generosamente para o sustento da família e pagava os bilhetes de cinema. — O homenzinho não contava com um rival como eu, não te parece? Desconcertado olhei para Nils. O Sousa? Mas era possível? De passo elástico, Nils caminhava ao meu lado. Não lhe inspirava o menor espanto a situação familiar em casa dos Sousas. 143 José gibt hier zu, dass er nie besonders auf Maria Paula geachtet hatte. Für ihn ist sie immer nur die ältliche Schwägerin Sousas gewesen, die mit ihren Hüten den Hauptteil des Einkommens verdient und immer die Kinokarten bezahlt. Dieses Bild passt zu den Beschreibungen Pimentels, dass Salazar der Meinung war man müsse auf jeden Fall zwischen der alleinstehenden, ohne oder mit der Familie lebenden Frau und der verheiratet Frau unterscheiden. Der alleinstehenden Frau solle die Möglichkeit zu arbeiten erleichtert werden, während die verheiratete Frau in der Familie eine ebenso wichtige Rolle spielen solle wie ihr Mann. 144 Andererseits zeigt dieses Zitat auch, dass Maria Paula so unscheinbar ist – oder zumindest von José so wahrgenommen wird – dass José gar nicht auf die Idee kommt sie als Frau mit all ihren Bedürfnissen zu betrachten. Erst durch diesen Vorfall werden ihm die wahren Verhältnisse im Hause Sousa klar: Sousa ist mit Maria da Liberdade verheiratet und unterhält offenbar mit ihrer ledigen Schwester Maria Paula ein Verhältnis. Durch dieses Wissen bekommt die Bezeichnung „as mulheres do Sousa“ für den Leser einen ironischen Beigeschmack. Gil, der die Frauen Sousas zum letzten Mal sieht, weiß folgendes über Maria Paula zu berichten: „Está um cangalho, com olhos esbugalhados de rã. Foi a única que teve lágrimas nos olhos quando se falou do Sousa: «Ai, o Sousa! A sorte não lhe coube a ele.»” 145 Maria Paula ist tatsächlich die einzige der drei Frauen, die Sousa nachweint. Sie wird zu diesem Zeitpunkt von Gils bereits als sehr verlebt und mit immer stärker hervortretenden Froschaugen beschrieben Elvira, das Dienstmädchen der Sousas, ist etwa so alt wie Luísa. Über ihr Aussehen erfährt der Leser, dass Elvira dürr und blass, mit am Oberkopf zu einem strengen Haarknoten 141 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 86-87. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 87. 143 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 87. 144 Vgl. Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 27. 145 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119. 142 37 zusammengefassten Haaren, tiefen Augenringen unter den durch die Umstände zu früh gealterten Augen, ist. José findet, dass Elvira aufgrund ihres Aussehens aus einer Erzählung von Tschechow entsprungen sein könnte. Eigentlich ist Elvira im Haus der Sousas angestellt um von Maria Paula das Handwerk der Modistin zu erlernen. Diese ist allerdings der Meinung, dass man im Beruf an der untersten Stelle anfangen müsse um ihn auch gut erlernen zu können. Deshalb soll Elvira, bevor sie den Beruf der Modistin erlernt, gewöhnliche Hausarbeiten und Botengänge verrichten. Der Tagesablauf von Elvira beginnt bereits früh morgens: sie bringt dem Ehepaar Sousa den Kaffee ans Bett, bringt Dona Maria da Piedade einen Krug mit heißem Wasser für das Bidet, anschließend eine Schale mit Seifenschaum zu Sousa, damit er seine tägliche Rasur vornehmen kann. Danach muss Elvira die Einkäufe der Familie erledigen. José beschreibt Elviras Tagesablauf folgendermaßen: „«Elvira! Elvira», chamavam de manhã até à noite. Creio que se vingavam em Elvira da monótona vida que levavam devido ao despotismo do Sousa.” 146 José ist der Meinung, dass die Frauen in Elvira nicht nur ein Dienstmädchen sehen, sondern eine willkommene Abwechslung in ihrem tristen Leben beziehungsweise eine Möglichkeit wie sie ihren Frust an jemandem auslassen können. 147 Betrachtet man die Demut und Ergebenheit mit der Dona Maria da Liberdade ihrem Mann das Essen serviert, nur um sich danach auf einen Sessel fallen und von Elvira bedienen zu lassen, ist diese Annahme durchaus gerechtfertigt. Der Leser liest ein letztes Mal von Elvira, als José aus dem Haus geworfen wird: Ao sairmos para a rua esbarramos com a pequena Elvira que vinha a entrar para começar o seu dia. Avisei-a de que havia de mandar-lhe a minha nova direcção, pois queria que me levasse para lá os meus livros. Meti-lhe uma moeda na mão, e ela levantou a saia para a guardar no bolso, cosido sobre a combinação de flanela. — Que a Nossa Senhora o proteja, senhor José — disse. 148 Als José das Haus verlässt ist es sieben Uhr. Man sieht also wie früh Elvira zu arbeiten beginnt und kann sich durch vorhergegangene Beschreibungen vorstellen, dass sie bis spät in die Nacht hinein arbeitet. Das deckt sich auch mit der Aussage Losas, dass die Dienstmädchen in Portugal jeden Tag um sieben Uhr mit der Arbeit beginnen und meist so lange arbeiten mussten wie sie eben im Haus gebraucht wurden. Das konnte oft auch bis Mitternacht sein. Arbeitszeiten und Pausen waren den portugiesischen Dienstgebern egal, 146 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48-49. 148 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 87. 147 38 weshalb ausländische Dienstgeber beliebter waren. 149 Der Leser erfährt von José, dass er Elvira danach nie mehr gesehen hat. Er sagt diesbezüglich aber auch, dass er zumindest jene Elvira aus dem Haus der Sousas nie mehr gesehen hätte, „pois outras Elviras formigavam pela cidade, de caras pálidas, olheiras escuras e carrapitos apertados no alto das cabeças que carregavam, em serviço das patroas, caixas, cestos e sacos.“ 150 Die Figur der Elvira steht also in gewisser Weise für alle portugiesischen Dienstmädchen. Betrachtet man das Familienleben im Hause Sousa, so kann man Felisberto Sousa als „den Mann im Haus“ bezeichnen. Unbewusst wird Sousa eigentlich von den Frauen des Hauses getragen. Dona Maria da Liberdade, Dona Maria da Piedade und Maria Paula kümmern sich um den Haushalt und jede einzelne steuert einen Teil zum Familieneinkommen bei. Luisa ist diejenige, die ihrem Vater immer milde stimmen und ihm die Erlaubnis ins Kino oder Theater zu gehen entlocken kann. Trotz dieser gewissen Unabhängigkeit ihm gegenüber werden sie alle von ihm dominiert und lassen das auch zu. Diese Dominanz lassen die Frauen wiederum das Dienstmädchen Elvira spüren. Die ganze Beschreibung der Frauen aus dem Hause Sousas, die Vereinheitlichung mit „as mulheres da casa“ oder „as donas da casa“, sowie die Aussage „sozinhas só à missa“ 151 zeigt einen untergeordneten, stillen, traditionellen Frauentypus. José scheint ihr Dasein jedoch nicht zu verurteilen, wie man an den folgenden zwei Zitaten sehen kann. Als der Krieg ausbricht, sitzen Sousa und José vor dem Radio und verfolgen die Ereignisse. Die Frauen hingegen sitzen in ihrer Ecke und interessieren sich nicht für die Politik, sondern nur für die Rationierungen der Lebensmittel. José meint an dieser Stelle: „E, de súbito, senti inveja daquelas mulheres ao canto da sala, que se exaltavam a discutir se o óleo de amendoim tinha de facto qualidade para substituir o azeite.” 152 Er beneidet sie für ihren in dieser Hinsicht beschränkten Horizont, für ihre Ignoranz gegenüber Dingen die sich außerhalb ihres Wirkungskreises befinden und einer damit einhergehenden, gewissen Sorglosigkeit. Auch gegenüber Gils abschätziger Bemerkung „Enfadonhas criaturas.“ 153, verteidigt José die Frauen Sousas: „Não se lhes pode tomar a mal, vivem num 149 Vgl. Berchthold: Unter fremden Himmeln – Die Schriftstellerin und Übersetzerin Ilse Losa, Track 3, ab 13:30. 150 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48-49. 151 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 48. 152 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 73. 153 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 119. 39 mundo acanhado e mesquinho.“ 154 Die Entschuldigung, man könne ihnen ihre Unwissenheit und eingeschränkte Sichtweise nicht übel nehmen, weil sie nun einmal in einem beengten kleinlichen Milieu leben, kann fast als Erklärung für alle indirekt inszenierten Frauenstimmen oder –figuren des Romans gesehen werden. Bis auf zwei Ausnahmen, den Ausruf von Dona Maria da Piedade („Por amor de Deus!” 155) und Elviras Segen als José auszieht („Que a Nossa Senhora o proteja, senhor José — disse.” 156), bleiben die Sousaschen Frauen komplett stumm. Details erfährt der Leser nur durch Erzählungen Josés oder Gils. Dona Maria da Liberdade, Dona Maria da Piedade, Maria Paula, Luísa und Elvira zählen somit zu den passivsten Figuren des Romans. Sousas Frauen(stimmen) sind alle indirekt inszeniert. 6.1.3. Dona Branca Dona Branca ist Josés Schwiegermutter, Teresas Mutter und die Lebensgefährtin von Severino, der sie später heiraten wird. Sie führt die Pension Modelo, in der José eine Zeit lang als Untermieter lebt und ist somit eine relativ selbstständige Frau. Der Leser lernt sie bereits im ersten Kapitel kennen als Teresa im Krankenhaus in den Wehen liegt und José auf die Geburt des ersten Kindes wartet. Depois respirou fundo e bateu: logo a cara gorda e exageradamente pintada da D. Branca apareceu na abertura. «Nem numa ocasião como esta deixa de ser palhaço», pensou José. — Ah, é você! Pode entrar — disse ela com aquela voz aguda que lembrava amarelo-esverdeado e que sempre o irritava. Nunca o tratava por tu, apesar de ele ser seu genro. 157 An dieser Stelle wird Dona Branca noch durch den personalen Erzähler beschrieben. Im Grunde fasst diese Beschreibung bereits Dona Brancas Wesen zusammen: sie ist immer übertrieben und grell geschminkt, dick mit einem Doppelkinn, José findet sie aufdringlich und ihre Stimme, die ihn an gelbgrün 158 oder zitronengelb 159 erinnert, unangenehm. Dona Branca entspricht sicher dem was man sich unter dem Klischee der bösen Schwiegermutter vorstellt. Sie mischt sich gerne in die Angelegenheiten anderer ein und gibt immerzu ungefragt 154 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 120. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 53. 156 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 87. 157 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 8. 158 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 8. u. S. 25. 159 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 135. 155 40 Ratschläge, wie man etwas besser machen könnte 160. José kritisiert außerdem, dass Dona Branca ihm und Teresa immer kleine, geschmacklose Geschenke macht und das ganze Bücherregal schon voll von diesem Tand ist. 161 Zudem ist Dona Branca mit José zum Zeitpunkt der Geburt seines ersten Kindes immer noch per Sie. Das ist im damaligen Portugal nicht unüblich, trotzdem lässt das eine gewisse Fremdheit zwischen den Beiden entstehen die José das Gefühl vermittelt nicht ganz zur Familie zu gehören. Die Abneigung oder zumindest das Unverständnis Josés Dona Branca gegenüber manifestiert sich beispielsweise auch in folgender Überlegung: „[…] mas com quem deixar o menino?, com a D. Branca e o Severino, nem que me paguem…“ 162. Als José Dona Branca zum ersten Mal begegnet, ist er gerade auf der Suche nach einem Pensionszimmer. Schon als er anläutet, hört er ihre „gelbgrüne“ Stimme. Seine spätere Ehefrau Teresa öffnet ihm und er muss kurz auf die Pensionswirtin warten. Neste momento entrou D. Branca, a cheirar a lilases. Isso irritou-me, porque tenho um grande fraco pelos lilases e por isso não concebo que mulheres como D. Branca se façam notar por um cheiro que me é querido. Cumprimentou-me agitando o corpo roliço e abrindo a cara num sorriso de solicitude comercial. 163 Dona Branca ist begeistert davon einen Deutschen als Untermieter zu haben. Denn sie ist der Meinung, dass die Deutschen in allem was sie tun perfekt seien und ihnen niemand das Wasser reichen könne. Deshalb fragt sie angeblich in Geschäften auch immer nach deutschen Waren. 164 Trotz der Beeinflussung durch solche Vorurteile ist sie durch und durch Geschäftsfrau, wie folgendes Zitat zeigt: „A boa conta em que ela tinha os alemães não a impediu, porém, de me mostrar o mais fraco dos dois quartos vagos. Era a sua táctica: se esse não «pegasse» mostraria o outro.” 165 José tut bereits beim ersten, dem schlechteren Zimmer so, als würde es ihm sehr gut gefallen. In Wahrheit hat ihn aber Teresa begeistert, weshalb er unbedingt in die Pension Modelo ziehen will. Er nimmt also das kleinere Zimmer. Später erzählt Teresa José, dass ihre Mutter sich zweimal bekreuzigte, als José ging um seine Sachen zu holen und sagte: 160 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 10. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 21. 162 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 179. 163 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 137. 164 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 137-138. 165 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 137. 161 41 Se Deus atender ao meu pedido, [...] manda-me mais um estrangeiro. É que no seu entender os estrangeiros são menos exigentes do que os portugueses e mais educados, com excepção dos espanhóis que tem na conta de ladrões e labregos [...]. 166 Doch ihr Gebet wird nicht erfüllt, denn der nächste Interessent ist der portugiesische Dichter Simão Vicente. Dona Branca ist zuerst schockiert, dass ein Dichter sich bei ihr einmieten will. Ihrer Meinung nach würden Poeten ihre Rechnungen nicht pünktlich bezahlen, wären verwahrlost und vom rechten Weg abgekommen. Als Simão Vicente jedoch erzählt, dass er auch noch einen „richtigen“ Beruf habe und er ihr sogar eine Monatsmiete im Voraus bezahlt, ist Dona Branca beruhigt und vergisst ihre Vorurteile über Dichter schlagartig. 167 Allerdings erklärt José kurze Zeit später, woher Dona Brancas Vorurteile kommen. Diese habe sie von ihrem Vater, der Wirtschaftswissenschaften studierte und sich der Herstellung von Sardinenkonserven widmete. Er war reich, durch ganz Europa gereist und hatte nichts auf Literatur, Autoren und Dichter gegeben. Da die Familie Dona Brancas wohlhabend war, hielt er mehr von der Gesellschaft gleichgestellter Leute. Als seine Tochter Branca sechzehn war, führte er sie am „Baile de Janeiro“ in die Gesellschaft ein und verheiratete sie kurze Zeit später an ihren steinreichen Cousin, der laut Dona Branca abscheulich, herrschsüchtig und noch dazu zwanzig Jahre älter war. Die Ehe war furchtbar, denn der Ehemann ließ Dona Branca nicht einmal für kleine Besorgungen allein auf die Straße gehen. Teresa wurde geboren, aber die Beziehung der Eheleute blieb weiterhin schlecht. Ihr Vater ging weiterhin jeden Abend aus und ließ Frau und Kind allein in einem riesengroßen, angsteinflößenden Haus zurück. Irgendwann hielt Dona Branca es nicht mehr aus und verließ ihren Mann. Teresa ließ sie bei ihm zurück, da ihr eine Rückkehr ins Elternhaus verboten worden war und sie ihre Tochter keiner ungewissen Zukunft aussetzen wollte. Ihr Ehemann ließ ihr das Kind aber mit der Nachricht überbringen, dass sie es selbst großziehen solle da es sicher nach der missratenen Mutter geraten würde. Kurze Zeit später starb der hartherzige Ehemann, was Dona Branca für eine gerechte Strafe hält. Diese Geschichte wird zwar von José erzählt, er erwähnt aber am Ende seiner Erzählung, dass hier Dona Brancas Bericht endet. 168 Den nächsten Teil von Dona Brancas Lebensgeschichte gibt ihre Tochter Teresa in einer erzählten Rede wieder. Dem Leser wird hierbei sehr schnell klar, wie Dona Branca ihr weiteres Leben verbringen musste. Teresa erzählt, dass sie sich in ihrer Kindheit an 166 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 140. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 141. 168 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 141-142. 167 42 verschiedene Männer und Häuser erinnern kann: an einen dicken Mann, mit sehr niedriger Stirn, bei dem Dona Branca sich ihr Frühstück auf silbernem Geschirr ins Bett, das mit einem mit rosafarbener Seide gepolstertem Betthaupt versehen war, servieren ließ,; an ein Häuschen an der Küste mit einem Garten und einem grüngestrichenen Zaun und damit verbunden an einen starken Mann mit feuerrotem Haar, der immer in einem Auto zu ihnen kam; an eine Etagenwohnung und einen kleinen Mann mit Zwicker, der sich immer wie eine verfolgte Ratte in die Wohnung schlich. Ihre Mutter blieb bis mittags im Bett, am Nachmittag ging sie spazieren und einkaufen. Ihre Männer zeigten sich nie mit ihr auf der Straße und grüßten sie auch nicht, wenn sie in Begleitung waren. So sei ihr Leben viele Jahre verlaufen und als Teresa eines Tages begriff was ihre Mutter tatsächlich machte, weinte sie vor Scham. So sehr Mutter und Tochter es auch versuchten, sie selbst kamen sich aber nie wirklich nahe. Mit der Zeit wurde Dona Branca dick und bekam ein Doppelkinn, dem nicht beizukommen war. Ihr letzter „Beschützer“, wie Teresa die Freier ihrer Mutter nennt, war Senhor Pires Proença, der irgendwann auch ausblieb. Kurze Zeit später lernte Dona Branca Severino kennen, der mit Lederwaren handelt und sie sehr gern hat. Heiraten wollte Severino sie jedoch nicht, denn er war der Meinung eine solche Frau könne man nicht mehr heiraten. Trotzdem geht er mit ihr an Sonntagnachmittagen Arm in Arm spazieren, was Dona Brancas Ruf etwas verbessert. Severino ist nicht reicht genug um ihren bisherigen Lebenswandel aufrecht zu erhalten und kommt deshalb auf die Idee, dass Dona Branca eine Pension eröffnen sollte. Teresa ist sich sicher, dass ihre Mutter ihn mit dieser Idee ausgelacht hätte, wenn sie nicht schon so dick und Severino nicht ihre wahrscheinlich letzte Chance gewesen wäre. Teresa lässt man daraufhin eine Ausbildung zur Grundschullehrerin absolvieren, da diese nur kurz dauert und relativ bald ein Einkommen verspricht, mit dem sie ihre Mutter zusätzlich unterstützen kann. Außerdem verhängte Severino ein Verbot: Dona Branca durfte gewisse, zweifelhafte Damen, mit denen sie sich früher getroffen hatte, nicht mehr einladen. Das alles macht aus ihr eine in der Gesellschaft wieder einigermaßen respektable Dame. 169 An dieser Stelle lässt sich anmerken, dass Dona Branca eine Zweckehe mit ihrem Cousin eingehen musste, darin aber keine Erfüllung fand. Der Ehemann liebte sie nicht, war aber gleichzeitig auch herrschsüchtig. So war es ihr beispielsweise wie Dona Beatriz, auf die ich später noch zu sprechen komme, untersagt das Haus zu verlassen. Auch mit der Geburt einer Tochter änderte sich nichts. Dona Branca „chorava, rogava pragas, batia com a cabeça nas paredes e acabou por fugir ao seu 169 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142-143. 43 tirano.“ 170 Schließlich läuft sie ihrem Mann davon und erhält für dieses in den Augen der Gesellschaft ungebührliche Verhalten keinerlei Unterstützung von ihren Eltern. So in Ungnade gefallen bleibt ihr nichts anderes übrig, als ihren Lebensunterhalt von nun an alleine zu bestreiten. Sie wird die Geliebte einiger Männer und lebt auf deren Kosten, was aber nur solange sie hübsch und jung ist gut geht. Man könnte sie sicher als Edelprostituierte bezeichnen. Ihr letzter Lebensgefährte Severino hilft ihr dann auf ehrbare Weise ihr Geld zu verdienen. Dona Branca kann als Opfer der Gesellschaft, deren Moral und Normen gesehen werden. Dennoch schämt sie sich nicht für ihr Leben und ihre Entscheidungen, sie erzählt diese Geschichte offenbar José und spricht sich eines Tages auch mit Nazaré aus, die ein ähnliches Schicksal wie Dona Branca teilt. 171 Teresa erwähnt auch, dass ihre Mutter sich einerseits tapfer fühlen würde, da sie trotz aller Konsequenzen ihren tyrannischen Ehemann verlassen hatte. Andererseits würde sie immer noch mit ihrer Vergangenheit als Mädchen aus gutem Hause liebäugeln. 172 Diese Vergangenheit als einigermaßen gebildetes Mädchen aus gutem Hause ist in diversen Situationen ersichtlich, beispielsweise in einer Diskussion mit dem Dichter Simão Vicente über den Maler El Greco. Simão meint, dass El Greco ein Genie von einem Spanier sei. Dona Branca weiß aber, dass El Greco nicht in Spanien geboren wurde. „[Dona Branca] conservava tais saberes do seu tempo de menina «bem», aborrecendo com isso Severino que não apreciava mulheres eruditas.” 173 Der Leser erfährt an dieser Stelle also, dass Severino gebildete Frauen nicht mochte. Diese Gesinnung Severinos entspricht ganz der Vorstellung der ungebildeten, dem Mann unterlegenen und auf ihn angewiesenen Hausfrau und Mutter. Obwohl Dona Branca ein bewegtes Leben hinter sich hat und selbst eine gefallene Frau war, hat sie strikte Moralvorstellungen und ist nicht frei von Vorurteilen, die bereits an den oben angeführten Textstelle bezüglich der Ordentlichkeit der Deutschen und der Nachlässigkeit der Dichter aufgezeigt wurden. Vorurteile hat sie aber auch den Emigrantinnen gegenüber, die sich vor und während des Zweiten Weltkriegs in Portugal aufhielten. Teresa não só se lembrava de os ter visto no Café Superba [...] mas também de várias observações de D. Branca acerca deles, como por exemplo: «Fala-se tanto da desgraça desses refugiados, mas no fim de contas gozam a vida nos cafés a dar à língua», ou: «Se nos acontecesse a nós termos de sair da nossa terra, passávamos o tempo a chorar e não divertidos como essa gente». Também se lembrava de 170 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 146. 172 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 143. 173 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 145. 171 44 ter ouvido a mãe falar de uma refugiada polaca que se atirava descaradamente ao homem com quem D. Branca nessa altura vivia, e que ele logo caíra na ratoeira — assim dizia — porque «os homens derretem-se por aquelas valdevinas». D. Branca chegara mesmo a passar com Teresa pelo Café Superba e a apontar-lhe a rapariga polaca, sentada à mesa com outros estrangeiros, e Teresa recordava-se bem do seu aspecto de camponesa nórdica. 174 Dona Branca kann nicht verstehen, warum man mit den Flüchtlingen Mitleid haben soll, wenn sie den ganzen Tag im Kaffeehaus sitzen, dort das Leben genießen und miteinander plaudern. Ihrer Meinung nach würden Portugiesen, die in einer misslichen Situation ihr Land verlassen müssten, die ganze Zeit über weinen und nicht frohen Mutes in Cafés sitzen. Interessanterweise steht sie vor allem den Emigrantinnen und Flüchtlingsfrauen skeptisch gegenüber, da diese in ihren Augen nur Tagediebinnen sind. Sie spricht dabei vor allem über eine Polin, die sich unverfroren an Männer anbiedert und ihr sogar einen Mann ausgespannt haben soll. Dona Branca sieht hier nicht, dass die Polin eigentlich dasselbe tut wie sie auch: Dona Branca verführt Männer um sich dadurch ihr Leben zu finanzieren. Im Fall der Polin geht es vielleicht um eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung oder darum nicht ausgewiesen zu werden, Dinge die für die Emigranten von existenzieller Bedeutung waren. Hohe Moralvorstellungen gelten auch für ihre Tochter Teresa. So erzählt José beispielsweise davon, dass Dona Branca ihn und Teresa immer im Auge behalten hatte bevor sie verheiratet waren. Diesbezüglich meint José an einer Stelle im Roman: „Como adorava todas essas ruas escabrosas e miseráveis quando nelas caminhava de braço dado com Teresa, fugindo do centro e dos olhos vigilantes de D. Branca!” 175 Teresa findet es zum Beispiel auch undenkbar mit José gemeinsam in eine Bar zu gehen und dort einen Cocktail zu trinken. José merkt diesbezüglich an: „Basta dizer que D. Branca, com todo o seu passado duvidoso, nunca chegou a pôr os pés num bar daqueles.” 176 Obwohl Dona Branca einen zweifelhaften Ruf hat, hat sie noch nie einen Fuß in eine Bar gesetzt. Diese Tatsache betont den skandalösen Charakter den ein Barbesuch für eine portugiesische Frau damals offenbar hatte. José stört, dass er gegen solche tief verwurzelten Vorurteile oder Vorstellungen nicht ankommt. Was wäre schon dabei mit seiner eigenen Ehefrau in eine Bar zu gehen und etwas zu trinken? Gleichzeitig ist zumindest Gil der Ansicht, dass das moralisierende Verhalten Dona Brancas in Hinblick auf ihre Tochter und deren Beziehung zu José nur eine Strategie war, um Teresa möglichst rasch zu verheiraten: 174 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 55. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 19. 176 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 83. 175 45 Esforçava-me por ignorar até que ponto D. Branca nos [José e Teresa] espiava e procurava fomentar o nosso afecto. Por isso, quando ela certo dia me perguntou se não achava útil que Teresa, por essa altura estagiária da Escola Normal, acrescentasse aos seus conhecimentos de francês alguns da língua alemã, não só lhe respondi que achava útil mas até me ofereci para lhe dar lições gratuitas. Essas lições tinham lugar na sala de jantar, de porta largamente aberta, pois apesar da sua vida desordenada D. Branca guardava para a filha todas as regras daquilo que considerava decoro e de tal forma que até nos queria impôr a sua presença nos nossos passeios. Julgo que pretendia, por meio do «comportamento impécavel» da filha, reparar perante Deus e a gente sua conhecida os seus múltiplos pecados. Mas fiz-lhe ver, ironicamente, que vivíamos no século vinte e que ela decerto não se prestava ao ridículo papel de pau-de-cabeleira. Deixou-nos em paz, não sem profundos suspiros, o que na opinião de Gil fazia parte dos estratagemas para casar a filha. 177 José äußert in diesem Textbeispiel die Vermutung, Dona Branca wolle mit dem tadellosen Ruf ihrer Tochter ihr eigenes skandalöses Leben und ihre Sünden bei Gott gut machen. Interessanterweise setzt Dona Branca in Gils Augen zwar alles darauf an ihre Tochter Teresa mit José zu verheiraten, als es dann aber soweit ist, ist ihr Misstrauen gegenüber Ausländern und somit gegen José stärker. Dona Branca ist von der Mitteilung, dass José und Teresa heiraten wollen, alles andere als begeistert: — Como hóspedes aprecio os estrangeiros […] Mas para marido da minha filha sempre preferia um homem cá dos nossos. Como explicar? Enfim, um estrangeiro é um estrangeiro, sente as coisas de outra maneira. Sabe-se lá se não se lhe mete na cabeça abalar dum momento para o outro! Não estão ligados a isto, como a gente. Bem os tenho visto a desaparecerem da cidade sem dizer água-vai. 178 Man kann an diesem Ausspruch Dona Brancas gut erkennen, dass sie im Grunde keine weltgewandte Frau ist, wie sie viele glauben macht. Auch sie ist den kleinkarierten Vorstellungen des Bürgertums verhaftet. Ausländer sind ihr zwar als Pensionsgäste nur recht, da sie ihrer Meinung nach anspruchsloser, genügsamer als Portugiesen sind und nicht an allem etwas auszusetzen haben. 179 Als Ehemann für ihre Tochter würde sie sich trotz dieser angeblichen Vorzüge einen Portugiesen wünschen. Man wisse ja nicht ob einem Ausländer nicht von heute auf morgen einfallen würde das Land wieder zu verlassen. An dieser Stelle sieht man deutlich die Vorurteile, die Dona Branca gegenüber den Ausländern hat. Man kann an dieser Aussage außerdem ablesen, dass Dona Branca nichts vom wirklichen Flüchtlingsalltag wusste, denn in ihren Augen verschwanden die Exilanten einfach so von 177 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 152. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 158-159. 179 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 158. 178 46 heute auf morgen und ohne einen triftigen Grund zu haben. In Wahrheit hing das Verschwinden oft mit Gefängnisaufenthalten oder der Ausweisung zusammen. Noch mehr Probleme in Hinblick auf eine Hochzeit von Teresa und José macht ihr seine Religion. Als ihr nämlich eröffnet wird, dass man nur standesamtlich heiraten wolle, ruft sie aus: „A minha filha não casar na Irgeja? A minha única filha?“ 180 Obwohl Dona Branca selbst selten zur Kirche geht und ihr eigenes Leben bei weitem nicht den Moralvorstellungen der portugiesischen Gesellschaft entspricht, besteht sie auf eine kirchliche Hochzeit. Als José dann von seinem jüdischen Vater und der protestantischen Mutter erzählt, ist Dona Brancas Reaktion folgende: „Ai!, protestante! Cada vez pior!“ 181 Laut José sind Protestanten für seine Schwiegermutter noch schlimmer als Juden oder Spanier. Sie hält sie für den Abschaum der Menschheit. Severino schlägt daraufhin eine Taufe vor, was José aber nicht möchte. Dafür zeigen weder Dona Branca noch Severino Verständnis, denn ist jemand der einer anderen Religion als der ihren angehört religionslos. Schließlich akzeptiert Dona Branca Josés Wunsch aber doch, was vor allem durch die fortschreitende Planung der Hochzeit und die Vorbereitung von Teresas Aussteuer bewirkt wird. 182 Die Hochzeit wird zudem als großes Fest geplant, denn sowohl Severino als auch Dona Branca sind der Meinung: „[…] em ocasiões destas era indispensável fazer-se boa figura“ 183 Diese Aussage weist erneut darauf hin, dass Dona Branca trotz ihrer unehrenhaften Vergangenheit immer noch bürgerlichen Idealen verhaftet ist und den schönen Schein, zumindest nach außen hin, wahren will. Die Verlobung von Teresa und José, sowie die Vorbereitung des Hochzeitsfestes bewirken noch eine andere Veränderung in Dona Brancas Leben. Die Mühe, die sie sich als zukünftige Schwiegermutter mit den Hochzeitsvorbereitungen gibt, erweicht Severinos Herz: Nessa altura, sempre que Severino aparecia nos fins-de-semana, encontrava a sua Branca e a Nazaré do capitão a costurarem e a bordarem lençóis, toalhas, guardanapos, panos e paninhos, numa atmosfera de cooperação pacífica. O seu coração viril enternecia-se perante tanta actividade feminina. A sua Branca seria promovida a sogra, depois a avó. Severino sorria, comovido. A D. Branca não escapava o estado de alma dele. E não é difícil imaginar como ela, certa noite, muito aconchegada ao seu corpo atarracado e balofo, conseguiu arrancar-lhe a promessa da legitimação do concubinato em que viviam. Possivelmente disse-lhe mais ou menos isto: «Eu sogra, tu sogro. Eu avó, tu avô. E vês, querido, podíamos convidar pessoas decentes para o casamento da nossa filha...». Mas seja o que for o que ela lhe tenha dito, a verdade é que obteve o que desejava e se tornou de novo a senhora respeitada e respeitável [...] 184 180 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 159. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 159. 182 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 159. 183 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 161. 184 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 161. 181 47 Auffällig an diesem Zitat ist, dass Severinos betont „männliches“ Herz sich von so vielen angeblich „weiblichen“ Tätigkeiten erweichen lässt. Erst durch das Hochzeitsplanung und Teresas Aussteuer scheint er die von ihm gewünschten weiblichen, häuslichen Attribute in Dona Branca zu finden. Dona Branca ihrerseits erreicht nur durch die Ehe mit Severino wieder den Status einer angesehenen, ehrbaren Frau. Der wieder erworbene gute Ruf Dona Brancas steht schließlich auch in Konflikt mit Nazarés Lebensstil. Nazaré lebt zwar in der Pension Modelo und ist Dona Branca durch ein ähnliches Schicksal sehr verbunden. Gleichzeitig lebt sie aber mit Capitão Bigman Peixoto in einer wilden Ehe. Es stellt sich für Dona Branca und Severino die Frage ob man Nazaré überhaupt zur Hochzeit einladen solle, denn eine solch unehrenhafte Beziehung könnte auch auf Teresa und José ein schlechtes Licht werfen. Nur durch Josés Intervention werden Nazaré und Bigman Peixoto schließlich eingeladen. 185 Als Teresa in den Wehen liegt ist es schließlich Dona Branca, die bei ihr bleibt, während José nach Hause gehen soll. Dies entspricht zwar den damaligen Gepflogenheiten, verstärkt aber das Gefühl, dass Dona Branca sich wirklich in alle Lebensbereiche einmischt und allgegenwärtig ist. 186 Dona Branca ist ein sehr facettenreicher Charakter des Romans. Sie ist ein Beispiel dafür, dass man auch als wohlhabende, gut behütete junge Frau gesellschaftlich absteigen und sich selbst wieder retten kann. Dona Branca hält die lieblose Beziehung zu ihrem reichen Ehemann nicht aus und flieht aus ihr, wodurch sie zu einer verstoßenen, unehrenhaften Frau wird. Sie bringt ihre Tochter als Edelprostituierte oder Geliebte von reichen Männern durch, schafft aber schließlich den sozialen Aufstieg als ihr letzter Lebenspartner ihr zuerst hilft eine Pension zu eröffnen und sie schließlich doch noch heiratet. Allerdings zeigt ihre Figur auch sehr gut, dass sie ohne Severinos Hilfe – nämlich durch seine Einwilligung in eine Heirat – in der portugiesischen Gesellschaft nicht mehr als respektable Frau hätte gelten können. Sie ist, wie viele andere, auf das Wohlwollen eines Mannes angewiesen und kann sich nicht vollkommen allein aus ihrer misslichen Lage retten. Dona Branca kommt in erzählten Reden 185 186 48 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 162. Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 8-9, S. 180. relativ oft selbst zu Wort 187, vor allem in Diskussionen mit ihren Pensionsgästen, José oder Severino. Sie spricht dabei meistens nicht über ihre eigenen Gefühle oder Gedanken, sondern gibt Kommentare zu diversen Aussagen, beispielsweise im Gespräch mit Simão Vicente über spanische Künstler, die Angewohnheit moderner portugiesischer Dichter ohne Interpunktion zu schreiben, etc. Ihre Lebensgeschichte wird einerseits von José wiedergegeben, von dem man erfährt, dass Dona Branca ihm die Geschichte genau so erzählt habe. 188 Andererseits ist es Teresa, die zumindest von den späteren Jahre Dona Brancas, ihren verschiedenen Geliebten und anderen Geschehnissen berichtet. 189 Dona Branca zählt neben Maria und Teresa zu jenen Figuren, die relativ gut beschrieben sind und deren Vorgeschichte dem Leser sehr detailliert dargelegt wird. Die meisten Kommentare, sowie auch die erzählten Reden von Dona Branca und Teresa, werden natürlich auch bei dieser Figur von José oder dem personalen Erzähler wiedergegeben. Dona Branca kommt zwar nur in den erzählten Reden selbst zu Wort und gibt dort wenig über ihre Gedanken und Ideale preis, aber immerhin kommt sie zu Wort. Sie beteiligt sich an den Gesprächen der Männer, stellt die Richtigkeit ihrer Informationen in Frage und hat José ihre traurige Vergangenheit erzählt. Dona Brancas sprachliche Offenheit und direkte Art kann zudem in Zusammenhang mit den schwierigen Lebensumständen und dem verlorenen Ruf gesehen werden. Die Figur der Dona Branca entspricht nicht dem häuslichen, femininen Frauenbild und wird nicht nur von José/dem personalen Erzähler beschrieben. Sie ist als Mischform zu sehen, da sie kein eindeutiger Typ von indirekter Inszenierung ist und leichte Tendenzen zur direkten Inszenierung aufweist. 6.1.4. Teresa, Josés Ehefrau Teresa ist Dona Brancas Tochter und Josés Ehefrau. Dementsprechend kann sie als eine der Hauptfiguren des Romans betrachtet werden. Die Rahmenhandlung der Geschichte umfasst die Zeit, in der José auf die Geburt des ersten gemeinsamen Kindes wartet, weshalb der Leser bereits im ersten Kapitel mit der Figur Teresas konfrontiert wird. An dieser Stelle wird sie noch vom personalen Erzähler beschrieben, später von José. 187 Vgl. u.a. Sob Céus Estranhos, S. 136-138, S. 140-142, S. 149, S. 158-159. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 141-142. 189 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142-143. 188 49 Teresa hat dunkle, funkelnde, mandelförmige Augen und dickes, sehr schwarzes, langes Haar. Ihre Haut beschreibt José als „dourada“ 190, an anderer Stelle als „morena“ 191. Ihre Lippen sind fleischig, beim Lächeln hebt sich der linke Mundwinkel immer etwas mehr als der rechte und formt ein Grübchen. Sie hat einen schlanken, langen Hals, ein schmales, eckiges Gesicht und eine etwas zu lange Nase. 192 José vergleicht Teresa mit Maria und kommt zu dem Schluss, Teresa sei „mais graciosa e mais bonita do que ela” 193. Gleichzeitig wird Teresa auch als „meiga e doce“ 194 beschrieben. Das Aussehen, aber auch der Charakter Teresas steht vor allem im starken Kontrast zu Josés früherer Liebe Hannah. 195 Teresa, estável, prática paciente, não se preocupava com o que existe para além do palpável. Dizia: «Cismas!», e quando dizia «cismas» levantava uma barreira entre si e ele, pois abandonava a reflexão por ele sugerida para passar a outro assunto, mais terra a terra. 196 Der Erzähler macht hier klar, dass sich José von Teresa oft unverstanden fühlt. Durch die Flucht und die Schwierigkeiten seines Lebens im Exil hadert er oft mit dem Schicksal, fühlt sich in Porto nicht zu Hause und grübelt oft darüber nach ob man überhaupt irgendwann ankommen könnte. Es wird auch erwähnt, dass Gil dieses Unverständnis gegenüber José von Seiten Teresas bemerkt hat und seinen Freund deshalb von einer Hochzeit mit Teresa abbringen wollte. 197 Ein weiteres Beispiel für Teresas Unverständnis zeigt José auf, als er ihr von seiner ehemaligen Freundin oder Verlobten Liesel erzählt. Diese hatte ihm ewige Treue geschworen, wollte ihn aber nicht ins Ausland begleiten und wendet sich schließlich von ihm ab weil er Jude ist und dadurch nicht mehr in ihre Welt passt. Teresas Kommentar zu Liesel ist: „Que parva!“ 198. Doch trotz ihrer Empörung erfasst sie nicht die tiefere, gesellschaftliche Bedeutung dieser Ereignisse, sondern empört sich nur über das individuelle Verhalten von Liesel. Ein weiterer Kontrast zu Hannah ist Teresas Vorliebe für echten, wertvollen Schmuck worin sie Josés Mutter Waltraut ähnelt. José, der den Verlobungsring seiner Mutter versetzt hat, meint dazu: „Mas a minha mãe era como a Teresa, jóias só as autênticas, e nunca enfeites 190 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 19. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 136. 192 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 136. 193 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 123. 194 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 25. 195 Siehe Kapitel „Die Mündels”. 196 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 23. 197 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 23-24. 198 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 34. 191 50 de fantasia.“ 199 Teresa, die sich dieser Unterschiede und Josés tiefer Gefühle für Hannah bewusst ist, ist bereits eifersüchtig wenn auch nur deren Name fällt. Wie bereits erwähnt, findet José Teresa einerseits anmutiger und hübscher als Maria, bemerkt aber andererseits an, dass Teresa gegenüber Männern und Fremden noch vor kurzem eine gewisse Gehemmtheit an den Tag legte. 200 Betrachtet man die in Portugal gelebte Trennung von weiblichem und männlichem Lebensbereich kann diese Scheu durchaus als anerzogen betrachtet werden. In diesem Zusammenhang kann auch das folgende Zitat gesehen werden. «Eu não teria coragem para fazer o que ela [Maria] faz», disse Teresa nesse dia em que a tinha encontrado. Teresa, apesar de ser dotada de extraordinário bom senso e de rejeitar tudo o que não é exacto e concreto, não seria capaz de romper com a vida dum quotidiano regular, ou talvez antes: justamente por ser assim é que não seria capaz. 201 Teresa hat zwar einen stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, braucht aber ein bürgerliches, geregeltes Leben. Gerade deswegen wäre sie nicht im Stande ein Leben im Untergrund zu führen, wie Maria es für ihre Ideale tut. Teresa kommt an dieser Stelle sogar selbst zu Wort und gibt zu, dass sie keinen Mut hätte ein Leben wie Maria zu führen. Eine Eigenschaft Teresas, die von José außerdem hervorgehoben wird, ist ihre fast schon zu große Kompromissbereitschaft: Teresa submete-se facilmente as minhas vontades, por vezes até ao ponto de eu a achar demasiado transigente. Condena-me assim ao papel do egoísta enquanto reserva para si o simpático papel de vítima. Bem sei: da sua parte isso não é manobra, mas apenas a manifestação da sua índole complacente. 202 Ein weiterer Aspekt, der im Roman immer wieder betont wird, ist der erstaunlich große Unterschied zwischen Teresa und ihrer Mutter Dona Branca. Deren schrille Stimme erinnert José an grelles, unangenehmes Gelbgrün, während Teresas Stimme, „suave e harmoniosa“ 203, ihn an Blau erinnert. Während Dona Branca für José der Inbegriff des Künstlichen und der Zurschaustellung ist, ist Teresa für ihn die Natürlichkeit und Zurückhaltung in Person. 204 Einmal fragt sich José „como era possível Teresa ser filha daquela mulher balofa e 199 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 123. 201 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 124. 202 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 141. 203 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 25. 204 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 25. 200 51 irritante.“ 205 Es scheint so als würde Teresa allerlei Nippes sammeln oder zumindest von ihrer Mutter geschenkt bekommen. Diese Angewohnheit Teresas kann José nicht nachvollziehen. Er will solchen Tand in der gemeinsamen Wohnung weder am Bücherregal noch sonst irgendwo stehen haben. Nicht nur solche Dinge, sondern auch die vielen Häkeldeckchen, „que as mulheres faziam para matar o tempo“ 206, will José nicht im Haus haben. Ein Beispiel dafür ist ein Wandteppich in Kreuzstich an dem Teresa ein ganzes Jahr lang gearbeitet hat und der Jesus und die zwölf Apostel darstellt. José findet ihn furchtbar, sagt Teresa das aber erst, als sie ihn nach der Hochzeit in der gemeinsamen Wohnung aufhängen will. Daraus resultiert auch der erste Streit der Eheleute. 207 [Teresa] Chorou. Não compreendia. A tapeçaria não era uma cópia fiel dum quadro célebre? E as cores e os gestos de Jesus não eram bonitos? Não se reconheciam tão nitidamente as pregas nas roupagens? 208 Teresa versteht nicht warum der Wandteppich José und auch dem Dichter Simão Vicente, der ebenfalls in der Pension von Dona Branca lebt, nicht gefällt. Sie ist vor allem schockiert, da „Nunca ninguém até àquela data se tinha pronunciado desfavoravelmente, pelo contrário, toda a gente louvava o seu minucioso trabalho.” 209 Teresa versteht nicht was an ihrer Handarbeit, an der sie so fleißig gearbeitet hat, hässlich sein soll. Sie hat sich allerdings vor José noch nie mit Kunst auseinandergesetzt und hat deshalb anfangs auch kein Verständnis für moderne Malerei wie sie in Gils Bildern zu finden ist. Auch hier kann man den Einfluss einer Gesellschaft erkennen, die grundsätzlich gegen alles Neue, Moderne ist und vor allem in der modernen Kunst etwas Unmoralisches vermutet. So haben beispielsweise auch die Sousas kein Verständnis für Josés Kunstdrucke von Bildern der Moderne und haben selbst nur ein kitschiges Heiligenbild in ihrer Wohnung hängen. 210 Im Gegensatz dazu zählen Häkeldeckchen und gestickte Wandbilder zur tugendhaften Freizeitbeschäftigung der Damen. Vom personalen Erzähler erfährt der Leser außerdem, wie José und Teresa zu ihrem Hund Tasso gekommen sind. Eines Tages bringt José einen kleinen, schmutzigen Welpen mit nach 205 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 148. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 21. 207 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 140. 208 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 140. 209 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 140. 210 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 50. 206 52 Hause, von dem Teresa zuerst gar nicht begeistert ist: „Está carregado de pulgas“ 211. Nachdem sie ihn jedoch in die Badewanne gesteckt und gewaschen hat, darf er bleiben und sie geben ihm den Namen Tasso. Mittlerweile ist Teresa sogar stolz darauf, dass der schlaue Hund geschlossene Türen öffnen kann. 212 Teresa begegnet José zum ersten Mal, als er auf Wohnungssuche ist und an der Tür der Pension Modelo läutet. „Abriu-me a porta uma rapariga de cabelo preto, puxado para cima, à «refugiada», o que valorizava o seu pescoço alto e delagado” 213, sagt José über diese erste Begegnung. Teresa fragt ihn wie sie ihm helfen könne und José erklärt, dass er ein Zimmer sucht. Sie führt ihn daraufhin ins Wohnzimmer, wo die Beiden eine belanglose Diskussion beginnen. Schließlich betritt Dona Branca den Raum und zeigt José das zu vermietende Zimmer. Doch José hat seine Entscheidung eigentlich schon getroffen als er Teresa gesehen hat. Die bisherige Lebensgeschichte von Teresa wird teilweise von José, teilweise von ihr selbst erzählt. Die Informationen über Teresas Geburt und erste Lebensjahre hat José von Teresas Mutter Dona Branca erfahren, als sie ihm von ihrem Leben erzählte. Dona Branca ist bei ihrer Hochzeit etwas älter als sechzehn Jahre und in ihrer Ehe unglücklich. Teresas Vater ist zwanzig Jahre älter als Dona Branca und wird von ihr als hinterwäldlerischer, despotischer Mann dargestellt. Die Ehe mit ihrem ersten Mann beschreibt sie als „inferno“ 214. Auch als Teresa geboren wird, verbessern sich die Verhältnisse nicht. Dona Branca verlässt ihren Mann irgendwann und lässt Teresa bei ihm, damit es ihrer Tochter an nichts fehlt. Der herzlose Ehemann ist jedoch der Meinung, dass das Kind bestimmt nach der Mutter kommen würde und will sie deshalb nicht haben. An dieser Stelle beginnt Teresa selbst von ihrem Leben zu erzählen. Sie erinnert sich an die verschiedenen Wohnungen und verschiedenen Männer, die den Beiden ihr Leben finanzierten. Eines Tages begreift Teresa jedoch was dieses Leben und die vielen wechselnden Männer eigentlich bedeuten. 215 Era assim que corria a nossa vida, e quando certo dia me apercebi do seu verdadeiro significado, tive vergonha e chorei amargamente. [...] Os seus [Dona Brancas] sucessivos protectores nunca se 211 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 20. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 18-21. 213 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 136. 214 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142. 215 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142. 212 53 mostravam com ela na rua e também não a cumprimentavam quando passavam por ela e iam acompanhados. Isso devia magoá-la, e também a mim me magoava. 216 Trotz oder gerade wegen ihrer eigenen Vergangenheit achtet Dona Branca bei ihrer Tochter peinlich genau darauf, sie entsprechend aller Traditionen und Gepflogenheiten zu erziehen. So sitzt sie beispielsweise beim Deutschunterricht ihrer Tochter immer im selben Zimmer, bis José ihr erklärt man lebe im 20. Jahrhundert und sie müsse sich nicht als Anstandsdame aufspielen. 217 Als sich José und Teresa verloben, besteht sie darauf, dass José aus der Pension auszieht. Es sei einfach unschicklich, wenn das Brautpaar schon vor der Hochzeit im selben Haus wohnen würde. 218 Da Dona Branca selbst nie auch nur einen Fuß in eine Bar gesetzt hat und ihrer Tochter so etwas sicher verboten hat, ist Teresa schockiert als José ihr vorschlägt doch einen Cocktail in Nils Bar zu trinken. 219 Von Teresa erfährt man auch, wie Dona Brancas späterer zweiter Ehemann Severino in ihr Leben getreten ist. Severino, der sich den bisherigen Lebensstil von Dona Branca und Teresa nicht leisten kann und Dona Branca dazu bringt die Pension Modelo zu eröffnen, entscheidet schließlich auch über Teresas Berufswahl. 220 „Teresa foi tirar o curso do Magistério, no entender de Severino o curso mais rápido e mais barato para poder ajudar a mãe quanto antes.” 221 Dieser von Severino gefasste Entschluss zeigt zum einen, dass die Berufsmöglichkeiten für Frauen im Estado Novo sehr eingeschränkt waren. Zum anderen sieht man auch, dass es in erster Linie um einen möglichst schnellen Zuverdienst zu den Einnahmen der Mutter zu haben und nicht darum was Teresa eigentlich will. Sie wird Volksschullehrerin. Von José erfährt man genaueres über die Lehrstelle: [Teresa] dá aulas na escola primária duma zona pobre, num edifício velho, quase a cair, onde largas frinchas por debaixo das portas e das janelas provocam constantes correntes de ar. Se ao princípio manifestara entusiasmo pelo curso, [...] pouco a pouco foi ficando desiludida. 222 Die junge Frau ist mit ihrer Anstellung als Volksschullehrerin in einem der Vororte nicht glücklich. Vor allem die Situation der armen Kinder belasten sie. Diese sind nämlich so hungrig, verlaust und liebesbedürftig, dass sie nicht einmal Teresas Erklärungen folgen 216 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142-143. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 152. 218 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 159. 219 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 83. 220 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 143. 221 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 143. 222 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 166. 217 54 können. Auch mir den veralteten Unterrichtsmethoden, die ihre Kolleginnen anwenden, ist Teresa nicht einverstanden. 223 Teresa und José träumen deshalb oft von der Verwirklichung eines gemeinsamen Traumens, der Eröffnung eines Verlages mit angeschlossener Buchhandlung. 224 Dann könne Teresa auch die unliebsame Stelle als Volksschullehrerin aufgeben 225 und im Geschäft eine eigene Buchabteilung für Kinderliteratur organisieren 226. Teresa kommt außerdem auf die Idee ein Buch der Woche herauszugeben 227 und einen Ausstellungsraum für Kunst in ihrem Geschäft einzurichten. 228 Nachdem José in die Pension Modelo eingezogen ist, kommt es zu einer langsamen Annäherung zwischen den beiden. Der Dichter Simão Vicente, der ebenfalls in der Pension Modelo wohnt, veröffentlicht seinen ersten Gedichtband Pássaros à Meia-Luz. Capitão Bigman Peixoto liest den Frauen eines Tages aus dem Buch vor und macht sich über die den Dichter und seine Gedichte lustig. Die Damen brechen in Gelächter aus und José, dem Simão Vicentes Gedichte gefallen, verlässt erzürnt das Zimmer. Daraufhin schämt sich Teresa und bittet Peixoto mit dem lesen aufzuhören. Die Gedichte wären nicht dazu da sich darüber lustig zu machen, sondern um von jemandem gelesen zu werden, der sie auch verstehen würde. Dieses Ereignis macht José und Teresa zu Verbündeten und schafft eine engere Bindung. 229 Außerdem ist der Dialog zwischen Teresa und Peixoto in erzählter Rede wiedergegeben, was bedeutet, dass sie hier selbst zu Wort kommt und für ihre Verhältnisse relativenergisch auftritt. Teresa begeistert José vor allem, weil sie „tão jovem, tão feminina e ao mesmo tempo tão compreensiva“ 230 ist. Diese Verbundenheit wird dadurch gestärkt, dass Dona Branca ihre Tochter bei José Deutschstunden nehmen lässt. So kann das junge Paar mehr Zeit miteinander verbringen. Teresa ist kein Sprachtalent und erst als sie mit José verheiratet ist und sie einen Besuch in seiner alten Heimat planen, beginnt sie ernsthaft Deutsch zu lernen und sich auch dafür zu interessieren. 231 Was Teresas Verhältnis zu Josés Freunden aus Gils Gruppe betrifft, erzählt José folgendes: 223 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 166. Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 22, S. 167, S. 179 u. S. 181. 225 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 22. 226 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 167. 227 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 179. 228 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 181. 229 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 149-151. 230 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 154. 231 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 152-153. 224 55 O mundo do grupo de Gil era um mundo inédito para Teresa. Calada, ouvia as longas discussões sobre pintura, livos e política. Sobretudo Maria intimidava-a, com os sólidos conhecimentos dos problemas sociais, a segurança e a lógica com que argumentava. 232 Teresa ist nicht so aufgeschlossen, wie beispielsweise Maria, viele Gedanken und Diskussionen der Gruppe sind ihr völlig fremd. Wie bereits in Bezug auf Gils Bilder erwähnt wurde, kann sich Teresa erst nach und nach für Neues öffnen und einen Blick über den Tellerrand wagen. Als Teresa und José heiraten wollen, gestaltet sich auch das vorerst als Problem. José mag große Hochzeiten nicht und da Dona Branca nicht begeistert davon ist, ihre Tochter mit einem Ausländer zu verheiraten, möchte er einfach durchbrennen und Teresas Mutter vor vollendete Tatsachen stellen. Doch Teresa ist anderer Meinung. 233 Ficou excitada, até chorou. «Sempre vivi na sombra» — dizia — «quase como que clandestinamente. O meu pai não me quis consigo. A minha mãe arrastou-me como um fardo. Faz por compreender, José, quero que toda a gente saiba que nos vamos casar, quero ter uma festa a valer.» 234 Man einigt sich schließlich auf eine große, standesamtliche Hochzeit, da José halb jüdisch, halb protestantisch ist und sich nicht taufen lassen möchte. Dona Branca und Severino schöpfen all ihre Möglichkeiten aus, damit es ein herrliches Fest wird. Alle Freunde sind geladen und es wird genau die Hochzeit, die Teresa sich gewünscht hat. 235 Den ersten größeren Betrag, den das junge Ehepaar gemeinsam gespart hat, verwendet es für einen Besuch in Josés alter Heimat Deutschland. Teresa versteht, dass ihr Mann gerne nach Hause fahren möchte, ihr selbst gefällt es in Deutschland aber nicht. Sie mag die Bettdecken nicht, die man nicht wie in Portugal unter dem Fußende der Matratze einschlagen und feststecken kann. Der Wald ist ihr zu dicht und raubt ihr die Luft zum Atmen, weshalb José beschließt allein zum alten Fennegut zu fahren – ein Ort, der ihm in seiner Jugend sehr viel bedeutet hat und den er so nicht mit Teresa teilen kann. Die Landschaft gefällt Teresa auch nicht, es ist ihr alles viel zu grün. Auf der Heimfahrt nach Portugal erzählt Teresa José von ihrer Schwangerschaft. 236 232 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 153-154. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 158. 234 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 158. 235 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 159-163. 236 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 181. 233 56 Der Leser erfährt von José, dass Teresa durch die Schwangerschaft gewissen Dingen gegenüber gleichgültig wird, die vorher wichtig für sie waren. Sie vernachlässigt erst Tassos Fell, das sie vorher regelmäßig gebürstet hat, und schließlich auch sich selbst. Ihre Haare, die sie vorher immer gepflegt und ordentlich frisiert getragen hat, sind meist fettig und fallen ihr in einer dicken Strähne vor die Augen. Zuletzt hat Teresa an einem gelben Jäckchen gestrickt. Sie ist der Meinung, dass die Farbe Gelb neutral wäre und man Gewand in der Farbe sowohl für ein Mädchen, als auch einen Jungen verwenden könnte. Als die Wehen einsetzen fröstelt Teresa, José legt ihr eine Decke um die Füße und macht ihr einen Melissentee. 237 Während der Geburt stehen Dona Branca und die Hebamme Marcelina Teresa bei. Ihr erstes Kind, ein Sohn, wird vor Sonnenaufgang geboren. Teresa kann als die weibliche Hauptfigur des Romans gesehen werden. Nicht nur weil die Geburt ihres ersten Kindes erst die Rahmenhandlung der Geschichte ermöglicht, sondern auch weil sie die Figur ist, die am öftesten in erzählten Reden ihre Meinung kund tut. Sie ist anfangs trotz allem eher ein traditionell erzogener Frauentyp. Sie ordnet sich José gerne unter und entspricht damit auch dem portugiesischen Idealbild einer Frau. Durch die Beziehung zu José wird sie allerdings merklich offener und legt zumindest einen Teil ihre Vorurteile ab. Dementsprechend sind ihre Kommentare oft nicht besonders revolutionär, meistens aber impulsiv und ehrlich. Wie die meisten Charaktere des Romans wird Teresa am häufigsten von José und dem personalen Erzähler der ersten Kapitel beschrieben. Danach kommt sie eigentlich relativ oft selbst zu Wort: entweder im (erzählten) Dialog mit José, in kurzen Aussagen über andere Charaktere des Buches oder aber auch über sich selbst, beispielsweise als sie von ihrem Leben erzählt 238, sich über die Unterrichtsmethoden in der Schule beschwert 239 oder zugibt das sie nicht so mutig wie Maria wäre 240. Da aber auch bei Teresa die Berichte von José überwiegen, kann man bei ihrer Inszenierung von einer indirektdirekten Mischform sprechen. 237 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 19-20. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 142-143. 239 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 166-167. 240 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 124. 238 57 6.1.5. Maria Maria ist eine junge Frau aus dem Freundeskreis um Gil. Dort lernen sie und José sich auch kennen. Der Leser kommt mit ihr bereits im ersten Kapitel in Berührung, wo sie vorerst nur als „Maria que desapareceu“ 241 erwähnt wird. Innerhalb von Gils Gruppe kann sie als revolutionärste, radikalste, aufgeschlossenste und vielleicht auch mutigste Figur betrachtet werden, wie folgende Aussage Marias zeigt: “A única conclusão a que se chega e de que precisamos é esta: romper radicalmente com os velhos preconceitos para consegurimos objectivos novos” 242. Sie ist zudem einer der bemerkenswertesten und am detailliertesten beschriebenen Frauencharaktere des Romans. Als José Gils Gruppe beschreibt, sagt er über Maria: Maria embirrava com Luís, porque, apesar de ele defender uma reviravolta da situação e dos costumes, nunca trazia a mulher consigo nem a fazia participar nos seus interesses. Maria, agora sentada no único banquinho do cubículo, escrevia short-stories, sistematicamente recusadas pelas editoras e pelos jornais diários, razão por que as publicava, de graça, em periódicos de província que pedinchavam colaboração. 243 Maria lebt für ihre Ideale und versteht nicht warum Luís seine Ehefrau nie zu den Treffen mitnimmt, obgleich er sich an den Diskussionen über soziale Ungerechtigkeit und Gleichberechtigung immer beteiligt und ebenfalls liberale Ansichten an den Tag legt. Ihrer Meinung nach darf man nicht nur Ideale haben, sondern man muss auch voll und ganz danach leben. Und diesen Grundsatz lebt Maria auch. Sie schreibt Kurzgeschichten, die von den systemtreuen Zeitschriften abgewiesen werden. Außerdem zeigt sie, wie die erzählten Reden beweisen, keine Scheu davor auch in Gegenwart von Männern ihre Meinung zu sagen, laut oder energisch zu werden, oder ihnen sogar zu widersprechen. 244 Als sie José mit den anderen aus Gils Gruppe in seinem Zimmer bei Dona Ambrosina besucht, wird ihre Stimme als ungezwungen und fest beschrieben. Es wird auch erwähnt, dass sie mit „fervor e tenacidade“ 245 über die Themen spricht, die ihr am Herzen liegen. 246 Dass Maria anders ist, 241 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 18. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 126. 243 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 122. 244 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 121-129. 245 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 135. 246 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 135. 242 58 als die meisten portugiesischen Frauen, merkt nicht nur der Leser. Auch José spricht es explizit an: Maria distinguia-se da maioria das raparigas pelo à-vontade com que se movia, falava, gesticulava. Teresa, apesar de ser mais graciosa e mais bonita do que ela, só há pouco tempo se libertou dum certo constrangimento em presença de homens ou de estranhos. Fernando afirmava ser Maria a única rapariga emancipada entre as suas conhecidas. Uma trança castanha-escura emoldurava-lhe a cara de olhos claros, redondos. Fernando nunca se cansava de lhe fazer retratos na tampa da mesa do café. 247 Maria wird als nicht so hübsch wie Teresa beschrieben, aber als freier in ihren Gedanken, Gesten, Bewegungen und ihrer Sprache, etwas das den meisten portugiesischen Frauen im Umgang mit Männern schwer gefallen sein könnte. Zurückhaltung galt sicher als eine rühmliche, weibliche Eigenschaft. Maria wird von Fernando als einzige emanzipierte Frau bezeichnet, ihr Äußeres mit dunkelbraunen Haaren und hellen Augen beschrieben. Eine noch detailreichere Beschreibung gibt Renato, der Maria am längsten kennt. In gewisser Weise erklärt er auch ihre Art und macht dem Leser begreiflich, wie Maria zu dem Mensch werden konnte der sie ist: «Maria perdeu a mãe muito cedo», contou-me Renato nos primeiros dias do nosso convívio. «Se ela leva uma vida menos espartilhada do que a maior parte das nossas raparigas e mulheres, deve-o ao pai. Não porque seja um homem de ideias largas, pobre dele. Dedica-se nas horas vagas da sua actividade de procurador à literatura sobre o espiritismo e às suas mais diversas práticas. Dizer que a Maria lhe é indiferente, talvez seja exagero, mas não lhe sobra tempo para se ocupar dela, de modo que a sua tolerância é mais fruto de distracção do que de largueza de ideias». 248 Diese Textpassage veranschaulicht, dass Maria ihre Mutter früh verloren hat. Laut Renato liegt vielleicht gerade in diesem Verlust die Erklärung, warum sie sich vom Großteil der portugiesischen Mädchen und Frauen so sehr unterscheidet. Ihr Vater hatte zu wenig Zeit um sich mit ihr zu beschäftigen. Ihre Toleranz und Offenheit ist also weniger eine Folge einer durch den Vater vorgelebten Offenheit und Meinungsfreiheit ist, sondern ist eher aus Nachlässigkeit zustande gekommen. Aber nicht nur das habe ihre Ideale geprägt. Era ela [Maria] quem o [Renato] conhecia desde a sua infância, pois moravam no mesmo prédio. Renato, bastante mais velho do que ela, compreendeu a sua solidão e resolvera encarregar-se daquela menina de olhos curiosos e perspicazes, ajudando-a nos deveres escolares e fazendo-a encarar a vido do mesmo modo que ele a encarava. Foi também ele que a introduziu, mais tarde, no grupo de Gil. 249 247 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 123. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 123. 249 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 125-126. 248 59 Es mögen also sowohl die Unachtsamkeit oder Unbedarftheit ihres Vaters, als auch die verbrachte Zeit mit Renato zu Marias Lebenseinstellung und –weg beigetragen haben. Schon bevor Maria untertauchen muss, sieht man wie stark sie ihren Idealen verbunden ist. „Maria, aberta e sem reservas em todos os outros assuntos, fechava-se-nos quanto aos seus problemas íntimos.” 250 Sie verschließt sich sogar Renato gegenüber, der eigentlich ihr bester Freund ist. Trotzdem bemerken die Freunde, dass sie und Fernando, ein anderer junger Mann aus Gils Freundeskreis, sich zu einander hingezogen fühlen. José meint diesbezüglich: Renato e eu tínhamos pena de Maria e de Fernando, porque sabiamos que se amavam, mas que nem um nem outro o queria confessar. Maria porque isso se afigurava traição aos seus ideais, Fernando por um absurdo orgulho pessoal. No dizer de Renato, Fernando estava mais próximo de Maria do que se supunha, mas a falta de maleabilidade, evidente característia dela, embaraçava-o e tornava-o agressivo. 251 Auch wenn Maria Interesse an Fernando hat, kann sie nicht aus ihrer Haut heraus. Würde sie sich Fernando offenbaren und vielleicht mit ihm eine Beziehung eingehen, hätte sie das Gefühl ihre Ideale von Freiheit, Gleichheit und Gleichberechtigung der Frau zu verraten. Auf Josés und Teresas Hochzeit sehen sie Maria zum letzten Mal. Einige Tage später taucht sie unter und verlässt die Stadt. Von José erfährt der Leser folgendes über diese letzte Begegnung mit Maria: Estava bonita, com um vestido verde-mar e um raminho de botões-de-rosa espetado no ombro. Simão não a largava e acabou por lhe oferecer os Pássaros à Meia-Luz. Fernando, nessa tarde, falou pouco, esteve a maior parte do tempo encostado a uma parede a beber, mas vi que a certa altura se aproximou de Maria e de Simão, agarrou o braço de Maria por um curto momento, disse-lhe alguma coisa que não ouvi, ela olhou para ele, primeiro duma maneira grave, para depois lhe sorrir e lhe afastar a mão com um gesto maternal; ele deu uma gargalhada e retirou-se de novo. 252 José beschreibt sie als hübsch, mit einem meergrünen Kleid, mit einem Sträußchen Rosenknospen an die Schulter gesteckt. Der Dichter Simão Vicente scheint von ihr begeistert zu sein, lässt sie nicht aus den Augen und schenkt ihr sogar seinen ersten veröffentlichten Gedichtband Pássaros à Meia-Luz. Es ist außerdem das erste Mal, dass José beobachten kann wie Fernando auf Maria zugeht. Vielleicht ist er eifersüchtig, denn er sagt etwas zu ihr, sie weist ihn daraufhin aber ab. 250 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 126. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 125. 252 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 162. 251 60 Nachdem Maria untergetaucht ist, erfährt man noch einmal etwas von ihr. Teresa erzählt José, Maria getroffen zu haben: «Calcula tu quem encontrei! A Maria!» — exclamou outro dia a Teresa ao voltar da rua. — «Quase não a conhecia, de tão mudada que está. Costumava andar sempre tão apuradinha e agora trazia um casaco preto, muito mal talhado, óculos de armação antiquada, e cortou as lindas tranças. [...] Mostrou-se embaraçada quando lhe falei. Conheceste-me logo?, perguntou. Disse-lhe que não, que até tivera dúvidas se era de facto ela. E era verdade. Propus-lhe tomar um café comigo, mas não aceitou. Carregava com uma saca descomunal. Manda-te cumprimentos e disse que estava fixe como de costume, mas que, por grande favor, não falássemos a ninguém do meu encontro com ela.» É assim a Maria, destemida e consequente. 253 Maria bleibt ihren Idealen also soweit treu, „consequente“ wie José sagt, dass sie als Opportunistin sogar untertauchen muss. Sie taucht aber nicht einfach so unter, sondern wird von Luís, dem sie immer schon misstraut hat 254, bei der PIDE verraten. Wie José betont, versorgte Luís die PIDE schon seit geraumer Zeit mit Informationen über Maria und verlässt kurz nachdem sie untergetaucht ist Gils Gruppe. 255 Wie Teresa erzählt, scheint das Leben im Untergrund Maria zuzusetzen, denn sie ist verändert: die schönen Zöpfe hat sie abgeschnitten, sie trägt eine Brille mit altmodischen Gestell und ist im Gegensatz zu früher, nicht mehr gut oder sorgfältig gekleidet. Sie möchte außerdem nicht, dass Teresa und José jemandem von ihrer Begegnung erzählen und schleppt eine große Tasche mit sich. Wie bereits am Anfang erwähnt, ist Maria eine der stärksten weiblichen Charaktere in Sob Céus Estranhos. Sie ist der Meinung man müsse radikal mit alten Vorurteilen brechen um endlich eine neue Gesellschaft bilden zu können. Auch wenn es dazu führt, dass sie in der Gesellschaft bestimmt eine Außenseiterin ist und schließlich sogar die Stadt verlassen muss, vertritt Maria konsequent ihre Einstellung und ihre Ideale. Von Fernando wird sie sogar als die einzig emanzipierte Frau in seinem Bekanntenkreis bezeichnet. 256 Sie ist das, was man als Freigeist bezeichnen könnte und wird in Gils Gruppe als gleichwertiges Mitglied angesehen, von Josés Vermieterin Dona Ambrosina wegen ihrer offenen, direkten Art sogar bewundert. Maria kommt relativ oft selbst zu Wort 257, meist in Bezug auf ihre Weltanschauung und im Diskurs mit Luís, Fernando, Renato und José. Sie selbst gibt wenig über ihr Innerstes, ihre 253 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 123. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 126. 255 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 127. 256 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 123. 257 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 121-128. 254 61 Gefühle preis. José begründet diese fehlenden Informationen damit, dass sie ihnen allen gegenüber ihre intimsten Gefühle verheimlichte. Durch ihre Aussagen, ihr Widersprechen, ihre Diskussionen und das sich-Luft-machen über verschiedenste Themen kann man aber auch etwas über ihre Persönlichkeit erfahren. Trotzdem sind die meisten Beschreibungen, die ihr Aussehen, ihre Biografie und ihren Charakter betreffen, indirekt und werden von José oder in erzählten Reden von Renato, Teresa und Fernando vorgenommen. Marias Inszenierung gehört trotz ihrer Stärke zu den indirekt-direkten Mischformen des Romans. 6.1.6. Dona Ambrosina und Dona Alice Bei Dona Ambrosina und Dona Alice handelt es sich um zwei ältere Damen, die Schwestern sind und sich sehr in ihrem Wesen und ihren Ansichten unterscheiden. José trifft auf die Beiden, als er bei den Sousas hinausgeworfen wird und als Untermieter bei Dona Ambrosina einzieht. Dona Ambrosina ist die „víuva de um professor de instrução primária, na Rua de Santo Ildefonso“ 258. Nachdem ihr Mann verstorben und ihr Sohn nach Mosambik gegangen war, hatte sie sich entschieden ein Zimmer zu vermieten. Nicht weil sie das Geld brauchte, sondern um eine Tätigkeit zu haben und wie José Dona Ambrosina zitiert „por não querer embrutecer“ 259, also um nicht abzustumpfen. 260 Folgendes erzählt José seinem Freund Gil über die Dona Ambrosinas Wohnung: A casa de D. Ambrosina afigurava-se-me um disparate com a sua tralha velha sem beleza, da qual a boa velhota não se atrevia a desfazer-se porque receava a desaprovação do marido, lá do alto do céu. É que a sucata já fora da família dele: os candeeiros, as colecções, sem valor, de leques e caixas de rapé, os bonequinhos delouça, os quadros adquiridos na rua, e não sei o que mais. E esse medonho cheiro, próprio das casas velhas, que me evocava a morte e se me fixava nas narinas de modo que o sentia em todas as coisas e em todas as pessoas. 261 Dona Ambrosina wagt es nicht die alten Sachen ihres Mannes wegzugeben, weil sie fürchtete sich dadurch seine Missbilligung aus dem Himmel zuzuziehen. Trotz dieser Angst und dem Leben zwischen alten, verstaubten Erinnerungsstücken, scheint Dona Ambrosina eine patente, agile und auch recht moderne Frau zu sein. Laut José sagt sie selbst, dass sie nicht abstumpfen 258 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 91-92. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 110. 260 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 110. 261 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 109. 259 62 möchte und deshalb eines ihrer Zimmer vermietet. Dona Ambrosina unterscheidet sich entscheidend von Josés anderen Vermieterinnen, den Sousas und Dona Branca: sie ist neugierig und interessiert daran, die Welt und das Leben ihrer Untermieter zu erkunden und ist mit ihrem Leben zufrieden wie es ist. Josés Meinung nach könne man sie sich auch gut in einer verantwortungsvollen Stelle vorstellen, etwa als Leiterin eines Sekretariats, einer Bibliothek oder sogar einer Schule. 262 Mexia-se com desembaraço, apesar dos seus setenta anos, encarregava-se de recados, ajudava-me a pôr os livros em ordem, por autores e por assuntos, e resolutamente dispôs-se a aprender a esrever na minha máquina. Renato dizia que ela se parecia com um capitão sem barco, o que me fazia lembrar o velho Sperber, pois tal como ele D. Ambrosina interessava-se vivamente pelo seu semelhante. Tal como ele, também se interessava por vezes em excesso: sempre que me entregava cartas com selos americanos perguntava infaliavelmente: «Do mano?». Tony contava para ela como factor máximo da minha vida. Falava nele às pessoas que me procuravam: «O mano do Sr. José vive em Nova Iorque, num desses prédios altos, chamam-lhes arranha-céus, num vigésimo quinto andar, só pensar nisso já me dá tonturas...». Dizia coisas assim com um entusiasmo como se partilhasse da minha vida. Por tudo isso, pelo seu desembaraço, pela sua natural curiosidade de tudo que lhe era novo, desconhecido, eu estranhava ela não saber desfazer-se das tralhas inúteis e sem valor. Mas — quem sabe — isso talvez tivesse a sua origem no modo de alguma catástrofe e ela procurasse amparo naqueles objetcos do passado. 263 Dona Ambrosina wird als neugierige, interessierte Frau beschrieben, die Anteil am Schicksal ihrer Mitmenschen nimmt und neuen Dingen gegenüber durchaus aufgeschlossen ist. Immerhin lernt sie auf ihren eigenen Wunsch hin in ihrem Alter noch das Maschinenschreiben. Gerade deshalb wundert es José aber, dass sie sich von den ganzen alten Sachen in ihrer Wohnung nicht trennen kann. Sie wird an dieser Stelle von José beschrieben und von Renato, der sie einen Kapitän ohne Schiff nennt. In erzählten Reden kommt sie jedoch auch selbst zu Wort, beispielsweise wenn sie nach Josés Bruder Tony fragt, anderen erzählt, dass sie nie in einem fünfundzwanzigsten Stock wohnen könnte, oder erklärt das sie nicht abstumpfen möchte. Außerdem wird sie als mütterlich beschrieben, vor allem in Zusammenhang mit Gil: Ela simpatizava com Gil. A sua figura delicada e o seu ar débil despertavam-lhe sentimentos maternais. Oferecia-lhe fatias de bolo e bolachas. O sorriso com que ele lhe agradecia enternecia-a. Precisa de engordar, Sr. Gil», dizia, ou «não deve trabalhar tanto». Todavia achava que o quadro da menina nua, também na sua opinião um pouco indecente, não dizia bem com ele e que a Escola das Belas-Artes não era recomendável para se mandar lá a gente nova estudar; por toda a parte o constava, 262 263 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 110. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 110. 63 e o cunhado contara-lhe que até obrigavam as alunas a retratarem homens nus. Evidentemente que não culpava o Sr. Gil, pois se os próprios professores lhe tinham ensinado tais poucas vergonhas... 264 Interessanter Weise ist sie eine der wenigen Frauen im Buch, die nichts gegen die Emigrantinnen. Ganz im Gegenteil: „D. Ambrosina sentia-se atraída pelo ar de independência dessas mulheres que revelavam um alento a que ela, inconfessadamente, aderia.” 265 Sie verteidigt sie sogar gegen gehässige Aussagen ihrer Schwester, die vom Lebenswandel und der Offenheit der Emigrantinnen schockiert ist. 266 Besonders beeindruckt scheint Dona Ambrosina von Maria zu sein, die eines Nachmittags mit Gils Gruppe zu José auf Besuch kommt. José beschreibt zwar auch, dass Dona Ambrosina Maria mit einer Mischung „de repulsa e de admiração“ 267 ansah, trotzdem verweigert sie ihr nicht den Zutritt zu Josés Zimmer und sagt sogar „Muito prazer“ 268, als sie ihr vorgestellt wird. Nach einer Weile unterbricht Dona Ambrosina allerdings die lebhafte Diskussion und bittet José nach draußen, wo sie ihn fragt ob es sich bei Maria um die Schwester einer seiner Freunde handeln würde, doch da ist es bereits zu spät. Dona Ambrosinas Schwester Alice läutet an der Tür und sofort als sie eine weibliche Stimme in Josés Zimmer hört, stürzt sie in dasselbe und verweist Maria des Hauses. Daraufhin wird Dona Ambrosina gezwungen José als Untermieter zu kündigen. Als Dona Alice und ihr Mann sie auch noch dazu überreden wollen, dass sie das Vermieten von Zimmern ganz aufgeben und sich lieber auf das Andenken ihres Mannes konzentrieren soll, weigert sie sich. Über Nacht verschwindet Dona Ambrosina und eröffnet in Coimbra eine Pension für Studenten. Die Schwester findet nur die leere Wohnung vor und erhält einen Brief in dem steht „Sou maior e revacinada“ 269, eine Redewendung dafür, dass sie bereits volljährig sei und selbst über ihr Leben entscheiden könne. 270 Dona Ambrosinas Figur gewinnt besonders dann an Stärke, wenn man sie im Kontrast zu ihrer Schwester Dona Alice sieht. Dona Alice ist verheiratet, wirkt verbittert und hat eine sehr enge, starre Sichtweise der Dinge: 264 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 134. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111. 266 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111. 267 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 134. 268 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 134. 269 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 135. 270 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 134-135. 265 64 [...] mantinha opiniões tacanhas sobre todas as coisas do mundo e para quem Portugal estava dum lado e todo o resto do globo e os que lá habitavam do outro. «Cá faz-se assim», que queria dizer na dela: «Assim esta certo». Os estrangeiros eram gente «de fora», diferentes da gente de cá, e portanto cheios de defeitos deploráveis. As mulheres «lá de fora» eram «umas desavergonhadas», frequentavam os cafés como se fossem homens. 271 Dona Alice ist wie besessen von der Idee, dass Portugal auf der einen, guten Seite stünde und alle anderen Länder und damit auch deren Bewohner von der anderen, schlechten Seite kämen. In ihren Augen ist einzig die Art und Weise wie man Sachen in Portugal macht richtig. Zudem findet sie für die schamlosen Emigrantinnen nur schlechte Worte, ja Dona Alice bekreuzigt sich sogar 272, wenn sie diese Frauen auch nur in den Kaffeehäusern sitzen sieht. Dona Alice ist außerdem dagegen, dass ihre alleinstehende Schwester ein Zimmer vermietet, denn man sollte sich keine Fremden ins Haus holen. José betont aber auch, dass sie gegen ihn nicht wirklich etwas hatte, denn ihrer Meinung nach würden Männer ihre Schamlosigkeiten und Unanständigkeiten außerhalb des Hauses ausleben, während Frauen dies in ihren vier Wänden täten. Umso entsetzter ist sie, als sie hört, dass ihre Schwester Ambrosina ein weiteres Zimmer an eine Emigrantin vermieten will. Natürlich kommt sie sofort unangemeldet zu Besuch, um die neue Untermieterin zu begutachten. Als diese sich aber als alte, bescheidene Senhora Grünbaum entpuppt, ist Dona Alice erleichtert. 273 Ein für Dona Alice schockierendes Erlebnis trägt sich zu, als sie eines Sonntags ihre Schwester besucht und, da José außer Haus ist, misstrauisch sein Zimmer inspiziert. José hat von Gil ein Bild geschenkt bekommen auf ein sich im Sand rekelndes, nacktes Mädchen zu sehen ist. Dona Alice sieht es und ist schockiert. Sie bekreuzigt sich drei Mal und sagt, dass sie das Gemälde anstößig findet und dass ihre Schwester solch eine Liederlichkeit in ihrer Wohnung nicht dulden könne. Daraufhin antwortet Dona Ambrosina schlicht, solange der junge Herr sein Zimmer pünktlich bezahle wäre das Zimmer sein und er könne darin aufhängen was er wolle. 274 Josés Ehefrau Teresa äußert sich über diese Reaktion Dona Alices wie folgt: „Não compreendo como a estúpida da irmã de D. Ambrosina pôde ver algum mal numa coisa tão perfeita.” 275 Nachdem José durch das Bild des nackten Mädchens an Ansehen bei Dona Alice verloren hat, eskaliert die Situation, als sie ihrer Schwester wieder einmal einen spontanen 271 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 110-111. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111. 273 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111. 274 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 134. 275 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 132. 272 65 Besuch abstattet und sieht, dass sich in Josés Zimmer nicht nur Männer aufhalten, sondern auch eine junge Frau – Maria. Dieser Vorfall, sagt José, „deu origem à mudança na vida de D. Ambrosina e também na minha” 276. Dona Alice schafft es schließlich mit Hilfe ihres Ehemannes Dona Ambrosina dazu zu bringen José hinauszuwerfen. Doch als sie ihrer Schwester auch noch verbieten will weiterhin Zimmer zu vermieten, da sich das nicht für eine Witwe gehöre, geht sie zu weit. Das nächste Mal, als Dona Alice ihre Schwester Ambrosina besuchen will, findet sie ein leeres Haus vor und bekommt wenig später einen Brief in dem Dona Ambrosina ihr schreibt, sie sei volljährig und lasse sich nicht mehr bevormunden. 277 Dona Ambrosina kann als eine der starken, relativ emanzipierten portugiesischen Frauencharaktere des Romans gesehen werden. Sie ist zwar verwitwet und lebt in einer mit Andenken und Sammelstücken ihres Ehemannes vollgestopften Wohnung, sie steht Neuem aber aufgeschlossen gegenüber und interessiert sich für das Leben und die Erlebnisse der Anderen. So lernt sie von José beispielsweise mit siebzig Jahren noch Maschinenschreiben, bewundert die jungen, aufgeschlossenen Emigrantenfrauen, die sich ihren Lebensbereich in den starren Strukturen Portugals erobern, und hat kein Schubladendenken was Unmoral und Moral betrifft. Auch als man ihr vorschreiben will, wie eine anständige Witwe zu leben habe, lässt sie sich nicht beirren und eröffnet in Coimbra eine Pension. Sie ist zwar durch ihr Alter, ihr Leben und ihre Schwester den gutbürgerlichen Verhältnissen und Verhaltensweisen verhaftet, empfindet den frischen Wind, den die Emigranten nach Portugal bringen, aber als etwas Wohltuendes, Aufregendes. Interessanterweise ist sie auch einer der Charaktere, über den sich nicht nur José äußert, sondern auch Renato, Gil und Teresa. Sie selbst kommt durch erzählte Reden ebenfalls zu Wort. Ihre Aussage „nem todos temos o mesmo modo de ver“ 278 charakterisiert und zeichnet sie am meisten aus. Dona Ambrosinas Figur kann als indirekte Inszenierung gesehen werden, die leichte Spuren direkter Inszenierung aufzeigt. Dona Alice ist das genaue Gegenteil ihrer Schwester. Sie lebt verheiratet in Porto und hat nichts Besseres zu tun, als sich neugierig in das Leben aller, vor allem aber das ihrer verwitweten Schwester Ambrosina, einzumischen. Die nach ihrem Empfinden „schamlosen“ Emigrantinnen beäugt sie mit großer Skepsis. Auch den Wunsch ihrer Schwester, Zimmer zu vermieten, kann sie nicht verstehen. Für eine Witwe sei diese Art Geld zu verdienen keine 276 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 135. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 135. 278 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 134. 277 66 angemessene Tätigkeit. In ihren Augen ist alles was portugiesisch ist, was aus Portugal kommt und wie etwas in Portugal gemacht wird, das einzig Richtige. Sie kann Andersdenkende nicht akzeptieren und ist in ihrem Denken durch die Traditionen des patriarchalen Staates geprägt. Sie wird Großteils von José beschrieben, aber auch Teresa und ihre Schwester Dona Ambrosina äußern sich über sie. Sie selbst äußert sich in ein oder zwei erzählten Reden, wird also stärker indirekt inszeniert als ihre Schwester. Ich würde sie daher unter die Kategorie der indirekten Inszenierung einordnen, mit einer leichten Tendenz zu einer direkten Beschreibung. 6.1.7. Nazaré Nazaré ist neben Dona Branca die zweite Frau im Roman, die in den Augen der portugiesischen Gesellschaft einen zweifelhaften Ruf besitzt und die eigentlich nur durch unglückliche Umstände und die Gesellschaft selbst zur Prostituierten wird. Der Leser lernt die junge Nazaré kennen als José in die Pension Modelo zieht und über die Gäste berichtet. Darunter befindet sich auch „o capitão Bigman Peixoto de Almeida com a sua Nazaré” 279. Auf den ersten Blick würde man hier nichts Ungewöhnliches vermuten, es könnte sich immerhin auch um ein Ehepaar handeln. Der Leser erfährt an dieser Stelle von José, dass Nazaré den Dichter Simão Vicente immer bewundernd und überrascht ansieht. José ist sich allerdings nicht sicher ob diese Bewunderung daher rührt, dass Nazaré die philosophischen Worte von Simão nicht versteht oder weil ihr der junge, gutaussehende Simão besser gefällt als Capitão Bigman Peixoto Almeida, der schon in seinen Fünfzigern ist. 280 Die nächste Stelle, die sich mit Nazaré beschäftigt, gibt eine relativ ausführliche Beschreibung ihres Charakters und ihrer Art wieder: Nazaré, de vinte e cinco anos de idade, que com ele [Capitão Bigman Peixoto Almeida] partilhava o quarto e a cama, pertencia ao tipo físico de mulher corrente em Portugal, baixa, roliça e com um rosto de beleza calma. Quem a visse a tricotar, sentada na cama de casal, no quarto impecavelmente arrumado, ou quem observasse como cuidava, protegendo o vestido com um avental, das suas plantas, tomá-la-ia por uma rapariga de origem castiçamente burguesa. 281 279 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 144. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 145-146. 281 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 146. 280 67 Nazaré wird hier als junge, fünfundzwanzigjährige Frau beschrieben. Der Leser erfährt zudem, dass sie ihr Zimmer und auch das Bett mit Capitão Bigman Peixoto Almeida teilt, also auch eine sexuelle Beziehung zu ihm unterhält. Nazaré wird als klein, mollig und mit einem Gesicht stiller Schönheit beschrieben. Dieses Aussehen wird von José als „typisch portugiesisch“ oder „für portugiesische Frauen üblich“ bezeichnet. An anderer Stelle wird erwähnt, dass sie roten Lippenstift trägt. 282 Um ihr Wesen zu beschreiben, wird auf diverse hausfrauliche Qualitäten zurückgegriffen: stricken, Sauberkeit des Zimmers, die gewissenhafte Pflege ihrer Topfpflanzen, das Verwenden einer Schürze bei der Arbeit um ihr Kleid zu schonen. Von José wird angemerkt, dass jeder der sie so gesehen hätte für ein anständiges, bürgerliches Mädchen gehalten hätte. Wie im Fall von Dona Branca gelingt es Nazaré durch diese löblichen Eigenschaften den Schein einer anständigen, vorbildlichen jungen Frau zumindest auf den ersten Blick zu wahren. Gleichzeitig wird aber die Oberflächlichkeit dieser Stereotype sichtbar. Eine Frau, wird automatisch für eine Prostituierte gehalten, wenn sie einem Mann zulächelt oder nach Anbruch der Dunkelheit außer Haus geht. Nazaré hingegen, die eine Prostituierte ist und nun mit einem verheirateten Mann in wilder Ehe lebt, kann allein durch ihr Auftreten als anständige, bürgerliche Frau durchgehen. Dies kommt auch an einer anderen Stelle zum Tragen, als beschrieben wird wie Nazaré und Dona Branca beisammen sitzen und in guter Hausfrauen-Manier die Aussteuer für Teresa vorbereiten. Es ist mitunter dieses häusliche Idyll, das Severino, den Lebensgefährten von Dona Branca, sogar dazu veranlasst sie doch noch zu heiraten und die Verbindung damit zu legitimieren. 283 Nazaré schafft diesen Schritt, zumindest Rahmen des Romans, nicht. José erzählt schließlich auch von Nazarés Leben. Eines Tages schütten sich Dona Branca und Nazaré ihr Herz aus. Nazaré ist danach sehr erstaunt darüber, dass zwei Menschen unterschiedlicher Herkunft sein können und am Ende trotzdem das Gleiche Leben führen. 284 Im Gegensatz zu Dona Branca stammt Nazaré aus einer sehr armen Familie. Nazaré nascera num dos bairros de lata de Lisboa, num barracão de paredes esburacadas, em que o cheiro a mofo e a miséria, de tão persistente e intenso, alastra aos próprios corpos humanos que lá vegetam. Apenas quatro dos numerosos irmãos de Nazaré resistiram à morte, visita frequente do bairro. Na altura em que o pai resolveu abandonar a família, Nazaré ia nos catorze anos e já deitava corpo, pelo que a mãe aceitou a primeira proposta de um homem que a cobiçou. O caminho de Nazaré foi descendo até ao dia em que o capitão se enamorou dela durante a visita a um lupanar e a tirou de 282 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 145. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 161. 284 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 146. 283 68 lá. «É muito meu amigo», nunca Nazaré cansava de nos informar para manifestar a gratidão pelo que considerava a «sorte que lhe coubera». Que houvesse em qualquer parte do Sul do país uma mulher com cinco filhos pertencentes ao capitão, isso não a impressionava. «Têm eles razão de queixa? Faltalhes alguma coisa? Não, nunca lhes tem faltado nada, e há propriedades na família. Mas eu bem mereço um pouco de bem-estar», dizia. E quem podia condená-la por isso? 285 Der Leser erfährt durch diese Schilderung detailliert von Nazarés Leben. Sie kommt ursprünglich aus einem der Lissabonner Elendsviertel und stammt aus einer armen, großen Familie von deren zahlreichen Kindern nur Nazaré und vier Brüder überlebten. Nachdem der Vater die Familie verlassen hat und es offensichtlich finanziell kein Auskommen mehr gibt, beschließt Nazarés Mutter ihre damals vierzehnjährige Tochter an den erstbesten Interessenten praktisch zu verkaufen. Die nächsten Jahre bedeuten für Nazaré einen immer tieferen gesellschaftlichen Abstieg, der schließlich in einem Bordell endet. Dort trifft Capitão Bigman Peixoto auf sie, der sich in Nazaré verliebt, sie aus dem Bordell holt und sie mit nach Porto nimmt. Dem von Dona Branca gezeichneten Bild der selbstbewussten, unmoralischen Flüchtlingsfrauen, entspricht Nazaré keineswegs. Sie ist paradoxerweise von ihrer eigenen Mutter in dieses Leben gedrängt worden. Ironischer Weise ist es gerade ein gut situierter Hauptmann in den Fünfzigern, verheiratet und Vater von fünf Kindern, der Nazaré zu seiner Geliebten macht. Er ermöglicht ihr so ein einigermaßen bürgerliches und vor allem sorgenfreies Leben. Prostitution war auch in Portugal oft die letzte Möglichkeit ein bisschen Geld zu verdienen und war, trotz der öffentlich hochgehaltenen Moralvorstellungen, lange Zeit nicht verboten. „A prostituição, inicialmente regulada [...] por via administrativa e não por lei, não era proibida e o proxenetismo só constituía crime quando exercido relativamente a menores.” 286 Laut Pimentel wurde die Prostitution tatsächlich erst 1962 verboten. 287 Eine weitere Szene, die dem Leser Auskunft über Nazaré gibt, spielt sich ebenfalls in der Pension Modelo ab. Capitão Bigman Peixoto macht gerade seiner Verachtung gegenüber modernen Autoren wie Fernando Pessoa Luft, da er der Meinung ist nur durch ihre „Orthographiefehler“ – also moderne Stilmittel wie Kleinschreibung, fehlende Interpunktion, etc. – würde das portugiesische Volk die Kunst zu Schreiben und zu Lesen verlernen und praktisch verdummen. Dona Branca wirft an dieser Stelle ein was es da noch zu verdummen gäbe, immerhin würde ohnehin niemand auch nur einen einzigen Buchstaben in der Größe 285 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 146-147. Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 37. 287 Vgl. Pimentel: História das Organizações Femininas do Estado Novo, S. 37-38. 286 69 eines Hauses erkennen. 288 Nazaré wohnt der Diskussion bei und „enrubesceu ao ouvir D. Branca troçar daquele jeito, porque ela também não conhecia uma letra do tamanho de uma casa.” 289 Nazaré steht mit diesem Problem nicht allein da. Die Bildungspolitik während des Estado Novo war katastrophal und betraf vor allem die ärmeren Gesellschaftsschichten. Die Schulpflicht betrug lange Zeit nur drei, später vier Jahre. Erst 1967 wurde sie schließlich auf sechs Jahre erhöht. Der Analphabetismus ging aufgrund dessen nur sehr langsam zurück, in den fünfziger Jahren waren beispielsweise noch immer 40,3 % der siebenjährigen Kinder Analphabeten. 290 Als José von seiner Hochzeitsfeier erzählt, äußert er sich auch über Nazaré: Nazaré trazia um vestido de seda brilhante e um colar de não sei quantas voltas. Nem ela nem o capitão suspeitavam de que D. Branca e Severino tinham posto seriamente em dúvida se a Nazaré devia ou não estar presente na feste e que só a minha intervenção enérgica os levara a deixar de pensar em excluí-la. 291 Obwohl Dona Branca genau wie Nazaré in wilder Ehe gelebt hat, ihre Lebensgeschichte relativ ähnlich ist und Dona Branca kein Problem damit hat Nazaré als zahlenden Pensionsgast bei sich zu haben, zögern sie und Severino ob Nazaré zur Hochzeitsgesellschaft eingeladen werden soll oder nicht. Hier kommen wieder gesellschaftliche Moralvorstellungen zum Tragen: was könnten die Leute von Teresa und José denken, wenn man zu ihrer Hochzeit eine Frau einlädt, die mit einem verheirateten Mann in wilder Ehe lebt? Nazaré wird hier im Gegensatz zum vorherigen Bild der jungen Hausfrau in Schürze als mondäne Frau dargestellt. Sie trägt ein Seidenkleid und eine so lange Halskette, dass sie einige Male um den Hals geschlungen werden muss. Man sieht bei der Beschreibung der Hochzeit allerdings auch gut, dass niemand in Nazaré eine „gefallene Frau“ vermutet hätte. Ein Beispiel dafür ist, dass der gutbürgerliche und moralischen Werten entsprechende Renato beginnt sich mit Nazaré zu unterhalten. Die Art und Weise wie er Nazaré die Geschichten erzählt und weil er sie zum Lachen bringt, kann als flirten ausgelegt werden. Der Capitão wird dadurch nämlich auf die beiden aufmerksam und lotst Nazaré zu einer Gruppe von Frauen, die Severino eingeladen hat – die wahrscheinlich moralisch einwandfrei sind. 292 288 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 149-150. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 149. 290 Vgl. Marques: Geschichte Portugals und des portugiesischen Weltreichs, S. 600-601. 291 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 162. 292 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 162. 289 70 Für Nazaré lässt sich feststellen, dass sie zwar zwei, drei Mal selbst zu Wort kommt, beispielsweise als sie erklärt, dass der Capitão „muito meu amigo“ 293 sei und als sie darauf eingeht ob dessen Ehefrau und Kinder ein Recht hätten sich zu beschweren: es fehle ihnen an nichts und sie selbst würde auch ein bisschen Glück im Leben verdienen. 294 Das sind die einzigen Male, an denen man Nazarés Stimme „hört“ und erfährt, wie sie selbst mit ihrer Situation umgeht. Das zeigt einerseits, dass sie dem Capitão dankbar ist und ihn als ihre Chance für ein glückliches Leben betrachtet. Andererseits merkt man auch deutlich, dass Nazaré ihn nicht als ihre große Liebe sieht, sondern eher gelernt hat sich mit dieser Zweckgemeinschaft abzufinden. Alle anderen Stellen, an denen über Nazaré berichtet wird, werden vom männlichen Ich-Erzähler José wiedergegeben. Seine Sicht der Dinge kann zwar als relativ objektiv bezeichnet werden, trotz allem weiß man nicht inwiefern er Dinge ausspart. Man erfährt also nur direkt, dass Nazaré der Meinung ist auch sie habe ein Anrecht auf ein bisschen Glück und das sie meint es im Capitão gefunden zu haben. Was es für sie bedeutet nur die Geliebte zu sein und in der Gesellschaft auf Ablehnung zu stoßen oder in einer Pension leben zu müssen, die von einer ehemaligen Edelprostituierten geführt wird, erfährt der Leser nicht. Es handelt sich also auch hier um eine weitestgehend indirekte Inszenierung. 6.1.8. Gils Mutter Eine der auffälligeren Nebenfiguren ist Gils bereits verstorbene Mutter. In einem Gespräch über die Liebe gibt Gil zu, dass er vielleicht nur eine einzige Frau jemals wirklich geliebt habe: seine Mutter. Trotzd dieser Liebe zu ihr gibt er zu: „Ela enervava-me com o seu espírito de abnegação, a sua bondade excessiva, com essa ingenuidade e esse conformismo que roçam por vezes a estupidez. Mas era uma mulher extraordinária.” 295 Den aufgeschlossenen, modernen Gil ärgert gerade die Aufopferung seiner Mutter für Andere, die Gutmütigkeit, aber auch ihre Naivität und ihre ewige Unterwürfigkeit. Diese Charakteristika stilisieren Gils Mutter eigentlich zur idealen, portugiesischen Frau. Wie der Leser schon früher im Buch erfahren hat, ist Gil in gewisser Weise am Tod seiner Mutter mitschuldig: 293 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 146. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 146-147. 295 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 118. 294 71 Curioso como a mãe do Gil, sem saber ler nem escrever, compreendera que Gil tinha de pintar, absolutamente de pintar, nem que para isso ela tivesse de se sacrificar, de se estafar, de morrer. Intuição e grandeza nascem com as pessoas, do mesmo modo que o talento. 296 Sie wusste, dass ihr Sohn das Talent zum Kunstmaler hatte und diese Chance einfach ergreifen musste. Gils Vater hatte jedoch an jedem einzelnen Tag seinen gesamten Lohn in den Tavernen vertrunken, weshalb kein Geld zum Leben und für die Ausbildung ihres Sohnes übrig blieb. So putzte und bohnerte sie in anderen Häusern die Fußböden und ging schließlich an der harten Arbeit zu Grunde. 297 Gil weiß auch, dass sie sich nur seinetwegen so abgerackert habe, wie er José zu verstehen gibt. Seine Mutter hätte zudem weder schreiben noch lesen gekonnt. 298 Gil versucht die Beziehung zwischen ihm und seiner Mutter mit folgenden Worten zu fassen: Só conheci a minha mãe sulcada de rugas. Custava-me a crer que tivesse sido tão bonito como diziam. O meu amor por ela talvez fosse produto da minha solidão, e com ela sucedia o mesmo quanto ao seu amor por mim. Éramos, por assim dizer, cúmplices na solidão. Depois de ela morrer fiquei sem ninguém. 299 Man kann Gils Mutter als eine an der Gesellschaft gescheiterte Frau betrachten. Sie soll früher sehr hübsch gewesen sein, Gil kann sich aber nur an ein von Falten zerfurchtes Gesicht erinnern. Im Roman erzählt José Teresa, dass Gils Vater einmal einen Alteisenhandel betrieben hatte, der aber bald in die Hände seiner Gläubiger fiel. Danach habe dieser nur noch Gelegenheitsjobs angenommen und das Geld, das er verdiente, gleich wieder in Tavernen ausgegeben. Seine Frau war daraufhin gezwungen sich Tag und Nacht abzurackern um den Ehemann, die Kinder und auch sich selbst durchbringen zu können. 300 Gils Mutter scheint ein gutes Beispiel für das Ideal der aufopferungsvollen, unterwürfigen Ehefrau und Mutter zu sein. Bei genauer Betrachtung sieht man aber, dass die so hochgehaltenen Weiblichkeitsideale wie Aufopferung, Anpassung, Güte, Gehorsamkeit, etc., ihr nicht geholfen sondern sogar geschadet haben. Das patriarchale System will die Frau einerseits an den Haushalt binden, schafft aber andererseits durch die Unauflösbarkeit der Ehe für Gils Mutter das Problem von ihrem trinkenden Mann nicht versorgt zu werden, gleichzeitig aber auch nicht loszukommen, 296 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 23. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 118. 298 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 118. 299 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 118. 300 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 129. 297 72 da eine Trennung soziale Ächtung bedeutete. Sie ist dazu gezwungen ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen und ihren Ehemann hinzunehmen. Gils Mutter kann als Beispiel indirekter Inszenierung gesehen werden. Sie wird hauptsächlich von Gil und José beschrieben. Da sie kein einziges Mal selbst zu Wort kommt, weiß man nicht, wie sie ihr eigenes Leben beschreiben würde und ob Eigenschaften wie Naivität, Anpassung und Gutmütigkeit nicht Resultat ihres desillusionierenden Lebens waren. 6.1.9. Gils Schwester Carolina Auch Gils Schwester soll analysiert werden, da sie wie auch ihre Mutter als typisch portugiesische Frau gesehen werden kann. José hat von Gil einiges über dessen Familie erfahren und erzählt es seiner Frau: Carolina, a irmã do Gil, raras vezes contraria alguém, fala pouco, sai pouco e parece não exigir nada da vida. Encarrega-se da lida da casa, mas só do indispensável. Não se esmera nas limpezas nem nas refeições, e tanto uma coisa como a outra condizem com o seu rosto anémico e o seu cabelo oleoso. Tantas vezes lhe foi dito que a mãe tinha Gil como talento excepcional, e por isso se esfolava por ele, que acabou por manifestar certo respeito pelo irmão, apesar de nunca se ter apercebido em que consistia esse talento excepcional. 301 Carolina wird als durch und durch mittelmäßig beschrieben. Sie ist ruhig, geht nicht oft aus und tut sowohl beim Kochen als auch beim Führen des Haushalts nur das Nötigste. Ebenso farblos wie ihr Leben wird sie auch von José beschrieben, der sie als anämisch, blass und mit fettigem Haar beschreibt. José gibt außerdem an, dass Carolina ihrem Bruder einen gewissen Respekt entgegenbrachte. Sie hatte schließlich so oft gehört, dass ihre Mutter Gil für ein außergewöhnliches Talent gehalten hatte. Mit seiner Kunst kann Carolina allerdings nichts anfangen. Gil erzählt, dass „A minha irmã olhava-os de esguelha, como se estivessem no índex da Igreja, e não dizia coisa nenhuma.” 302 Wie in den anderen Lebensbereichen ist Carolina in der Kunst an nichts Neuem, Modernem interessiert. Sogar Gils Bilder sind ihr suspekt, sie kann sein Talent nicht erkennen. Das letzte Mal begegnet der Leser Carolina bei Gils Beerdigung, wo sie schluchzend am Grab steht. 303 301 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 129-130. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 130. 303 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 167. 302 73 Gil und José erzählen zwar von Carolina, sie selbst kommt jedoch gar nicht zu Wort. Dieses Mal wird diese Tatsache sogar noch durch Josés Aussage „fala pouco“ unterstrichen. Carolina gehört somit zu den indirekt inszenierten Figuren des Romans. 6.1.10. Luís' Ehefrau Als José und Gil sich nach Kriegsende wiedertreffen, wird José in Gils Gruppe, bestehend aus fünf oder sechs Personen, aufgenommen. Einer von ihnen ist Luís, der gerne neo-realistische Filme drehen würde, sie wegen des totalitären Regimes aber nicht verwirklichen kann. Außerdem muss er seine Frau und seine zwei Kinder ernähren, weshalb er als Vertreter von Arzneimitteln sein Geld verdient. 304 Luís und seine Frau können als typisch, portugiesisches Ehepaar gesehen werden: er ist relativ engagiert und anfangs sogar liberal eingestellt, trotzdem achtet er auf eine traditionelle Rollenverteilung und tut nichts dafür, dass seine Frau sich weiterbildet oder das Haus verlässt. Das stellt José auch gleich klar: „Maria embirrava com Luís, porque, apesar de ele defender uma reviravolta da situação e dos costumes, nunca trazia a mulher consigo nem a fazia participar nos seus interesses.” 305 Luís kann als sehr ambivalenter Charakter gesehen werden. Einerseits gehört er zum Freundeskreis von Gil, in dem alle relativ liberale Meinungen und Ansichten haben, andererseits schließt er trotz seiner modernen Ansichten seine Frau von diesen Treffen aus und scheint sie auch sonst nicht an seinen Interessen teilhaben zu lassen. Wie Maria selbst formuliert: „Se fosses coerente não deixavas a tua mulher embrutecer em casa.“ 306 Zu diesem Zeitpunkt verteidigt sich Luís noch damit, dass man in einer Gesellschaft leben würde in der gewisse Einstellungen noch missverstanden würden und nicht akzeptiert würden. Und wer würde seine Frau schon freiwillig vor die Raubtiere werfen? 307 — Então achas que eu [Maria] estou atirada às feras? — Não exageras, Maria. Acho perfeitamente bem que convivas connosco, que andas por toda a parte, que vás onde te apeteça e te metas em questões complicadas. Ainda és livre. Maria deu uma gargalhada: 304 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 122. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 122. 306 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 124. 307 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 129-130. 305 74 — Já sei: achas tudo bem, logo que não se trate da tua própria mulher. Diz-me o que devo fazer, mas não olhes ao que faço. Pois eu cá não acredito em gente com tais princípios. É na maneira como um homem trata a sua mulher e os seus inferiores que ele se define. — Luís está preso à sua educação — tentou apaziguar Renato. 308 Obwohl in dieser Passage nur Maria, Luís und später Renato sprechen und wenig über Luís‘ Ehefrau gesagt wird, kann sich der Leser trotzdem ein Bild machen. Maria kritisiert Luís vor allem deshalb, weil er Leute wie Maria unterstützt, seine Frau aber wie alle anderen klein hält. Er lässt sie geistig untätig im Haushalt zurück, anstatt sie zu den Diskussionen mitzubringen. Luís gibt zwar an diesem Punkt noch zu, dass auch er selbst Probleme haben würde, die alten Ideale, Traditionen und Vorurteile über Bord zu werfen 309, er wird Maria aber später an die PIDE verraten und somit klare Stellung gegen oppositionelle, neue Ideen beziehen. Ob dieses preisgeben von Informationen sogar mit seiner neuen Anstellung in einer Federação das Caixas de Previdência, einer Krankenkassa, zu tun hat, wird nicht näher erklärt. 310 Persönlich lernt José die Ehefrau von Luís überhaupt erst auf seiner eigenen Hochzeit kennen. Dort plaudert sie, wie es sich gehört, die ganze Zeit über mit einer der Frauen, die Severino eingeladen hat. José beschreibt Luís‘ als schüchtern und still. 311 Auch bei Luís Ehefrau kann man von einer rein indirekten Inszenierung sprechen. Sie kommt selbst kein einziges Mal zu Wort. Durch Erzählungen Josés oder die Reden von Luís und Maria erfährt man ebenfalls nur wenige Details über ihr Aussehen oder ihre Persönlichkeit. Die einzigen Informationen, die man erfährt, sind, dass sie zwei Kinder hat, still und schüchtern ist. 6.1.11. Ehefrau des Sekretärs vom amerikanischen Konsulat Eine weitere Nebenfigur im Roman ist die Ehefrau des Sekretärs am amerikanischen Konsulat. Sie kommt zwar kein einziges Mal selbst zu Wort, wird aber von ihrem Ehemann beschrieben. Der Sekretär beschwert sich über die furchtbaren Zustände in Amerika. Im Zuge dessen kommt er auch auf die amerikanischen Frauen und seine eigene Ehefrau zu sprechen: 308 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 124. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 127. 310 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 122. 311 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 162. 309 75 E depois as mulheres! Isso é o pior de tudo. As indecências que lá vi, olhe que teria vergonha de as contar à minha mulher. Fazem dos homens gato-sapato, são elas que mandam em tudo, julgam-se mais do que eles. Deus me livra, a mim não me levavam elas, nisso não ponha dúvidas. Uma mulher tem de se pôr no seu lugar, e o seu lugar é em casa. 312 Der Sekretär meint, dass die amerikanischen Frauen das Allerschlimmste seien. Er mokiert sich unter anderem über die Schamlosigkeit, die man überall vorfindet, und das amerikanische die Männer unterdrücken würden und sich benehmen würden, als wären sie selbst mehr als das männliche Geschlecht. Er habe seiner Frau nichts von den in Amerika herrschenden Zuständen erzählt, weil er sich dann ja schämen müsste. Er betrachtet seine Ehefrau offenbar als tugendhaft und dem portugiesischem Ideal entsprechend. Er selbst wolle keine solche Frau haben, denn eine Frau müsse wissen wo ihr Platz sei und sich um ihren eigenen Aufgabenbereich kümmern. Und der sei nun einmal das Haus und der Haushalt. Man sieht hier wieder, dass der Sekretär das Verhalten und die Lebensweise der amerikanischen Frauen aburteilt, gleichzeitig aber dasselbe mit seiner Frau macht. Er beklagt, dass amerikanische Frauen so täten als seien sie das bessere Geschlecht, diskriminiert seine eigene Frau aber auch indem er sagt, sie sei nur für einen Platz zu gebrauchen und das sei der Haushalt. Seine Frau muss sich ihm wahrscheinlich unterordnen und wird nur als „gute Frau“ bezeichnet, wenn sie sich um ihren Arbeitsbereich, den Haushalt, kümmert. Ob seine Frau mit ihrem Mann und Leben zufrieden ist oder ob sie sich heimlich ein Leben wie die Amerikanerinnen wünscht, erfährt der Leser nicht. Auch die Informationen, die über die Ehefrau des Sekretärs berichten, stammen alle aus zweiter Hand. Nie kommt sie selbst zu Wort, sie selbst und ihre Rolle als Ehefrau wird rein indirekt inszeniert. 6.1.12. Dona Beatriz Nils erwähnt in einem Gespräch mit Hannah eine seiner Kundinnen, eine gewisse Dona Beatriz. Sie wird im Roman zwar nur an dieser einen Stelle erwähnt, ist aber ein weiteres anschauliches Beispiel für eine indirekte Beschreibung einer am Rande der Gesellschaft lebenden Frau. Dona Beatriz, die laut Nils so schön wie Dornröschen sei 313, wird wie folgt charakterisiert: 312 313 76 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 44. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 97. Trato, por exemplo, uma tal D. Beatriz, criatura encantadora. É propriedade dum comerciante podre de rico que, ainda por cima, pesa os seus cem quilos. Ela conseguiu que eu tenha entrada em casa, não sei que manhas para isso usou. E a criada não sai do quarto enquanto eu lá estiver. Imagine, Hannah, essa mulher é obrigada pelo marido a usar óculos quando vai à rua, óculos de lentes grossas, metidas numa armação à antiga. Tendo ela olhos de lince! 314 Nils, der sich mit Schönheitsbehandlungen über Wasser hält, lernt durch seine Arbeit diese schöne, reiche und doch sehr einsame Frau kennen. Der steinreiche, sehr dicke Ehemann verbannt seine schöne Frau ins Haus und lässt sie absichtlich hässliche, altmodische Brillen tragen, wenn sie auf die Straße geht. Sicher sind diese Maßnahmen auch ein Zeichen seiner Eifersucht oder der Versuch sie vor ihrer Schönheit zu schützen, sprich andere Männer abzuwehren. Gleichzeitig kann dieses Wegsperren aber auch als Folge der patriarchalen Gesellschaft gesehen werden, in der eine Frau allein wegen eines Blickes eine schlechte Nachrede haben konnte. Besonders durch Nils Aussage „É propriedade dum comerciante“ 315 wird dieses Bild verstärkt. Dona Beatriz wird von Nils nicht als gleichwertiger Ehepartner eines Kaufmannes bezeichnet, sondern als dessen Besitz, was von der damaligen, rechtlichen Situation einer Ehefrau in Portugal nicht weit entfernt war. Auch Dona Beatriz wird nur durch Nils und somit indirekt inszeniert. Sie selbst kommt nie zu Wort und kann sich nicht über ihre Lebenssituation und die Beziehung zu ihrem Ehemann äußern. 6.1.13. Dona Maria do Céu Auch Dona Maria do Céu, die in einem Haus gegenüber von Hannahs Wohnung lebt, entspricht dem damaligen portugiesischen Rollenbild. José gibt eine Begebenheit wieder, die Hannah ihm erzählt hat. Nils ist bei Hannah zu Besuch, um ihr Unterricht in Schönheitspflege zu geben. Hannah soll nämlich seine Kundinnen übernehmen, wenn er weiterzieht. Sie sitzen im Wohnzimmer und sehen durchs Fenster Dona Maria do Céu. Da janela da casa fronteira à nossa debruçava-se a D. Maria do Céu, de roupão e cabelo desgrenhado, mulher desgraçada com sete filhos e um marido que a deixa todas as noites sozinha. Estava a gritar 314 315 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 96-97. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 96. 77 qualquer coisa para a rua. [...] Nils riu se alto e, nesse momento, não sei porque é que ambos reparamos naquilo, a D. Maria do Céu bateu irritada com a janela. 316 Auch die Beschreibung von Dona Maria do Céu passt zu der Vorstellung, eine Frau müsse ihr Leben im Haus verbringen. Sie verbringt ihre Tage mit strähnigem, ungekämmtem Haar und im Morgenrock am Fenster und sieht dem Leben, das sich vor ihrer Haustür abspielt, zu. Das Leben am Fenster zu verbringen verdeutlicht die Passivität, die diesen Frauen zugewiesen wird. Wie Gils Mutter ist auch Dona Maria do Céu auf sich allein gestellt: ihr Mann lässt sie alleine, geht vielleicht auch in die Tavernen um dort sein Geld auszugeben. Sie ist den ganzen Tag mit den sieben gemeinsamen Kindern daheim. Als Nils sich über das Verhalten der Frau lustig macht und fragt warum sie so wütend sein könne, wenn doch der Regen aufgehört habe, erklärt ihm Hannah, dass sie eine arme Frau mit einer Menge Kinder und einem egoistischen Mann sei. 317 Auch wenn der Regen vorüber ist, wird das Leben von Dona Maria do Céu weiterhin eher düster aussehen. Sie ist eine jener Frauen, die aus der Öffentlichkeit verbannt sind, worüber José sich an einer anderen Stelle im Roman beschwert. 318 Die Figur der Dona Maria do Céu wird einzig und allein durch José beschrieben, der sich wiederum an eine Erzählung Hannahs erinnert. Man kann also auch am Beispiel dieser Frau von einer rein indirekten Inszenierung sprechen. 6.1.14. Zusammenfassung Bei den Portugiesinnen lässt sich grundsätzlich sagen, dass es sich in fünfzehn der achtzehn aufgezeigten Fälle um eine indirekte Inszenierung handelt. Das heißt, dass diese Charaktere teilweise tatsächlich kein einziges Mal selbst zu Wort kommen oder nur Aussagen treffen, die nichts vom Gefühlsleben, der Persönlichkeit oder dem Alltag der Figur verraten. Sie sind nur stumme Zeugen des Geschehens. Die restlichen drei Fälle (Dona Branca, Teresa, Maria) weisen eine indirekt-direkte Mischform auf, die sich tendenziell in Richtung direkte Inszenierung bewegt. Beispielgebend für diese direkten Einsprengsel sind etwa Dona Brancas Vorurteile und ihre energischen Diskussionen mit Capitão Bigman Peixoto, Teresas offene 316 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 96. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 96. 318 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 165. 317 78 Diskussionen mit José sowie Marias starkes Auftreten gegenüber den anderen aus Gils Gruppe. Trotzdem kann man bei diesen drei Figuren noch nicht von einer rein direkten Inszenierung sprechen, da sie dem Leser dafür immer noch zu wenig von sich selbst mitteilen. José ist in allen drei Fällen der Focalizer und derjenige, der die meisten Beschreibungen wiedergibt. Zwar lässt sich feststellen, dass Hauptcharaktere wie Dona Branca und Teresa deutlich öfter selbst zu Wort kommen als beispielsweise Gils Schwester, die nur am Rande erwähnt wird, dies kann aber nicht als Besonderheit dieses Romans betrachtet werden. Eine seltene oder häufige Erwähnung im Text kann gleichzeitig nicht als Kriterium für eine indirekte oder direkte Inszenierung herangezogen werden. So weist beispielsweise die Darstellung Marias eher Tendenzen zu einer direkten Inszenierung auf, als die Frauen der Familie Sousa, die in etwa gleich oft im Text vorkommen. Einzig Teresa nimmt durch ihre Stellung als Hauptfigur und Frau Josés einen Sonderstatus ein. Sie kommt deutlich öfter zu Wort als alle anderen. Bei den Portugiesinnen kann vor allem eins als Grund für die häufig indirekte Inszenierung gesehen werden, nämlich gesellschaftliche Normen und Traditionen. Auffallend ist dabei, dass gerade Frauen, die wie Dona Branca, Maria, Teresa und Dona Ambrosina nicht den portugiesischen Normen entsprechen, Tendenzen zu direkten Inszenierungen aufweisen. Dem gegenübergestellt sind „typisch-portugiesische“ Frauen wie Senhor Ribeiro Pintos Ehefrau Helena, die Frau des Sekretärs und die Sousas fast vollkommen stumm. Es lässt sich an den weiblichen, portugiesischen Figuren des Romans also das festmachen, was Judith Butler in Gender Trouble auf den Punkt bringt. Die Frauen werden in den meisten Fällen nicht durch sich selbst definiert, sondern durch ihre Ehemänner/den männlichen, personalen Erzähler/José. Erst durch die Männer werden sie zu dem gemacht was sie sind. Sie erfüllen ihre Rolle und schweigen deshalb. Nur diejenigen Frauen, die ohnehin nicht in das von der Gesellschaft festgelegte und festgefahrene Frauenbild zu passen scheinen – etwa Dona Branca für ihr unmoralisches Leben als Prostituierte, Maria als Verfechterin der Frauen- und Menschenrechte, Dona Ambrosina für ihre Toleranz und ihr Interesse allem Fremden/Neuen gegenüber – haben auch den Mut etwas zu sagen und aus der Stille herauszutreten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass gerade jene Portugiesinnen, die ihre von der Gesellschaft gegebene Rolle annehmen ohne das System zu hinterfragen oder etwas dagegen zu tun, im Schweigen versinken. Die anderen, die mit dem System brechen oder sich zumindest gegen ihre vorgegebene Rolle wehren, kommen auch selbst zu Wort. 79 6.2. Nicht-Portugiesinnen Der Titel dieses Kapitels erscheint vielleicht etwas merkwürdig, lässt sich aber eingängig begründen. José ist in der ersten Zeit in Portugal von vielen Flüchtlingen und damit verbunden von vielen Emigrantinnen umgeben. Viele sind wie er in Deutschland aufgewachsen und mussten aus den unterschiedlichsten Gründen vor den Nazis fliehen. Die meisten warten wie er auf ein Visum und sehen Portugal als eine Art Wartesaal für die Weiterreise an. Andere Charaktere wie etwa Waltraut und Liesel gehören jedoch Josés Vergangenheit in Deutschland an, spielen für ihn aber immer noch eine große Rolle. Da es schwierig war einen Überbegriff für diese verschiedenen Figuren zu finden, habe ich mich für den Titel Nicht-Portugiesinnen entschieden. Hier werden also all jene in die Analyse einbezogen, die keine Portugiesinnen sind, und auf ihre Inszenierungsarten geprüft. 6.2.1. Waltraut, Josés Mutter Waltraut Berger, geborene Waldefricke, ist Josés Mutter. Obwohl sie kurz nach Josés Flucht in Deutschland stirbt, ist sie eine der ständig wiederkehrenden Figuren und lebt in der Erinnerung ihres Sohnes immer wieder auf. Zum ersten Mal kommt der Leser mit ihr in Kontakt, als vom personalen Erzähler im ersten Kapitel ein typisches Weihnachten aus Josés Kindheit in Deutschland beschreibt. Er berichtet, dass Josés Vater Jude und die Mutter Protestantin war. Beide aus ihrem Glauben die schönsten und kindlichsten Bräuche behalten hätten. So feierte die Familie beispielsweise Weihnachten und Ostern in christlicher, das Fest Sukkot und Pessach in jüdischer Tradition. 319 Im selben Kapitel erfährt der Leser außerdem, dass nicht José die Idee gehabt hatte Medizin zu studieren, sondern seine Mutter. Er beschreibt sie durchwegs als „mulher ambiciosa“ 320, die immer darauf bedacht war aus ihren Söhnen wichtige Männer zu machen. José vergleicht seine Mutter diesbezüglich auch mit Gils Mutter, die unterschiedlicher nicht hätten sein können: auf der einen Seite Gils Mutter, die wusste, dass ihr Sohn malen musste und sogar ihr 319 320 80 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 16. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 22. Leben dafür gab um ihm seine Bestimmung ermöglichen zu können; auf der anderen Seite Josés Mutter, die in ihren Söhnen die Dinge verwirklicht sehen wollte, die sie selbst nicht geschafft hatte oder einfach nicht machen konnte. 321 Deshalb missbilligt es Waltraut anfangs auch, dass Josés Bruder Tony nicht studieren will. Dieser interessierte sich jedoch schon seit frühester Kindheit eher für den Beruf des Geschäftsmannes als für ein Studium, weshalb er Amerika als Emigrationsziel gewählt hatte. Die Mutter war schließlich damit einverstanden gewesen, denn sie war zu der Erkenntnis gekommen, dass „Na América os homens têm muitas ocasiões e largo espaço para avançarem na vida“ 322. Deshalb sagte sie auch immer wieder, dass es „Para um rapaz que não quer estudar há só uma única terra onde consegue vencer, a América.” 323 Amerika ist in ihren Augen das Land, in dem man ohne Studium am weitesten kommen kann und die besten Möglichkeiten hat um beruflich aufzusteigen. Es stört sie nicht einmal, dass Tony nicht sofort vom Tellerwäscher zum Millionär avanciert, sondern erst einmal in einem Nachtclub arbeiten muss. 324 Ein weiteres Beispiel für die Ambitionen von Waltraut findet sich, als José zum ersten Mal das Fennegut beschreibt und erklärt Era ali que eu vinha desde pequeno e me sentava, debaixo do majestoso choupo, para devorar os romances que a minha mãe não me deixava ler por considerar prejudicial que se perdesse tempo com leituras de romances enquanto se andava a estudar. 325 Das Fennegut bietet José Zuflucht, seit er sich dort vor seiner Mutter versteckt hatte um in Ruhe Romane lesen zu können. Denn die ambitionierte Waltraut findet es eher schädlich oder unnötig, dass Kinder Romane lesen wenn sie doch noch ganz andere, wichtigere Sachen zu lernen hätten. Nachdem José auf der Straße brutal zusammengeschlagen worden ist, sprechen seine Eltern ihn zum ersten Mal auf eine etwaige Ausreise oder Auswanderung an. An dieser Stelle wird erneut auf Waltrauts Religion hingewiesen. Josés Vater ist der Meinung, dass eine Ausreise das Beste für José wäre. Wegen seiner dunklen Haare und dunklen Augen könne ihm nun nicht einmal mehr seine Mutter, die Protestantin ist, helfen. 326 Diese Aussage verdeutlicht, 321 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 22-23. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 23. 323 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 23. 324 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 36. 325 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 34. 326 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33. 322 81 dass José nun bereits aufgrund der Haar- und Augenfarbe zum Juden stigmatisiert und verfolgt wird, ungeachtet der Religion seiner Mutter. Als die Sprache auf Josés Emigrationsziel kommt, ist erneut die positive Meinung von Waltraut über Amerika erkennbar. Ganz dem Klischee entsprechend, bezeichnet Waltraut Amerika als Land der unbegrenzten Möglichkeiten. 327 Während des Gesprächs mit José erfährt man auch, dass die Mutter krank ist oder es ihr zumindest nicht gut geht. Er erinnert sich folgendermaßen an diese Szene: A mãe estava de cama e as suas mãos esquelécticas e amarelas jaziam como duas folhas murchas sobre o edredão. Pouco restava da mulher enérgica e desembaraçada que, muito melhor do que Good Old Man, soubera impor-se, na loja, a um freguês devedor ou a um caixeiro-viajante importuno. 328 Waltraut liegt bei dieser Diskussion im Bett, die skelettartigen, gelben Hände hat sie wie welke Blätter über die Bettdecke gebreitet. Sie soll zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Schatten ihrer selbst gewesen sein, sie, die früher viel energischer und geschickter im Umgang mit Kunden, die ihnen etwas schuldig waren, oder Handelsvertretern umgehen konnte als ihr Mann. Auch durch diese Aussage wird das Bild der energischen, ambitionierten Mutter Josés unterstützt. Die schwere Krankheit der Mutter ist zudem einer der Gründe weshalb José nicht ausreisen möchte. Zum einen, weil er hier lebt und Liesel hier ist, zum anderen fragt er natürlich auch nach, was denn dann aus seinen Eltern werden würde. Josés Vater beruhigt seinen Sohn jedoch damit, dass er sich keine Sorgen um sie machen solle. Sie würden nach New York nachkommen, sobald es der Mutter wieder gut gehe. 329 Nachdem Liesel José verlässt 330, entscheidet er sich doch nach Amerika auszuwandern. Sie Mutter zeigt sich darüber sehr erleichtert. 331 Mittlerweile gestaltet sich die Beschaffung eines Visums für Amerika jedoch schwieriger als noch bei Tony. Denn die für José hinterlegte Bürgschaft reicht bei weitem nicht mehr aus. Als Josés Vater schließlich vom Rabbiner Reh hört, dass Portugal eine gute Alternative darstellen würde und er das seiner Frau mitteilt, ist ihre erste Frage „Portugal? […] Não fica na Espanha?“ 332 Good Old Man zeigt sich über diese Aussage entrüstet und liest einige Daten und Informationen zu Portugal aus einem Lexikon 327 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33. 329 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33. 330 Siehe Kapitel “Liesel”. 331 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 35. 332 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 37. 328 82 vor. Josés Mutter ist von dieser Wahl nicht besonders begeistert. Zum einen, weil das Lexikon aus dem Jahr 1909 ist und dadurch nicht genau feststellbar ist, wie die momentanen Zustände in Portugal sind und sich so etwas ihrer Meinung nach schnell ändern könne, wie man es am Beispiel von Deutschland gesehen hatte. Zum anderen ist sie nicht begeistert, weil sie Portugal als kleines Land mit ebensolchen Möglichkeiten empfindet, dessen Grenzen nicht nur geographisch eng bemessen sind. 333 Während also der Vater sich klar für eine Ausreise Josés nach Portugal ausspricht, ist die Mutter eigentlich dagegen, da man dort nichts aus sich machen könne und in seinem Leben bestimmt eingeschränkt sei. Sie wird mit dieser Vermutung Recht behalten. Die nächste Passage, die von Waltraut erzählt, beschäftigt sich mit dem alten Verlobungsring der Mutter, den er als einzigen Wertgegenstand unbemerkt mit nach Portugal hatte nehmen können 334. Juden war damals gestattet eine geringe Geldmenge mitzunehmen, nicht aber höhere Beträge oder Wertgegenstände. José erzählt, dass er den Ring schon bald nach seiner Ankunft verpfändet und natürlich vergessen hat, ihn wieder auszulösen. Bei dem Ring seiner Mutter handelte es sich um einen Ring mit zwei Brillanten. José meint auch, dass seine Frau Teresa ihm deswegen oft in den Ohren liegen würde, da sie den Ring gerne getragen hätte. Der Leser erfährt auch die besondere Geschichte dazu: Good Old Man hatte sich von einem Freund Geld borgen müssen, um den Ring für Waltraut überhaupt bezahlen zu können. Dieser Freund, der selbst nicht genug Geld gehabt hatte, war wiederum zu einem anderen Bekannten gegangen und hatte sich dort das Geld ausgeliehen. José erzählt auch, dass Good Old Man immer wieder betonte, wie weit er es mit Hilfe seiner energischen Frau gebracht hatte und wie viel er ihr verdanken würde. «Muito do que sou devo-o à vossa mãe», dizia com frequência. As palavras «a vossa mãe» pronunciava-as sempre com ênfase e não com a naturalidade com que dizia «a Waltraut» ou «a minha mulher». E quando dizia: «Muito do que sou devo-o à vossa mãe», ela tocava automaticamente no anel do noivado, na mão esquerda. 335 José unterstreicht hier die Bedeutung des Ringes für seine Eltern und auch für seine Mutter. Außerdem wird ein weiteres Mal erwähnt, wie energisch Waltraut war und dass der berufliche Erfolg ihres Mannes teilweise auch ihrem Engagement und ihren Bemühungen zu verdanken 333 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 37-38. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 41. 335 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52. 334 83 war. Diese Passage veranschaulicht außerdem die gute, relativ gleichberechtigte Beziehung der Eltern. José macht bezüglich des Verlobungsringes seiner Mutter klar, dass sie sich nur aus zwei Gründen von diesem geliebten Schmuckstück getrennt habe: weil sie ihrem Sohn eine kleine Unterstützung im Ausland zusichern wollte und weil sie wusste, dass sie kurz nach seiner Abreise sterben würde. 336 José weist schließlich noch darauf hin, dass ihm selbst nichts an solch wertvollen Ringen liegen würde und er bis heute den feinen Silberring mit einem Amethyst, den Hannah getragen hatte, als den allerschönsten Ring empfindet. Er zieht schließlich einen Vergleich zwischen seiner Mutter und seiner Ehefrau: „a minha mãe era como a Teresa, jóias só as autênticas, e nunca enfeites de fantasia.“ 337 Dieser Vergleich zwischen dem wertvollen Ring und dem Modeschmuckstück stellt Teresa und Waltraut als rationale, nüchterne Frauen der irrationalen, emotionalen Hannah gegenüber. Da José selbst mehr Gefallen an Modeschmuck findet, kann auch er seiner Mutter und Teresa gegenübergestellt werden. José hat, als er gerade erst nach Portugal gekommen ist, große Probleme eine Arbeit zu finden. Der alte Sperber, ein Leidensgenosse, bringt ihn schließlich auf die Idee doch selbst gemachte Marmelade zu verkaufen. Die portugiesische Ware sei seiner Meinung nach von schlechter Qualität, man müsse also ganz gut mit dieser Marktlücke verdienen können. Als die Marmelade fertig ist, muss José sie in Geschäften zum Verkauf anpreisen und denkt dabei wieder an seine Mutter: 338 Andando pelas ruas fora, lembrei-me de que eu fora destinado pela minha mãe a ser o homem formado da família o indispensável doutor que se exibia aos parentes e amigos. Que um dia tivesse de fazer compota de laranja num velho fogão de lenha, não podia ter ocorrido à minha mãe, mulher ambiciosa que, além do mais, julgava os fogões de lenha pertencentes à pré-história. 339 Auch diese Stelle ist eng mit Waltrauts Bild als „mulher ambiciosa“ verknüpft, die ihren Sohn José als denjenigen in der Familie betrachtete, der sich akademisch hätte bilden sollen. Er fragt sich auch, was sie gesagt hätte, hätte sie ihn Marmelade einkochen sehen. Noch dazu auf einem Holzofen, den sie als etwas der Vergangenheit angehörendes, antiquiertes, betrachtete hätte. 336 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52-53. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52. 338 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 57-61. 339 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 59. 337 84 Einen weiteren Einblick in die Persönlichkeit Waltrauts erhält der Leser, als José in der von Dona Branca geführten Pension ein Zimmer besichtigt. Da er von Dona Brancas Tochter Teresa angetan ist, beschließt er bei ihr zu mieten. Als Grund für seine Entscheidung gibt er den abat-jour, den Lampenschirm an, denn in den anderen Pensionen hätte es keine gegeben. 340 Dieser Lampenschirm ist die Überleitung zu einer Erinnerung Josés an seine Mutter: O abat-jour por causa do qual me instalei na Pensão «Modelo» era de cartão amarelo com flores estampadas. A minha mãe tinha um fraco por abat-jours, especialmente pelos grandes de seda fina. Era ela própria quem os armava, e as amigas admiravam-na por isso. Good Old Man teria preferido vê-la aplicar as suas habilidades em objectos de menos evidência. Ainda não me esqueci do abat-jour de crepe de China verde-mar que deu motivo a uma discussão entre os dois. «É delicado e está na moda», dizia a mãe. «É kitsch», dizia Good Old Man, que preferia um candeeiro de vidro fosco branco, em forma de prato, como os que expunha nos quartos de casal da sua loja de móveis. 341 Man erfährt hier das erste Mal, dass Waltraut nicht nur eine ambitionierte Frau mit stark ausgeprägtem Geschäftssinn ist, sondern dass sie auch eine Schwäche für Lampenschirme hat. Im Gegensatz zu ihrem Mann, dem einfache, dezente Lampenschirme aus Glas lieber sind, bevorzugt Waltraut auffällige aus Seide gearbeitete. Aus dieser Schwäche entwickelt sie auch ihr Hobby, die Herstellung von Lampenschirmen, für das sie von ihren Freundinnen bewundert wird. Dieses Hobby und die Vorliebe für echten Schmuck zeichnen sie als extravagante Frau aus. Die Diskussion mit ihrem Ehemann über den meergrünen Lampenschirm zeigt, wie auch schon die Diskussion über Portugal als Ziel von Josés Auswanderung, dass Waltraut mit ihrem Mann gleichwertige Diskussionen führt und auch versucht ihre Meinung durchzusetzen. Der Leser erfährt allerdings nicht unter welcher Krankheit Josés Mutter leidet. Man erfährt nur vom Tod Waltrauts, da José einmal erwähnt sie habe ihm ihren Verlobungsring deshalb gegeben, weil sie ahnte bald sterben zu müssen. Außerdem reist Good Old Man alleine über Lissabon nach New York und sagt während eines Stadtrundgangs „Rapaz, se à tua mãe fosse ainda dado ver isto…“ 342. Good Old Man überlebt seine Waltraut jedoch nicht lange, denn nur einige Monate nachdem er in Amerika angekommen ist, verstirbt er. José schildert dies wie folgt: 340 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 136-138. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 138-139. 342 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 27. 341 85 «Good Old Man passed away peacefully» telegrafou Tony a José, e depois ainda mandou dizer por carta que as últimas palavras do pai tinham sido para a mãe, a sua Kati, que sempre o tinha ajudado tão incansavelmente na loja, mas que não tivera a alegria de ver realizado o seu sonho de infância: passar os mares num transatlântico com camarotes aconchegados, sala de baile e música. 343 Auch an diesem Beispiel lässt sich die gute Beziehung zwischen Waltraut und ihrem Ehemann erahnen und ein weiteres Mal werden ihr Engagement und ihre Ambitionen beschrieben. Interessant ist, dass Waltraut an dieser Stelle ein einziges Mal Kati genannt wird. In der Übersetzung wurde der Name Kati jedoch wieder durch Waltraut ersetzt. Es ist nicht genau ersichtlich, wieso Losa hier gerade im Original den Namen Kati verwendet oder wie dieser Fehler zu Stande kam, vor allem weil der Buchstabe K erst wieder 1990 ins portugiesische Alphabet aufgenommen wurde und daher nur in Lehnwörtern vorkommt. 344 Als José Jahre später mit seiner Frau Teresa seine Heimatstadt besucht, geht er auf den Friedhof und zeigt ihr die Gräber seiner Familie. Sie sehen das Grab seiner Großeltern und gehen zu einem zweiten, „tombada, mas com as letras mais frescas: «Waltraut Berger, em solteira Waldefricke». A mãe cristã no cemitério dos judeus.“ 345 Hier wird erneut darauf angespielt, dass Waltraut zwar Protestantin war, durch ihre Ehe mit einem Juden jedoch von den Nationalsozialisten nicht als solche gesehen wurde und ebenfalls deren Schikanen ausgesetzt war. Am öftesten wird Waltraut von ihrem Sohn José in Erinnerungen beschrieben. Diese hängen meistens mit seiner Unzufriedenheit über den schlechten Job, den niedrigen Lebensstandard, etc. zusammen. Dann beginnt er zu sinnieren, ob die Lebenssituation in der er sich befindet Waltrauts hohen Ansprüchen genügen würde oder nicht. Am häufigsten wird sie von ihm deshalb auch als ambitionierte 346, starke, vielleicht auch erfolgsorientierte Frau beschrieben. José erkennt, dass sein Vater ohne sie mit dem Möbelgeschäft nie so weit gekommen wäre. Gleichzeitig können ihre Ambitionen auch als negativ bewertet werden. Sie hatte ihre beiden Söhne Tony und José für etwas Großes vorgesehen, José Medizin studieren lassen und auch sonst offenbar klare Vorstellungen für die Zukunft der Beiden gehabt, ohne sie jemals nach ihrer eigenen Meinung gefragt zu haben. José vergleicht sie mit Teresa, seiner Ehefrau, die 343 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 26. Vgl. Holzschuh: Selbstübersetzung bei Ilse Losa, S. 78. 345 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 173. 346 Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 22, S. 59. 344 86 ebenfalls so realistisch veranlagt ist und wie seine Mutter echten Schmuck bevorzugt, was sie in gewisser Weise auch materialistisch erscheinen lässt. 347 Interessant ist auch die Figur Good Old Man. Im Gegensatz zu den portugiesischen Ehemännern des Romans, beispielsweise Senhor Ribeiro Pinto oder der Sekretär im amerikanischen Konsulat, legt Good Old Man seiner Waltraut nie seine Meinung in den Mund. „Meine Frau würde so etwas nie tun.“ – das ist eine Aussage, die sich nicht in seinen Reden findet. Waltrauts Bild wird deshalb vielleicht nicht so sehr durch ihren Ehemann geprägt, wie durch José. Good Old Man scheint seine Frau einfach mit dem Blick des liebenden Ehemannes zu sehen, er ist beispielsweise sehr dankbar für die Hilfe seiner Frau im Berufsleben und äußert sich immer positiv über sie. 348 Waltraut selbst spricht nicht wirklich über sich und ihre Gefühle, tut aber zumindest ihre Meinung kund – beispielsweise als es um das Auswanderungsziel Josés geht 349, die Diskussion über den Lampenschirm 350. Es scheint außerdem so, als würden ihre Krankheit, ihr früher Tod und die damit verbundenen Abwesenheit in Josés Leben eine eher indirekte Inszenierung begünstigen. Indirekt wird sie vor allem als starke, ambitionierte Frau dargestellt. Aber auch ihre eigenen, direkten Aussagen charakterisieren als eine relativ emanzipierte, engagierte und willensstarke Frau. Waltraut kann dadurch definitiv zu den starken, weiblichen Figuren und Stimmen des Romans gezählt werden. Sie kann als indirekt-direkt Mischform gesehen werden, die indirekte Inszenierung überwiegt meines Erachtens aber. 6.2.2. Liesel Wie Waltraut ist auch Liesel, Josés Freundin oder Verlobte, eine Frau, die ihn stark beeinflusst und geprägt hat. Seine Entscheidung das Land zu verlassen fällt mit ihrer Weigerung ihn zu begleiten zusammen. Der Leser erfährt zum ersten Mal etwas über Liesel, als José auf der Straße brutal zusammengeschlagen wird und sein Vater ihm daraufhin sagt, es gäbe keinen anderen Weg als das Land zu verlassen. José will nicht gehen und besinnt sich darauf, was ihn zurückhält. Es folgt eine detaillierte Beschreibung von Liesel: 347 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52. 349 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 37-38. 350 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 138-139. 348 87 Sair do país? Para sempre? E Liesel? A minha Liesel? Liesel, de cabelo cor de cobre e olhos verdeclaros. Quando caminhávamos pelas veredas da floresta beijávamo-nos e jurávamos nunca nos separarmos. Dei-lhe um anel de prata com o nome de «Jo» gravado. É que ela chamava-me Jo. Não gostava de Josef, achava que os meus pais tinham tido mau gosto ao dar-me um nome do Velho Testamento. «Josef do Egipto», troçava, «que horror». Jo soava-lhe a moderno, à americana. Ao rir — e ria-se muito — descobria os dentes certinhos, muito brancos. Quando, numa das nossas tardes, me mordeu na mão e viu correr o sangue, chupou-o e disse: «Engoli sangue teu, Jo. Agora estamos unidos para sempre.» 351 Der Leser erfährt, dass Liesel kupferfarbenes Haar, hellgrüne Augen, gerade und sehr weiße Zähne hat und José den Spitznamen Jo gegeben hat, weil sie den Namen Josef nicht mag. Man erfährt, dass José ihr einen Silberring gekauft hat und sie einmal, als er blutet, das Blut aufsaugt und dadurch ihrer Meinung nach für immer verbunden sind. Dieses Idyll von der ewigen, großen Liebe wird jedoch zerstört, als Josés Eltern seine Ausreise planen. José sucht das Gespräch mit Liesel. Procurei Liesel. Fitou os bicos dos seus sapatos ao escutar-me, levantou para mim os olhos e disse sem grande emoção: — A verdade é que te agrediram, Jo. Talvez os teus pais tenham razão. — Vais comigo, Liesel? Encarou-me com surpresa e julgo mesmo ter-lhe visto nos olhos um nadinha de ironia: — Para o estrangeiro? Eu? Que disparate! 352 Liesel findet es absurd, dass sie gemeinsam mit José ins Ausland gehen soll, obwohl sie ihm noch vor einiger Zeit ewige Treue geschworen hat. Einige Tage später wird José aber noch mehr von Liesel enttäuscht. Er geht ins Café Viena, trinkt dort ein Bier und sieht plötzlich Liesel mit einem ihm unbekannten Mädchen eintreten. Während Liesel ihn sieht und stehen bleibt, geht das andere Mädchen weiter und setzt sich an einen Tisch mit einigen jungen Männern in brauner Uniform. Liesel sieht José und errötet, ehe sie ihn begrüßt. Auf Josés Frage, ob sie sich nicht setzten wolle, antwortet sie mit nein, denn sie könne die anderen schließlich nicht warten lassen. José bezahlt und geht zum Fennegut, wohin er sich immer zurückgezogen hat um nachzudenken. Als er am Abend nach Hause kommt teilt er seinen Eltern den Entschluss mit, nach Amerika zu gehen. 353 Liesels Treuebruch hat zu dieser Entscheidung beigetragen. 351 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33. 353 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33-35. 352 88 Liesel wird zwar von José beschrieben, was beispielsweise das Aussehen anbelangt, doch sie kommt auch selbst zu Wort. Gerade vier wichtige Aussagen, die bezeichnend für Liesel sind, trifft sie selbst: als José erklärt, warum Liesel ihn Jo nennt, zitiert er sie: «Josef do Egipto […] que horror» 354; als sie Josés Blut trinkt und meint, sie wären nun für immer verbunden und nichts könne sie mehr trennen 355; als sie sagt, es wäre absurd wenn sie mit ihm ins Ausland kommen würde 356; als sie sagt, sie könne die anderen nicht warten lassen. 357 Ihre Aussprüche beschreiben zwar nicht direkt ihre Gefühlswelt und ihren Charakter, sagen aber sehr viel über Liesel aus und können als ihre direkt wiedergegebene Meinung gesehen werden. Alle vier Situationen werden in erzählten Reden wiedergegeben, weshalb natürlich fraglich ist inwieweit sie von José richtig erinnert werden. Es handelt sich bei jenen vier Aussagen aber gleichzeitig auch um diejenigen, die ihm am besten in Erinnerung geblieben sein sollten. Bei Liesel werden Äußerlichkeiten von José beschrieben, Gefühle oder Meinungen erfährt der Leser durch erzählte Reden, also direkt. Liesel kann somit als Beispiel für direkte Inszenierung gelten. 6.2.3. Die Lindomontes Die Familie Lindomonte ist eine deutsch-jüdische Familie, die bald nach der Machtergreifung Hitlers nach Portugal ausgewandert ist, weil ihre Vorfahren aus Portugal gekommen waren und sich nach den dort herrschenden Judenvertreibungen des 16. und 17. Jahrhunderts in Hamburg niedergelassen hatten. Durch die damaligen Vertreibungen gab es in Portugal keine große, jüdische Bevölkerungsgruppe mehr und damit verbunden auch keinen weit verbreiteten Antisemitismus in Portugal. 358 Die Lindomontes erhofften sich durch diese „familiäre Verbindung“ ein kleines Stückchen Heimat in Portugal wiederzufinden, sind aber von den begrenzten Möglichkeiten des Landes enttäuscht. Die Familie besteht aus drei Personen: Senhor Lindomonte, seiner Frau Vera und deren fünfzehn- oder sechzehnjähriger Tochter. 359 354 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 32. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 32-33. 356 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 33. 357 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 34. 358 Vgl. Mühlen, Patrick von zur (Hg.): Fluchtweg Spanien-Portugal. Die deutsche Emigration und der Exodus aus Europa 1933-1945. Bonn: Dietz 1992, S. 128. 359 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 40. 355 89 Die Familie Lindomonte steht in gewisser Weise im Gegensatz zu den portugiesischen Familien des Romans. Senhor Lindomonte wirkt eher ruhig, besonnen und relativ ausgeglichen, wird aber von seiner Ehefrau Vera dominiert. Als er beispielsweise José am Ende seines Besuches ein paar Scheine Geld zusteckt, scheint es fast so, als hätte er Angst seine Frau könne etwas bemerken. 360 Vera Lindomonte wird als „mulher loira, alta, e com certeza muito mais nova do que o marido“ 361 beschrieben. Im Gegensatz zu ihrem Mann kritisiert sie alles an Portugal: die Sprache, die eingeschränkten Möglichkeiten, die Rolle der Frau und das unmögliche Essen, bei dem die Portugiesen ihrer Meinung nach nur auf Quantität und nicht auf Qualität achten würden. 362 Auch den Plan Senhor Lindomontes nach Brasilien weiterzuwandern, missbilligt sie, da sie für ihren Mann und ihre Familie Amerika als geeigneteres Umfeld empfindet und sie in Brasilien zudem wieder mit der portugiesischen Sprache, einer „língua impossível“ 363, konfrontiert wäre. Als ihr Ehemann ihrer Meinung nach schon zu lange mit José spricht, ruft sie einfach das Dienstmädchen und bestellt den Kaffee, um die Unterhaltung zu beenden. Die Tochter der Lindomontes sitzt auf dem aus Deutschland mitgebrachten Schreibtisch ihres Vaters und trommelt lautstark mit den Füßen gegen das Holz. Das im liberalen Deutschland aufgewachsene Mädchen ist durch die Auswanderung in ein vollkommen anderes Umfeld gekommen. Sie beschwert sich vor allem darüber, dass ein Mädchen oder eine Frau nach dem Abendessen nicht mehr auf die Straße gehen könne, ohne für eine Prostituierte gehalten zu werden. In der deutschen, von Ilse Losa angefertigten Übersetzung des Romans, bemängelt die Tochter zudem die „scheußlichen Cafés“ 364, in denen nur Männer sitzen und die altmodischen Unterrichtsmethoden im portugiesischen Lyzeum, wo „man alles auswendig herunterleiern und immerzu Prüfungen machen“ 365 müsse. 366 Außerdem macht sie sich auch darüber lustig, dass José nur bei Portugiesen zur Untermiete wohne und spottet auch darüber, dass er in einer portugiesischen Familie bestimmt immer „sopa de azeite“ 367 essen müsse. 360 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 42. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 40. 362 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 40. 363 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 42. 364 Losa, Ilse: Unter fremden Himmeln. Roman. Von der Autorin aus dem Portugiesischen übersetzt und überarbeitet. Freiburg: Beck & Glückler 1991, S. 54. 365 Losa: Unter fremden Himmeln, S. 54. 366 Vgl. Losa: Unter fremden Himmeln, S. 54. 367 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 41. 361 90 Die zwei Frauen der Familie Lindomonte sind relativ stark ausgeprägte Charaktere, da sie über sich selbst sprechen und zudem sagen, was sie wollen und wann sie es wollen. Zwar werden äußerliche Beschreibungen wie etwa das Alter der Tochter oder das Aussehen von Vera Lindomonte durch José, also indirekt, vorgenommen, ihre Abneigungen und Meinungen zu den verschiedensten Themen bringen sie aber selbst, also direkt, zum Ausdruck. Sie zählen somit zu den wenigen direkten Inszenierungen von Frauenstimmen im Roman. 6.2.4. Die Mündels Die Familie Mündel besteht aus dem Rechtsanwalt Theodor, seiner Ehefrau Hannah und seiner Mutter Irma. Der Leser begegnet der Familie Mündel zum ersten Mal, als der Dichter Frank in ihrer Wohnung eine Lesung veranstaltet. Im Gegensatz zu den meisten anderen Flüchtlingen leben sie in einer schön möblierten Etagenwohnung. „Os Mündels tinham fugido a tempo, bem se via. Até o lustre e as peças de cristal tinhasm posto a salvo.“ 368 Über Irma Mündel erfährt man bei dieser ersten Erwähnung im Roman von José nur, dass sie Theodors Mutter ist. Die zweite Begegnung versorgt den Leser dann schon mit mehr Details. José, der als Untermieter in dieselbe Straße gezogen ist, wie die Mündels, wird von Theodor eingeladen und darf auch seinen neuen Freund Nils mitbringen. Als die Beiden bei den Mündels ankommen, sitzen diese noch bei Tisch und essen die Nachspeise – einen Stärkepudding mit Himbeersoße. Als Nils merkt an, dass die Mündels offenbar noch sehr an der Heimat hängen müssten, wenn sie den heimatlichen Pudding mit Himbeersoße auch in der Fremde essen. Irma Mündel erwidert, dass es nicht einfach sei, Gewohnheiten von heute auf morgen zu ändern. Sie steht auf und holt für ihre Gäste Teller, die sie ebenfalls mit Pudding und Himbeersoße füllt. 369 José beschreibt die Gastgeberin wie folgt: „Mulher vistosa, morena, contrastava com o filho, loiro, de pele cor de leite.“ 370 Irma Mündels wird von José als gutaussehende, brünette Frau, etwas dunklerer Typs beschrieben. Man isst den Pudding und plaudert. Schließlich erzählt Irmas Schwiegertochter Hannah von einer Begebenheit, bei der sie ohne Strümpfe auf die Straße gegangen war und sofort von einer Schar von Jungen 368 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 67. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 93. 370 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 93. 369 91 verfolgt und ausgelacht wurde. Eine Erfahrung, die Ilse Losa ja auch selbst gemacht hatte. 371 Daraufhin ergreift auch Irma Mündel selbst das Wort. — Estupidez — disse a sogra. — A mim, um dia, não me largaram por levar um cobertor embrulhado debaixo do braço. Não percebi o que diziam, mas via-se bem que troçavam de mim por eu andar tão carregada. 372 Diese Aussage zeigt deutlich, wie schwer eine Anpassung oder Eingewöhnung für nichtportugiesische Frauen in Portugal gewesen ist. Irma Mündel, die eine eingerollte Decke unter ihrem Arm trägt, wird von ein paar portugiesischen Jungen verspottet. Sie sagt selbst, dass sie nicht verstanden habe was die Jungen sagten, aber sehr wohl begriffen habe, dass man sie ausspottete, weil sie so schwer zu tragen hatte. In der deutschen Übersetzung des Romans wird die Situation noch deutlicher dargestellt, denn dort sagt Irma Mündel: „Mich pöbelten sie an, weil ich eigenhändig ein Postpaket trug und es mir nicht von einem Dienstmädchen nachtragen ließ.“ 373 Irma Mündel wird ausgelacht, weil sie selbst etwas Schweres trägt und sich das nicht einfach von ihrem Dienstmädchen holen oder zumindest tragen lässt. Personal war in Portugal relativ billig, weshalb sich viele Familien ein Dienstmädchen leisten konnten. 374 Trug jemand sein Paket selbst so war das Grund genug ihn für arm zu halten. Doch trotz dieser ungewohnten gesellschaftlichen Normen ist Irma Mündel der Meinung, dass es wichtig sei, dass sie sich alle an die neue Umgebung gewöhnten. Das letzte Mal, dass Irma Mündel im Roman erwähnt wird, ist, als sie José nach dem Abendessen fragt, warum sich der arme Dichter Frank denn umgebracht habe. 375 Hannah Mündel ist, nicht nur von ihrem Aussehen her, das genaue Gegenteil der Schwiegermutter: sie hat braune Augen 376 – Nils sagt „olhos da cor das joaninhas“ 377 – und goldenes Haar 378, dass sie anfangs kurz trägt 379 und für Nils wachsen lässt 380. Ihr Alter wird 371 Vgl. u.a. Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 64. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 93. 373 Losa: Unter fremden Himmeln, S. 83. 374 Vgl. Berchthold: Unter fremden Himmeln – Die Schriftstellerin und Übersetzerin Ilse Losa, Track 3, ab 13:30. 375 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 93. 376 Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 67, S. 68 u. S. 100. 377 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 94. 378 Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 68, S. 94 u. S. 101. 379 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 95. 380 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 100. 372 92 nicht direkt erwähnt, man erfährt aber, dass sie acht Jahre älter ist als José. 381 Außerdem raucht sie. 382 José, der Stimmen für gewöhnlich immer mit Farben assoziiert, erinnert die Stimme Hannahs an die Kirchenglocken in seinem Heimatort. José hatte immer das Gefühl, dass jeder Schlag der Glocken die Stadt verschönern oder die Leute fröhlicher stimmen würde. Deshalb hatte er das Läuten immer mit einer harmonischen Vollkommenheit in Verbindung gebracht. 383 Und Hannah war für ihn genauso vollkommen wie das Glockenläuten: Hannah, ela própria, personificava a plenitude. Havia nela essa serenidade que torna fácil a comunicação. Com ela conseguira falar sem rodeios, a ela conseguira escutar sem que alguma vez isso lhe fosse penoso. Admiravelmente jovem, não só na aparência e nos movimentos mas também na frescura de espírito e, tal como Maria, cheia de coragem para desafiar uma sociedade de deixar atrás de si uma vida de tranquilidade. 384 In Josés Erzählungen wird zudem immer wieder Bezug auf ihre schlanken, weißen Hände und einen am Mittelfinger getragenen Silberring mit Amethyst genommen. 385 Über diesen Ring vergleicht José zudem seine Mutter Waltraut und seine Ehefrau Teresa mit Hannah. Beide Frauen würden Wert auf echten, wertvollen Schmuck legen beispielsweise den Verlobungsring seiner Mutter mit den zwei eingefassten Brillanten. Für ihn sei jedoch der schönste Ring der einfache und wesentlich billigere Ring Hannahs gewesen. 386 Der Gegensatz zwischen Teresa und Hannah in ihrer Vorliebe für Schmuck spiegelt schlussendlich auch die Gegensätze in ihrem Aussehen, ihrem Wesen und der Liebe Josés für sie wieder. José lernt Hannah kennen, als er im Haus der Mündels einer Lesung des Dichters Frank beiwohnt. Hannah öffnet ihnen die Tür und man kann sagen, dass José sich augenblicklich in sie verliebt. Während der Lesung des Dichters Frank hat er nur Augen für sie: […] e eu […] distraía-me a olhar para Hannah Mündel, aninhada no canto do divã, encostada a uma almofada de camurcine verde-musgo e segurando no colo a cabecinha da menina vinda com a professora de línguas. Parecia-me nunca antes ter visto mulher tão bonita. A luz clara daquela tarde, levemente quebrada pelas cortinas de étamine, derramava-se sobre o seu cabelo louro-dourado. Admirável a delicadeza do rosto a tez de madrepérola, o nariz um pouco arrebitdado, as maçãs-derosto salientes, os olhos dum castanho quente e aveludado. 387 381 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 18. Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 58 u. S. 94. 383 Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 25-26 u. S. 58. 384 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 26. 385 Vgl. u.a. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 18, S. 52 u. S. 163 386 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 52. 387 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 67-68. 382 93 Diese Beschreibung Josés fällt fast schon kitschig aus. Seine Gefühle für Hannah werden jedoch nicht erwidert. Sie sieht in José eher einen guten Freund oder Bruder 388, dem sie all ihre Gedanken anvertrauen kann. Bedingt durch diese enge Freundschaft, erfährt man die meisten Details über Hannahs Leben. In ihren Gesprächen erzählt Hannah, dass sie in einem Haus in München nahe der Isar mit einem strengen Vater und einer lustigen, Mutter von kleiner Statur aufgewachsen ist. Die Mutter konnte Zither spielen, woraufhin Hannah José detailliert erklärt, wie man dieses Instrument spielt. Dazu summt sie außerdem immer die Melodie oder singt die Begleitung dazu. 389 Wie auch ihrer Schwiegermutter Irma, fällt Hannah die Anpassung an die gesellschaftlichen Normen Portugals schwer. So beschwert sie sich eines Abend darüber, dass alle Leute sie so komisch ansehen würden, sie teilweise sogar ausgelacht und von einer Schar Jungen verfolgt wurde, die unentwegt auf ihre nackten Beine zeigten. Sie trägt im Sommer keine Strümpfe, was für portugiesische Frauen damals undenkbar gewesen ist, und fällt dadurch erst recht wieder auf. 390 Auch Losa berichtet, wie bereits erwähnt, von einem ähnlichen Vorfall. 391 Hannah erklärt José außerdem ausführlich ihre Beziehung zu ihrem Ehemann Theodor. «Casei-me com Theodor — contar-me-ia Hannah [...] — quando ele era um jovem advogado com êxito, em Wiesbaden. Confundi entusiasmo juvenil com amor. A plena consciência de que não tinha nada de comum com ele só a tomei depois de termos chegado aqui, empobrecidos e instalados no andar impessoal da Rua de Santo Ildefonso. Então comecei a irritar-me com a sua vaidade, a constante necessidade de se afirmar, a saudade lamurienta do bairro de Wiesbaden onde habitávamos. Pouco a pouco fui perdendo a cordialidade que lhe manifestava e isso talvez tenha sido injusto da minha parte, porque ele gosta e gostou sempre de mim. Mas eu não lhe perdoava o não o poder amar.» 392 Hannah gesteht sich ein, dass sie zum Zeitpunkt ihrer Hochzeit mit Theodor jugendliche Schwärmerei für Theodor mit Liebe verwechselt hätte. Ihr sei erst klar geworden wie wenig sie eigentlich gemeinsam gehabt hätten, als sie zur Flucht nach Portugal gezwungen und verarmt waren. Sie gibt auch zu, dass sie Theodor nicht verzeihen kann, dass sie unfähig ist ihn zu lieben. José meint diesbezüglich, dass der essentielle Teil von Hannahs Persönlichkeit darin bestand sich immer voll und ganz hingeben zu wollen ganz gleich ob in Freundschaft 388 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 100. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 58. 390 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 93. 391 Vgl. Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 64. 392 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 92. 389 94 oder in Liebe. 393 An der Beziehung Hannahs und Theodors sieht man wie es vielen Paaren gegangen sein muss, die vollkommen aus ihrem alten Leben gerissen wurden und plötzlich mit einer neuen Lebenssituation umgehen mussten. Was sich schon für den Einzelnen als schwierige Situation erweist – Hannah hat Probleme mit den portugiesischen „Regeln“ für Frauen zurechtzukommen, Theodor kann nicht als Anwalt arbeiten und ist deshalb in seinem Stolz gekränkt –, wird für die Beiden als Paar noch schwieriger. Bei Gruber wird darauf hingewiesen, dass Frauen und Männern eine unterschiedlich starke Anpassungsfähigkeit an die verschiedenen Situationen des Exils nachgesagt wird. 394 Hannahs und Theodors Ehe hält dieser Zerreißprobe nicht stand. José bringt Nils eines Abends mit zu den Mündels und muss erkennen, dass sich die Beiden langsam ineinander verlieben. In Porto verdient Nils sein Geld mit Schönheitsbehandlungen verdient. Er bietet Hannah Unterricht darin an, damit sie seine Kundinnen übernehmen könne, wenn er die Stadt wieder verlässt. Bei einer dieser Unterrichtsstunden schein Hannah sich dann ihrer Gefühle sicher zu sein. Sie schreibt Nils einen Brief, den José später finden und für den Leser wiedergeben wird: «…quando estávamos frente a frente, naquela manhã — dizia na carta — e os nossos olhos se econtraram e tu, sempre tão seguro de ti e tão desembaraçado, tiraste do bolso o livro para me dar, eu compreendi de repente que não era possível fugirmos um ao outro. Compreendi também que aquilo a que se dá o simples nome de amor é mais vasto e mais forte do que eu até ali tinha sonhado. Senti despertar em mim impulsos novos, era como se crescesse para além de mim própria, ao teu encontro. Já tinhas abertos os braços para me receber. Naquele momento só tu importavas para mim, tu e o encanto em que me envolvias, e não posso continuar nesta casa nem a viver na mentira que se tornou insuportável e é o mais baixo pecado. Não te rias de mim por te escrever. Podia ter-to dito, mas quero que saibas como em todos os momentos te sinto presente...» 395 Diese Stelle ist deshalb interessant, weil es sich dabei um den einzigen von José wiedergegebenen Brief im Roman handelt. Er kann im Grunde wie eine erzählte Rede gewertet werden, da Hannah in ihm zu Wort kommt und ihre Gefühle ausbreitet. Sie erkennt an diesem Tag, dass sie Nils liebt und dass sie es nicht mehr in „diesem“ Haus aushält, indem sie mit einer Lüge leben muss. [Hannah] Deixara Theodor Mündel e trabalhava, até à tardinha, em casa duma família dos arredores, cuidando duma criança de pernas paralíticas pela poliomielite e dormia numa pensão barata. As famílias particulares, que alugavam quartos, tinham-se recusado a aceitá-la por ser sozinho e nova e, ainda por cima, estrangeira. 396 393 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 92. Vgl. Gruber: Das Exil als Schreiberfahrung, S. 26. 395 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 97. 396 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 99. 394 95 Sie verlässt Theodor und somit auch das relativ sichere Heim. Aber sie hat, wie auch Maria, hat keine Angst davor einen Neuanfang zu wagen. Auch wenn sie diesen Neubeginn vorerst als unproblematisch empfindet, bekommt diese Aufbruchsstimmung durch die festgefahrenen Normen der portugiesischen Gesellschaft schnell einen Dämpfer. Hannah muss nun selbst arbeiten gehen und gerade als Ausländer ist es sehr schwierig eine Arbeitserlaubnis zu bekommen, wie Ilse Losa aus eigener Erfahrung zu berichten weiß. 397 Noch schwieriger ist es ein Zimmer zu bekommen, denn den anständigen Familien die vermieten ist Hannah suspekt: sie ist jung, alleinstehend und zu allem Überfluss auch noch Ausländerin. Sie muss in eine billige Pension ziehen und kümmert sich untertags um das an Kinderlähmung erkrankte Kind einer portugiesischen Familie. Bedrückend ist bald auch die Beziehung zu Nils, denn er ist ein Kosmopolit, eine Lebemann, der sich nicht ernsthaft binden will. Sein ständiges Weiterreisen ist im Grunde eine Flucht vor sich selbst. Er möchte nicht mit Hannah zusammenziehen und so muss sie immer, wenn sie ihn sehen will, in sein Hotelzimmer kommen. Im Hotel hat sie ebenfalls mit den starren Moralvorstellungen der Portugiesen zu kämpfen, denn der Portier hat sich schnell eine Meinung über sie gebildet: „Mulheres que visitavam hóspedes no quarto tinha-as como levianas.“ 398 Schließlich zieht es Nils weiter, er geht nach Südamerika und lässt Portugal und Hannah hinter sich. 399 Hannah, die nun nichts mehr in Portugal hält, will nach Australien auswandern. José geht noch ein letztes Mal mit ihr am Strand spazieren, wo sie ihm für seine Freundschaft dankt. Er ist am Boden zerstört, dass seine geliebte Hannah nun auch das Land verlässt und beginnt zu weinen. Hannah tröstet ihn, sie verbringen die Nacht am Strand und schlafen dort miteinander 400 – aus Großzügigkeit von Seiten Hannahs, wie José sagt. 401 Só mais uma vez lhe vi depois o rosto branco e tão delicado como a rosa que se segurava na mão e que eu lhe oferecera para a despedida. [...] O comboio pôs-se em andamento. Ela acenou-me com a rosa branca. Vi-lhe ainda o sorriso triste, tão triste! 402 397 Vgl. Berchthold: Unter fremden Himmeln – Die Schriftstellerin und Übersetzerin Ilse Losa, Track 1, ab 10:00. 398 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 99. 399 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 99-101. 400 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 106-108. 401 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 19. 402 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 108. 96 Sie fährt mit dem Zug ab, wahrscheinlich nach Lissabon um dort ihr Schiff nach Australien zu erreichen. José wird sie nie mehr wieder sehen und auch keine Nachricht mehr von ihr erhalten. Irma und Hannah Mündel sind Frauen, die im Leben stehen und auch ihre eigene Meinung sagen. Sie werden von José beschrieben, kommen in erzählten Reden aber auch immer wieder selbst zu Wort. Hannah spricht auch über ihre Gefühle und Empfindungen, etwa in dem Brief der an Nils gerichtet ist. Irma und Hannah sind zudem auch die einzigen Frauen im Roman, die sich offen über die für sie eigenartigen Gebräuche in Portugal und deren Auswirkungen auf ihr Leben beschweren. Hannah kann trotz der relativ wenigen Textpassagen in denen sie vorkommt, als eine der Hauptfiguren des Romans gesehen werden, da sie immer wieder im Vergleich mit Josés Ehefrau Teresa steht und für José eine wichtige Rolle spielt. Erst durch sie hat er sich in Porto heimisch gefühlt. Als sie geht, verschwindet dieses Gefühl für eine Zeit lang wieder. Irma wird teilweise durch José inszeniert, kommt aber auch selbst zu Wort. Meines Erachtens ist ihre Figur als indirekt-direkte Mischform einzuordnen. Die Inszenierung Hannahs erfolgt ebenfalls stark über Josés Erzählungen. Sie kommt aber außerdem in erzählten Reden und auch in dem wiedergegebenen Brief zu Wort und gibt dem Leser Details aus ihrem Leben sowie ihre Gefühle preis. Deshalb wäre Hannah eher als direkte Inszenierung zu sehen. 6.2.5. Rosemarie Grünbaum Als José zur Untermiete bei Dona Ambrosina wohnt, zieht kurze Zeit später auch eine Deutsche ein. Senhora Grünbaum bezieht das Nähzimmer und wird als ältliche, sorgfältig frisierte und schwarz gekleidete Dame beschrieben. Das einzig Merkwürdige an ihr ist eine große Kiste, die sie mit sich führt. Dona Ambrosina wüsste gerne was sich in der Kiste befindet und fragt Senhora Grünbaum deshalb ob etwas Zerbrechliches in der Kiste sei. Dann würde sie beim Zusammenräumen nämlich besonders vorsichtig damit umgehen. Senhora Grünbaum scheint sich zu freuen, auf ihre Kiste angesprochen zu werden. Mit dem bisschen Spanisch, dass sie kann, erklärt sie Dona Ambrosina, dass sich in der Kiste Bilder befinden. José wird herbeigeholt um die Kiste zu öffnen, denn Senhora Grünbaum möchte ihnen die 97 Bilder gerne zeigen. 403 Und damit beginnend erfährt man mehr über die Lebensgeschichte Senhora Grünbaums: [O caixote] acompanhara-a na sua fuga da Alemanha para a Holanda, da Holanda para a França, depois para Espanha e Portugal. Havia de levá-lo até à Venezuela, onde se refugiara uma prima sua, faltava-lhe apenas o visto para seguir. 404 Senhora Grünbaum lehnt die Bilder daraufhin an die Wand, damit José und Dona Ambrosina sie besser betrachten können. Sie gibt bei jedem Bild ihre Erklärungen ab: wann es begonnen und beendet wurde, den Ort oder die Person, die es darstellt und auch, welche Intentionen ihren Mann dazu bewogen hatten, gerade dieses Motiv auszusuchen. 405 José und Dona Ambrosina wirken nicht besonders begeistert, aber José gibt die Lebensgeschichte von Rosemarie 406, so heißt Senhora Grünbaum, trotzdem wieder. «És tontinha, Rosemarie», dizia o pai dela, dono dum talho, quando lhe ouvia falar de arte e de artistas. Por isso Rosemarie sonhava com um outro pai, de cabelos brancos nas fontes, que escrevesse romances, ou de juba desgrenhada, que compusesse melodias. Retinha à força as lágrimas quando os seus mastigando ruidosamente e de queixos besuntados de gordura, troçavam dos «mandriões das artes sem pão». «Os mandriões sem pão serão o orgulho das nações», explicava-lhes ela de voz trémula, «mas vocês hão-de desaparecer no vácuo sem deixarem vestígios». Lia romances até altas horas da noite e coleccionava reproduções de calendários e postais coloridos. Quando conheceu Bertold Grünbaum e ele lhe disse que era pintor, os olhos iluminaram-se-lhe, embora Grünbaum fosse baixo e pouco vistoso. Nunca ele se arrependeu de ter casado com a filha do carniceiro, pois mulher mais dedicada não poderia ter desejado. Amava-a cada vez mais e chamava-lhe a sua musa. Quando os «uniformizados» o foram buscar, Rosemarie encontrava-se na Holanda. Fora lá para pôr a salvo o caixote dos melhores quadros dele e para sondar as possibilidades de se estabelecerem naquele país. «Até breve», dissera-lhe na despedida, sem adivinhar que nunca mais o veria. 407 Senhora Grünbaums Leben wird in dieser Textpassage extrem detailliert beschrieben. Der Leser erfährt, dass sie immer schon eine Schwäche für die Künste hatte, dass sie mit ihrer Fleischhauer-Familie nichts anzufangen wusste und dass sie sich genau wegen diesem Faible sofort in den Künstler Bertold Grünbaum verliebte. Allerdings ist es auch hier wieder José, der alle Informationen wiedergibt. Die einzige erzählte Rede Senhora Grünbaums, ist der Abschiedsgruß „Até breve“ an ihren Mann. Nach dieser ausführlichen Beschreibung hört der Leser nur noch einmal von Senhora Grünbaum. José erzählt von einem Gemälde, das ihm Gil geschenkt hat. Darauf ist ein nacktes, im Sand liegendes Mädchen zu sehen. Als Dona 403 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111. 405 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 111-112. 406 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 112. 407 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 112-113. 404 98 Ambrosina das Bild sieht, fragt sie José, was wohl Senhora Grünbaum dazu sagen würde. José erklärt dem Leser daraufhin, dass sie nichts mehr von ihr gehört hatten, seit sie mit ihrer Kiste nach Caldas da Rainha, wo neuerdings die Flüchtlinge versammelt wurden, hatte fahren müssen. Denn die Gefängnisse waren alle voll besetzt. 408 Obwohl Senhora Grünbaum nicht zu den Hauptfiguren des Romans gehört, ist es meines Erachtens sinnvoll sie einzeln zu analysieren. Denn auf den ersten Blick scheint es, als würde man viele der Informationen aus erster Hand – also direkt von Senhora Grünbaum – erhalten. Tatsächlich erzählt José aber nur, dass Senhora Grünbaum ihnen ihre Lebensgeschichte erzählt hat. Es kommen zwar zwei sehr kurze erzählte Reden vor 409, man erfährt in ihnen aber nur, dass ihrer Meinung nach nur Künstler oder Kunst Spuren in der Welt hinterlassen und alles andere verblasst. Der eigentliche Erzähler von Grünbaums Lebensgeschichte ist wieder einmal José, wodurch man den Wahrheitsgehalt des Erzählten nicht genau abschätzen kann. Durch Josés Erzählung, in der die Biografie von Senhora Grünbaum nicht in erzählter Rede, sondern in seinen eigenen Worten wiedergegeben wird, kann man diesen Charakter als indirekt inszeniert bezeichnen. 6.2.6. Senhora/Witwe Teich Eine der Nebenfiguren ist die Senhora, in der Übersetzung Witwe, Teich. José erklärt, dass der Dichter Frank immer in einem gewissen elterlichen Ton, einer gewissen Überlegenheit, zu ihnen sprach. Diese Überlegenheit legt Frank vor allem in Gegenwart bestimmter Personen an den Tag, von denen eine die Witwe Teich war. José beschreibt sie wie folgt: [...] viúva de um banqueiro a quem tinham confiscado todos os bens e destruído a vivenda para, em seguida, o matar na prisão. A Sra. Teich procurava compensar o destino desditoso falando, a cada passo e a propósito de tudo, das comodidades e do prestígio perdidos, das suas pratas e jóias, da mobília de estilo, da biblioteca, do pessoal doméstico. 410 Der Leser bekommt hier ein relativ negatives Bild von José geschildert, das die Witwe Teich als verwitwet, verbittert und, angesichts des angeblich ständigen Geredes über ihren 408 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 133. Anm. «Os mandriões sem pão serão o orgulho das nações [...] mas vocês hão-de desaparecer no vácuo sem deixarem vestígios» und «Até breve», Vgl. Sob Céus Estranhos, S. 112-113. 410 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 65. 409 99 verlorenen Besitz, auch als materialistisch darstellt. Der Dichter Frank sagt eines Tages sogar zu ihr: „Os nossos bens espirituais […] não nos podem roubar nem destruir.“ 411 Die Witwe Teich errötet daraufhin, wie José berichtet, und „classificou Frank, depois de ele ter saído, de presunçoso e de comunista.“ 412, also als aufgeblasen und als Kommunisten. Das ist die einzige Aussage, die der Leser indirekt von ihr erfährt. Dieser Kommentar ist jedoch nicht wirklich repräsentativ, da dieser Ausspruch auch als Trotzreaktion gesehen werden kann. Gerade am Beispiel der Witwe Teich sieht man, wie solche Aussagen unsere Wahrnehmung und damit auch den Eindruck von einer Person beeinflussen können. Der Leser bekommt automatisch ein negatives Bild von der Witwe Teich vermittelt, obwohl sie selbst gar nicht zu Wort gekommen ist. Da sie nur durch andere beschrieben wird und auch nur nacherzählt wird, was sie angeblich über den Dichter Frank gesagt hat, ist die Witwe Teich als indirekte Inszenierung einzuordnen. 6.2.7. Die Österreicherin Eine weitere Nebenfigur und Emigrantin des Romans ist die Österreicherin. Sie taucht zum ersten Mal auf, als der Dichter Frank im Café Superba darüber referiert, dass sich immer, wenn man einen geliebten Menschen verliert, einen beruflichen Misserfolg erfährt oder an einer Krankheit leidet, jemand findet, der einen trösten kann und einen ähnlich schlimmen Schicksalsschlag erlitten hat. Einzig den in die Flucht Getriebenen, wie sie es ja alle sind, hätte niemand Trost zu spenden da niemand etwas Ähnliches erlebt habe und die Augen vor dieser Tatsache verschließen würden. Die Österreicherin wirft an dieser Stelle ein: „Talvez por não querer admitir a possibilidade de que lhe possa acontecer o mesmo“ 413. Danach wird sie von José wie folgt beschrieben: [...] a velha senhora austríaca, todas as tardes presente no café e sempre de lenço de renda preta na cabeça como se estivesse pronta para ir à missa ou de regresso de lá, e que não se cansava de falar numa festa em Viena onde lhe fora apresentado o poeta Hoffmannsthal e outras celebridades. Conseguira salvar uma notável parte dos livros da biblioteca da família, que emprestava, a troco de 411 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 65. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 65. 413 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 63. 412 100 dinheiro, aos outros refugiados. Também lhes apanhava as malhas das meias e lhes envernizava as unhas. 414 Die Österreicherin wird von José relativ neutral beschrieben. Wie die Witwe Teich scheint auch die Österreicherin aus einer wohlhabenden Familie zu stammen. Sie ist allerdings eindeutig positiver belegt, da sie nicht über das ihr und ihrer Familie gestohlene Hab und Gut lamentiert, sondern die Bücher, die sie retten konnte, an andere verleiht. Damit verdient sie ihr Geld. Um dieses schmale Gehalt aufzubessern lackiert sie anderen Emigrantinnen die Nägel und flickt gerissene Damenstrümpfe. Als der Dichter Frank sie daraufhin für ihre Aussage lobt, errötet die Österreicherin. 415 Das nächste Mal trifft der Leser auf die Österreicherin, als José mit seinem Freund Nils das Casino in Estoril besucht: Vi a velha senhora austríaca: o lenço de rendas pretas tinha-lhe escorregado para as costas. Usara todas as manhas para conseguir por várias vezes autorização de permanência. De faces ardentes, o puxinho cinzento a soltar-se-lhe, escrevia febrilmente uma série de algarismos num papelinho. Sentiu o meu olhar e levantou a cabeça: — Olá, também por cá? Felicidades. E voltou a debruçar-se sobre os seus cálculos de probabilidades. 416 José berichtet an dieser Stelle, dass die alte Österreicherin mit jeden Trick versuchen würde ihre Aufenthaltserlaubnis noch einmal verlängert zu bekommen. José beschreibt ihr Gesicht als glühend, der graue Haarknoten beginnt sich aufzulösen, während sie fieberhaft Zahlenreihen auf ein Zettelchen kritzelt. Das schwarze Spitzentuch ist ihr auf die Schultern gerutscht, normalerweise trägt sie es immer auf dem Kopf. Diese Beschreibung steht im Gegensatz zur vorigen, bei der sie eher als zurückhaltende, ältliche Frau beschrieben ist, nicht aber als glühende Spielerin. Die Dringlichkeit, Geld zu gewinnen um möglicherweise jemanden für eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung bestechen zu können, wird durch das gegensätzliche Bild noch verdeutlicht. Schließlich sieht die Österreicherin José und spricht hier ein zweites Mal selbst – sie wünscht José viel Glück. Die Begebenheit im Casino ist zudem wieder einmal bezeichnend für die vorherrschenden Sitten, denn im Saal halten sich mehr Männer als Frauen auf und die anwesenden Frauen sind entweder Ausländerinnen oder 414 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 63. Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 63. 416 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 103-104. 415 101 Prostituierte. 417 Zum dritten und letzten Mal erfährt man etwas von der Österreicherin, als José am Britischen Institut den Siegesfeiern zu Kriegsende beiwohnt. [José] Estava de taça na mão a conversar com a velha refugiada austríaca do Superba que, nessa noite, não trazia o lenço de rendas pretas mas ostentava um penteado festivo para o acontecimento, estava eu a ouvir dizer-lhe que graças a Deus voltaria à sua querida Viena, a única cidade no mundo onde a vida valia a pena ser vivida [...] 418 Auch diese Beschreibung steht im Gegensatz zur ersten, da die Österreicherin das schwarze Spitzentuch wieder nicht trägt, sondern sich für diesen Anlass eine festliche Frisur gemacht hat. José erzählt außerdem, dass die Österreicherin sich freuen würde endlich in ihr geliebtes Wien heimkehren zu können, denn nur dort sei das Leben wirklich lebenswert. Die Österreicherin kann ebenfalls als indirekt inszenierte Frauenstimme betrachtet werden, da sie selbst zwar in erzählten Reden zu Wort kommt, aber nie wirklich etwa über sich preisgibt. Es ist José, der dem Leser die wenigen von ihr bekannten Details vermittelt. 6.2.8. Elfe Elfe ist keine der zahlreichen Flüchtlinge, sondern eine Bekannte aus Josés Zeit als Medizinstudent. Im Roman kommt sie zwar nur einmal vor, ist aber dennoch interessant für die Inszenierung der Frauenstimme. José erinnert sich an sie, als er mit Nils in einer Bar sitzt und dieser Whisky bestellt. Denn eines Nachts, als José noch Medizinstudent war, bestellte auch Elfe Whisky. Elfe wird als eine Frau mit eigenwilligem Profil und einer glitzernden Haarspange im kupferfarbenen Haar beschrieben. Als José sie auffordert weniger zu trinken meint sie nur „O que importa, Josef?“ 419 Elfe ist es egal wie betrunken sie ist. Sie ist nicht mehr die jüngste, mit einem achtzigjährigen Man verheiratet, fährt einen Mercedes und gibt das Geld ihres Mannes mit beiden Händen aus. José sagt über Elfe: „corria de ilusão em ilusão. Um jovem estudante de Medicina, do primeiro ano, era uma ilusão assim.” 420 Als José und Nils in der 417 Vgl. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 103. Losa: Sob Céus Estranhos, S. 114. 419 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 83. 420 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 83. 418 102 Bar auch noch von zwei jungen, aber verlebten Prostituierten angesprochen werden, erinnert er sich erneut an Elfe: [As duas prostitutas] Não eram Elfes. Antes fossem! Mas as Elfes desta cidade não frequentam os bares. Fazem tudo pela calada, em esconderijos, leva tempo a conhecer-se-lhes as manhas. Elfe era espirituosa, era cidade grande, excitação. Um homem pode lembrar-se dela. «Queridinho», segredava num modo suave passando-me a mão pelo cabelo. E «oxalá o mundo te queira bem», dizia. Evocava aventuras, embora já não fosse nova, mas estas duas eram velhas e gastas apesar de serem novas. Traziam na cara e nos vestidos o carimbo da tragédia nojenta e portavam-se como retalhistas que tentavam impingir mercadoria inferior numa loja suja. 421 Es geht nicht klar hervor ob Elfe eine Prostituierte, die Geliebte Josés oder eine Lebedame ist. Vielleicht ist sie auch nur eine gelangweilte Ehefrau. José vergleicht sie jedenfalls mit den beiden portugiesischen Prostituierten. Elfe scheint ihren Beruf oder ihr Leben aus Langeweile gewählt zu haben oder weil sie an den Bars, dem Alkohol und diversen Lieb- oder Freundschaften Gefallen findet. Sie hat durch ihren Ehemann die finanziellen Mittel und treibt sich nicht in den Bars herum um ihre Existenz zu sichern. Obwohl sie nicht mehr jung ist, vermittelt sie dem jungen José Abenteuer, Großstadtleben, ist geistreich und aufregend. Die beiden Prostituierten in der Bar sind jung, aber verlebt, und agieren übertrieben. Sie verdienen auf diese Art und Weise ihr Geld und preisen sich an wie eine „minderwertige“ Ware. José gibt dabei zu bedenken, dass es in Porto sicher auch Frauen des Typs „Elfe“ gibt, diese aber alles im Versteckten und Geheimen tun müssten. Er weist damit einmal mehr auf die eingeschränkten Möglichkeiten der portugiesischen Frauen hin. Auch Elfe kann zu den indirekten Inszenierungen gezählt werden, da José den Leser mit allen Details versorgt, die er hat. Elfe selbst, gibt nichts über sich preis. Sie gibt nur zu bedenken, dass es egal ist ob sie viel Whisky trinkt oder nicht. 6.2.9. Zusammenfassung Innerhalb der zehn analysierten, nicht-portugiesischen Figuren kann man vier indirekte und vier direkte Inszenierungsformen feststellen. In zwei Fällen ist ein relativ ausgewogenes Verhältnis von indirekten und direkten Inszenierungen zu finden, weshalb man in diesen Fällen von einer Mischform sprechen kann. Insgesamt lässt sich jedoch eine deutlich stärkere 421 Losa: Sob Céus Estranhos, S. 84. 103 Tendenz zur direkten Inszenierung erkennen, als bei den Portugiesinnen. Unterschiede zeichnen sich bereits in der Anzahl der Sprechakte ab, denn bei den Nicht-Portugiesinnen kommen wirklich alle Charaktere mindestens einmal selbst zu Wort. Es hat sich gezeigt, dass eine direkte Inszenierung bei starken Hauptfiguren wie Liesel oder Hannah mir größerer Wahrscheinlichkeit zutrifft, als Nebenfiguren. Gleichzeitig sieht man auch, dass eine indirekte/direkte Inszenierung nicht zwingend mit der Häufigkeit mit der eine Figur im Text vorkommt zu tun haben muss. Während beispielsweise Liesel nur in einem Kapitel des Romans ausführlich behandelt wird und als direkte Inszenierung angesehen werden kann, ist die an drei Stellen im Roman vorkommende Österreicherin indirekt inszeniert. Es lässt sich allerdings erkennen, dass die nicht-portugiesischen Charaktere oft willensstärker auftreten. Beispielsweise widerspricht Waltraut ihrem Ehemann und drückt auch ihre eigene Meinung klar aus, Liesel lehnt sofort ab mit José ins Ausland zu gehen und die zwei Frauen der Familie Lindomonte kritisieren alles was ihnen an Portugal nicht zusagt. Auffallend ist auch, dass diese Frauen seltener von ihren Ehemännern charakterisiert oder beschrieben werden, sondern sich teilweise selbst über das Wesen und das Leben ihrer Ehemänner äußern. Diese Tatsache hängt allerdings oft mit der schwierigen Situation des Exils zusammen (Hannah, Senhora Grünbaum). Diese Ergebnisse lassen die These zu, dass die nicht-portugiesischen Figuren seltener indirekt inszeniert sind, weil sie in einem anderen Land aufgewachsen sind und einen anderen Grad an Emanzipation erreicht haben. Sie alle sind in moderneren, liberaleren Staaten aufgewachsenen, haben dort bereits ihren Platz im Leben gefunden und mussten sich bisher nie über die in Portugal für Frauen vorgesehene Rolle definieren. Deshalb können sie, wie auch die Autorin Ilse Losa, die Normen und Gebräuche ihrer alten Heimat mit denen Portugals vergleichen. Sicher sind auch sie nicht komplett gleichberechtigt und frei in ihren Entscheidungen aufgewachsen, es ist aber auffällig, dass Waltraut José vor der Beschränktheit Portugals warnt, die Lindomontes sich über das rückständige Land beschweren, Irma und Hannah Mündel Schwierigkeiten mit den für sie ungewöhnlichen Gebräuchen haben. Mindestens in fünf Fällen sprechen die Figuren die Missstände also offen an. Auch auf sie passt Judith Butlers sex/gender-Modell, denn die Nicht-Portugiesinnen werden in der fremden Kultur mit den dort vorherrschenden Traditionen und Rollenbildern konfrontiert. Jene Frauen, die sich integrieren und einleben wollen, müssen sie sich der portugiesischen Definition von Frau – gute Hausfrau sein, immer Strümpfe und Hut tragen, nicht mit Männern sprechen, 104 nicht alleine ausgehen, etc. – unterwerfen, egal wie sie sich vorher selbst definiert haben. Erschwerend kommt bei ihnen hinzu, dass sie durch ihre Fremdheit und Andersartigkeit bereits eine Randposition in der Gesellschaft einnehmen. Zusammenfassend lässt sich für die Nicht-Portugiesinnen daher sagen, dass sie in ihrer Heimat vielleicht auch in ein Rollenbild gedrängt wurden, dieses aber weitaus weniger restriktiv war, als das in Portugal herrschende. Teilweise kommen sie mit ihrem neuen Leben und ihren neuen Rollen noch nicht zurecht. Sie sind allerdings definitiv emanzipierter, was sich auch in ihren Aussagen, Gesprächen und Anmerkungen niederschlägt. Sie rauchen (Hannah), trinken (Elfe), arbeiten (Hannah, Waltraut, Österreicherin) und gehen aus (Hannah, Österreicherin, Liesel), was bei den Portugiesinnen außer bei der Beschreibung zweier Prostituierter nie der Fall ist. 105 7. Schlussbetrachtungen Am Anfang dieser Diplomarbeit stand die Frage, wie Frauenstimmen im Roman Sob Céus Estranhos literarisch inszeniert werden, ob sie in Anbetracht der Umstände (männlicher Protagonist, männlicher Erzähler, patriarchale Gesellschaft Portugals) überhaupt vorhanden sind und ob sich Unterschiede in den Inszenierungsarten der portugiesischen und nichtportugiesischen Figuren manifestieren. Bei der ersten Lektüre des Romans war ich der Meinung, dass wahrscheinlich ein Großteil, wenn nicht sogar alle der weiblichen Figuren, indirekt inszeniert sein müssten. Die darauf folgende Arbeit am Text zeigte jedoch, dass es schwieriger als gedacht war, die Aussagen der einzelnen Frauenfiguren von denen des Erzählers zu trennen. Durch die monologischen Reflexionen Josés, der als Erzähler und Focalizer wirkt, ergab sich die Frage inwiefern erzählte Reden von ihm beeinflusst, verändert oder falsch geschildert wurden. Dadurch, dass José jedoch relativ objektiv und glaubwürdig erscheint, habe ich bei der Analyse folgendermaßen unterschieden: direkte Zitate von José, erzählte Reden, die José wiedergibt und Erzählungen, die von José stammen. Einen Unterschied zwischen der vorletzten und letzten Kategorie ergibt sich meist daraus, dass die erzählten Reden oft wie direkte Reden mit Anführungszeichen versehen sind. Bei einer genauen Auseinandersetzung mit dem Text, zeigten sich dann erste Ergebnisse: von achtundzwanzig analysierten Charakteren konnte man neunzehn einer indirekten Inszenierung zuordnen. Hierbei zeigten sich zwischen den Portugiesinnen und den Nicht-Portugiesinnen vor allem darin Unterschiede, dass bei den Nicht-Portugiesinnen auch alle indirekt inszenierten Figuren in erzählten Reden – wenn auch manchmal mit belanglosen Aussagen – zu Wort kommen, was bei den Portugiesinnen seltener der Fall war. Die Portugiesinnen nehmen bei den indirekten Inszenierungen eine noch stillere, teilweise sogar vollkommen stumme Rolle ein. Das kann mit den gesellschaftlichen Normen in Portugal zu tun haben und stimmt mit auf Judith Butlers These überein, dass Frauen von der Gesellschaft zu dem gemacht werden was sie sind. Stille, sanfte Frauen, die nicht widersprechen oder ihrem Ärger Luft machen, wurden zum idealen Bild der Frau ernannt und verwiesen somit alle in ein Leben der Zurückhaltung 106 und des Schweigens. Die meisten der portugiesischen Frauenfiguren werden zudem von ihren Ehemännern und somit von der Gesellschaft beschrieben und zu dem gemacht was sie sind. Keiner fragt nach ihrer Meinung und ihren Bedürfnissen. Interessant ist diesbezüglich auch, dass es bei den Nicht-Portugiesinnen eine Ausnahme bildet, wenn Frauenfiguren über ihre Ehemänner definiert und beschrieben werden. Es ist sogar eine gewisse Umkehrung zu erkennen, denn teilweise übernehmen die Nicht-Portugiesinnen die Funktion über die Geschichte oder das Wesen ihrer Ehemänner zu erzählen (Hannah, Senhora Grünbaum). Diese Rolle wird den Frauenfiguren vor allem durch die Umstände im Exil zuteil. Außerdem beschweren sich die Nicht-Portugiesinnen, denen Missstände natürlich stärker auffallen müssen als den Portugiesinnen, öfter über die patriarchalen, veralteten Strukturen im Land. (Hannah, Irma Mündel, Vera Lindomonte und ihre Tochter). Bei fünf der analysierten Figuren liegt eine Mischform aus indirekter und direkter Inszenierung vor, das heißt sie wurden entweder gleich oft direkt und indirekt beschrieben oder sie kamen in wenigen, aber die indirekte Beschreibung Josés ausgleichenden, Aussagen zu Wort. Es ist allerdings in allen Fällen eine Tendenz zur direkten Inszenierung erkennbar. Die Mischformen sind bei den Portugiesinnen hauptsächlich bei Frauen zu finden, die nicht den Gesellschaftsnormen entsprechen (Dona Branca, Maria) oder sich durch ihre Neugier und den Umgang mit Leuten wie José langsam emanzipieren, ihre Vorurteile und die von der Gesellschaft vorgegebene Verhaltensweisen ablegen (Dona Ambrosina, Teresa). Bei den Nicht-Portugiesinnen sind die Mischformen interessanterweise eher bei der älteren Generation (Waltraut, Irma Mündel) vertreten. Vier der analysierten Figuren, allesamt Nicht-Portugiesinnen (die beiden Lindomontes, Hannah Mündel, Liesel), können als rein direkte Inszenierungsform gesehen werden. Ihre eigenen Aussagen überwiegen gegenüber den indirekten Beschreibungen Josés oder enthalten mehr persönliche Information als dessen Aussagen. Auch dieses Ergebnis zeigt, dass die Nicht-Portugiesinnen durch ihre Erziehung, das Leben und ihr ehemaliges Umfeld in fortschrittlicheren, liberaleren europäischen Ländern bereits emanzipierter und aufgeschlossener waren, als die Portugiesinnen, und sich nicht über das portugiesische Ideal der leisen, sittsamen und zu Hause bleibenden Frau definierten. 107 Im Interview mit Losa spricht Engelmayer die vielen positiven, bestimmenden Männerbilder in ihren Romanen an. 422 Tatsächlich gibt es aber zumindest in Losas Roman Sob Céus Estranhos, der als ein sehr maskuliner Text erscheint, unterschiedlich inszenierte Frauenfiguren, die teilweise als starke Persönlichkeiten bezeichnet werden können. Erst durch die Analyse des Romans sieht man, dass Losas Frauenrollen gar nicht so schwach sind, wie sie vielleicht auf den ersten Blick scheinen mögen. Zwar sind viele der Charaktere tatsächlich leidend und unterdrückt (die Frauen Sousas, Senhor Ribeiro Pintos Ehefrau, etc.), doch es gibt auch starke, von der Gesellschaft gemiedene oder ausgegrenzte Figuren (Dona Branca, Teresa, Maria, etc.). Um ihren Lesern und Leserinnen sowie deren Erwartungshorizont ein realistisches Bild der portugiesischen Lebensumstände zu vermitteln, musste Losa allerdings auf einen männlichen Protagonisten zurückgreifen. Eine weibliche Protagonistin, die Kaffeehäuser besucht und sich nach Einbruch der Dunkelheit noch auf der Straße aufhält, wäre für die portugiesischen Rezipienten nicht vorstellbar und im damaligen Portugal sicher ein Skandal gewesen. Abgesehen davon wäre eine solche Beschreibung möglicherweise als fantastische Erzählung abgetan worden, entsprach es doch nicht der herrschenden Sozialform. Man muss Losa also zugestehen, dass sie nur durch einen männlichen Focalizer alle Bereiche des portugiesischen Lebens und dem der Emigranten beschreiben kann. Dieser Kunstgriff der indirekten Inszenierung von Frauenstimmen schafft ein detailliertes, realistisches Bild des damaligen Portugals, seiner Bewohner und Sitten, aber auch seiner Frauen. 422 Vgl. Engelmayer: „Denn Sprache ist ja Heimat“, S. 63. 108 8. Literaturverzeichnis 8.1. Primärliteratur Losa, Ilse: Sob Céus Estranhos. Porto: Edições Afrontamento 42000. Losa, Ilse: Unter fremden Himmeln. Roman. Von der Autorin aus dem Portugiesischen übersetzt und überarbeitet. Freiburg: Beck & Glückler 1991. 8.2. Sekundärliteratur Babka, Anna: Feministische Literaturtheorien, in: Sexl, Martin (Hg.): Einführung in die Literaturtheorie. Wien: WUV 2004, S.191-222. Bernecker, Walther L. und Horst Pietschmann: Geschichte Portugals. Vom Spätmittelalter bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck 22008. Butler, Judith: Gender Trouble. Feminism and the subversion of identity. New York, London: Routledge 1990. Butler, Judith: Performative Akte und Geschlechterkonstitution. Phänomenologie und feministische Theorie. In: Wirth, Uwe (Hg.): Performanz. Zwischen Sprachphilosophie und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2002, S. 301-322. Fludernik, Monika: Erzähltheorie. Eine Einführung. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 32010. Genette, Gérard: Die Erzählung. Paderborn: Wilhelm Fink 32010. Gruber, Doris: Das Exil als Schreiberfahrung und literarisches Thema im Werk von Ilse Losa, Stella Rotenberg und Ruth Tassoni. Diplomarbeit. Universität Wien 1998. 109 Guimarães, Elina: Mulheres Portuguesas ontem e hoje. Cadernos condição feminina n.° 24. Lissabon: Comissão da Condição Feminina 31989. Hammer, Gerd: Fluß ohne Brücke. Das Schreiben der Ilse Losa. In: Thorau, Henry (Hg.) unter Mitarbeit von Marina Spinu: Portugiesische Literatur. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1997, S.428-439. 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É possível que tanto esse período, como a situação diferente da mulher entre Alemanha e Portugal manifestem-se na obra de Losa. Com respeito a esses factos, um romance tão masculino como no caso de Sob Céus Estranhos torna-se ainda mais interessante para uma análise de aspectos femininos. Perguntas que surgem são, por exemplo: Há, em primeiro lugar, vozes femininas no romance? Como é que essas vozes são apresentadas? Há, neste texto, também um olhar feminino às coisas apesar de o narrador ser masculino? A sociedade portuguesa daquela época era menos emancipada do que outras sociedades europeias, por isso há também a hipótese de que há uma diferença entre o modo de encenação das Portuguesas e das Não-Portuguesas. Para diferenciar entre os vários modos de encenação, uma análise das figuras femininas, tanto de origem portuguesa quanto de origem estrangeira, será feita. O objectivo do relatório apresentado será, portanto, uma análise em vista dos modos de encenação literária das vozes femininas do romance. A primeira parte do trabalho é composta por quatro capítulos de teoria. Esses são o estado da questão, em que os textos utilizados são apresentados e descritos. Em seguida, há dois capítulos sobre a biografia de Ilse Losa, primeiro sobre a sua vida e, em segundo lugar, sobre a sua obra e as suas temáticas. O terceiro capítulo é um excurso na área da história de Portugal. Lá encontra-se um resumo dos eventos que lideram a revolução de 1910, dos anos da Primeira República, do início da ditadura militar e do período do Estado Novo até a Revolução dos Cravos em 1974. Uma segunda parte trata do papel da mulher nos anos da 114 ditadura para entender melhor qual foi o impacto dessa opressão na autora Losa e nos seus textos. Estado da Questão No capítulo sobre o estado da questão há um estudo das fontes secundárias sobre os aspectos seguintes: em primeiro lugar, as fontes sobre Ilse Losa serão apresentadas, porque a pesquisa nessa área tem início só no fim dos anos 80 e especialmente nos últimos anos monografias interessantes foram escritas. Os dois outros aspectos dos quais há uma listagem das fontes são as obras sobre a teoria da literatura feminista e da narratologia, úteis para a pesquisa e o estudo da temática; são alegados, particularmente, os textos Gender trouble de Judith Butler, Le Deuxième Sexe de Simone de Beauvoir e Nouveau discours du récit de Gérard Genette. Informações biográficas Biografia de Ilse Losa Ilse Losa, nascida Ilse Lieblich, nasceu em 1913 em Buer/Alemanha e morreu em 2006 no Porto/Portugal. Teve mais dois irmãos. A família mudou-se para Melle mas Ilse ficou com os avós. Em 1919, Losa voltou a viver junto com os seus pais. Isso marcou uma primeira ruptura na vida da menina. O pai morreu em 1930 e Losa teve de deixar a escola. A mãe abriu uma pensão e Losa foi a uma escola comercial. Em seguida foi para a Inglaterra onde tirou um curso de inglês e trabalhou como au pair. O trabalho com as crianças motivou o interesse de Losa, não só em puericultura, mas também em literatura juvenil e infantil. Nesse tempo começou a escrever: inicialmente foram apontamentos sobre as suas experiências e observações do dia-a-dia; logo redigiu curtas histórias. De volta à Alemanha, Losa encontrou trabalho num hospital em Hanôver. Já em 1933, com a tomada do poder por Hitler, perdeu o seu posto de trabalho. Conseguiu arranjar um emprego em Berlim e só um ano depois teve de deixar a Alemanha. A razão pela fuga foi uma carta escrita por Losa, em que ela chamou Hitler de criminoso, foi interceptada. Depois de um 115 inquérito de várias horas foi deixada livre e decidiu fugir para Portugal onde um irmão e um tio já viviam. Não se adaptou a todas as convenções, mas integrou-se relativamente bem. No princípio trabalhava como criada para as crianças e dava aulas de alemão. Em 1935 casou-se com o arquitecto Arménio Taveira Losa e tiveram duas filhas: Alexandra, em 1938, e Margarida, em 1943. Ao fim da Segunda Guerra Mundial Losa ficou em Portugal. Nos anos seguintes trabalhou em vários postos de trabalho, entre outras como tradutora, professora e como leitora na Editora Livros do Brasil. E, primeiro para curar uma depressão, começou a escrever outra vez. Esforçada pelo marido e amigos publicou o primeiro romance O Mundo em que Vivi em 1949 escrito em português. Foi um grande êxito e animou Losa a escrever mais dois romances, várias narrativas para adultos e crianças, mas também poemas, short stories, et cetera. Na Alemanha tornou-se conhecida só nos anos 90 quando os dois romances O Mundo em que Vivi e Sob Céus Estranhos foram traduzidos. Obra de Ilse Losa A obra de Ilse Losa tem várias temáticas que são, segundo Engelmayer e especialmente nos textos narrativos 423, o universo dos exilados/emigrantes e todas as suas experiências e aspectos (Integração, Solidão, etc.), o mundo dos jovens e das crianças e histórias em que muitas vezes se trata de destinos individuais ou femininos vividos no contexto da realidade portuguesa. Em vista do romance Sob Céus Estranhos nota-se que o tema principal é o exílio. Ao analisar o texto, será outrossim controlado se a temática do destino feminino também é usada. Informações históricas Da Monarquia ao Estado Novo O Salazarismo e o Estado Novo formam o núcleo histórico do romance Sob Céus Estranhos. Para analisar o texto é importante entender o tempo em que a narrativa tem lugar. Durante o 423 Vgl. Engelmayer: Vom Anderssein, S. 64. 116 período do Estado Novo, Portugal foi um país atrasado e o papel da mulher foi, por décadas, pouco emancipado. Já nos tempos da Monarquia, que acabou com uma revolta em 1910, havia grandes problemas como o analfabetismo e a pobreza. Mas os políticos da Primeira República (1910-1926) não conseguiram melhorar a situação nem criar uma certa estabilidade. Durante os 16 anos da República houve 44 governos, sete eleições para parlamento e oito presidentes do Estado. Também os outros problemas seguiram na mesma, a taxa de analfabetismo, por exemplo, era extremamente alta, os sistemas de saúde e educação não foram patrocinados, o povo vivia em miséria. Todos esses aspectos, também a Primeira Guerra Mundial, ajudaram a enfraquecer o sistema político e o poder do Partido Democrático. Em 1926 houve outra revolução, que resultou numa ditadura militar sob Óscar António de Fragoso Carmona. Salazar, que se tornou Primeiro Ministro em 1932, começou como Ministro das Finanças e conseguiu liquidar todas as dívidas do país até 1939. Essa austeridade causou também o desprezo do país, especialmente da classe baixa. Como meios de opressão, o Estado Novo utilizou entre outros um campo de concentração nas ilhas de Cabo Verde, aberto entre 1936 e 1974, e a Polícia de Vigilância e Defesa do Estado (PVDE), mais tarde Polícia Internacional e de Defesa do Estado (PIDE), que se orientou na Gestapo da Alemanha. Quando teve um acidente vascular cerebral em 1968, Salazar foi sucedido por Caetano. Caetano tentou salvar o ruinoso sistema político mas no dia 25 de Abril de 1974 aconteceu a conhecida Revolução dos Cravos que deu início ao futuro de Portugal como país democrático. O papel da mulher no Estado Novo Como toda a política do Estado Novo, também o mundo e o papel da mulher foram muito atrasados e restritos. Já no século XIX., o papel da mulher foi restrito a casa, a família e a enfermagem. De 1867 a 1967 havia praticamente o mesmo Código Civil – o Código de Seabra – que significava pelas mulhers não ter muitos directos. Por exemplo: mulheres tinham de viver com o marido, não deviam votar, não tinham guarda de filhos quando o pai morreu, etc. A Primeira República reformou algumas partes do Código Civil, intruduziu por exemplo um novo directo de divórcio em 1910. Mas com o Estado Novo e o Código de Processo Civil do ano 1939 todas essas renovações foram desavisadas, como o casamento civil. De 1931 a 1974 117 só mulheres que frequentavam a escola secundária ou um curso universitário tinham a autorização para votar. O papel da mulher no Estado Novo também foi concentrado ao lar e a família, mas mulheres solteiras podiam trabalhar. Por causa do alto desemprego, as profissões também foram limitadas, como por exemplo os trabalhos ligados às substâncias tóxicas. Além disso as mulheres precisavam uma autorização do marido se quisessem trabalhar. Mulheres Solteiras precisavam, em contrapartida, uma autorização do estado se quisessem casar. Assim a vida privada e social das mulheres ficou por muito tempo restrita: cafés só pelos homens, cinema ou confeitaria só em companhia de membros de família, ficar em casa depois do jantar, à rua só com lençol ou chapéu e meias. Uma situação que só melhorou quando os emigrantes da Segunda Guerra Mundial vieram para Portugal e com eles uma certa modernidade. Talvez essas restrições, essa vida restritiva cale as figuras femininas no romance Sob Céus Estranhos porque são tão marginalizadas. Abordagem teórica Para uma compreensão extensiva do tema é obvio que só a análise do romance não basta. Por uma aproximação ao tema e um melhor entendimento apliquei teorias especialmente da literatura feminista e da narratologia. No caso das teorias feministas, dou um resumo das mais importantes correntes e focaliza nas teses de Judith Butler e Simone de Beauvoir. A área da narratologia concentra-se à focalização de Gérard Genette. Teoria literária feminista Esta parte engloba os desenvolvimentos das teorias feministas e os mais importantes e conhecidas correntes da teoria literária feminista – como por exemplo a ecriture féminine de Hélène Cixous ou parler femme de Luce Irigaray. Mas, concentra-se em particular com as teses de Judith Butler no texto Gender Trouble que diz respeito à obra Le Deuxième Sexe de Simone de Beauvoir. Em contrapartida a Beauvoir, Butler faz a diferença entre os termos sex e gender. Sex é utilizado como termo para o sexo biológico, o termo gender denomina um sexo construído 118 pela cultura. Quer dizer, que uma mulher é definida por uma cultura quase sempre masculina. Segundo Butler ser mulher significa o processo de adaptar-se a uma ideia histórica do termo mulher. Em vista do romance relativamente masculino de Losa essa tese vai ajudar à diferenciar entre os modos de encenação. Põe em questão se as mulheres vão falar de si próprias ou se só são descritos/falam por meio dos homens. Narratologia A parte sobre a teoria da narratologia concentra-se no termo focalização de Gérard Genette que foi introduzido para concretizar a perspectiva dum texto. Textos podem ter diferentes tipos de focalização: • A focalização zero tem lugar num texto em que há um narrador omnisciente que sabe os pensamentos e emoções de todas as personagens. • A focalização interna é ligada a uma figura que conta o que sabe. Os pensamtos das outras personagens não são incluídos. No caso da focalização interna há, seguindo Genette, mais três modos: o A focalização variável designa um texto em que o narrador muda e uma outra pessoa torna-se narrador. o A focalização múltipla é o caso quando um certo evento é contado da perspectiva de várias figuras. o A focalização fixa descreve que a perspectiva narrativa é, em todo o texto, a mesma e não muda. • A focalização externa é ligado a uma narrativa em que só o enredo do texto é contado. Não existem emoções ou pensamentos das personagens, nem do narrador. Em termos do romance Sob Céus Estranhos trata-se de uma focalização interna variável porque o narrador pessoal dos capítulos 1 e 30 e também no epílogo é variado com o monólogo do protagonista José Montanha. As emoções e pensamentos do protagonista José sempre são mencionados enquanto não há uma introspeção das outras personagens. Em vista disso, José/o narrador só contam coisas que foram contados por eles. 119 Encenação literária das mulheres no romance Sob Céus Estranhos A análise do romance é composta por duas partes. Na primeira parte as figuras femininas portuguesas são analisadas, na segunda parte as da origem estrangeira, na maioria da Alemanha e Áustria. Foi difícil encontrar uma categoria para englobar tanto as mulheres do passado de José na Alemanha, que ainda são importantes ou lembranças caras dele, quanto as refugiadas em Portugal. Por isso os termos de Portuguesas e Não-Portuguesas são aplicados aos dois grupos. Portuguesas Figuras portuguesas analisadas neste capítulo são: a mulher do Senhor Ribeiro Pinto, as mulheres de Sousa (Dona Maria da Piedade, Dona Maria da Liberdade, Maria Paula, Luísinha, Elvira), Dona Branca, Teresa, Maria, Dona Ambrosina e Dona Alice, Nazaré, a mãe de Gil, a irmã de Gil, a mulher de Luís, a mulher do secretário do consulado americano, Dona Beatriz e Dona Maria do Céu. O resultado em vista das figuras portuguesas é que em quinze de dezoito casos foi utilizado uma encenação indirecta. Parcialmente, estas mulheres nem dizem uma única palavra (Dona Beatriz, a mulher de Luís, a mulher do Senhor Ribeiro Pinto) e quando falam não dizem nada sobre as suas emoções ou opiniões. Os outros três personagens (p.e. Dona Branca, Teresa, Maria) mostram uma certa mistura entre encenação directa e indirecta, com tendência a directa. Mas também nestes casos as mulheres são descritas por José ou o narrador pessoal. A razão pela maioria das encenações indirectas é associada com as tradições e normas da sociedade portuguesa. Marcante é o facto que mulheres que rompem com as tradições e não actuam conforme à norma (Dona Branca, Teresa, Maria, Dona Ambrosina) são encenadas mais directas que as “mulheres típicas portuguesas” (mulher de Senhor Ribeiro Pino, as Sousas). Concretiza-se a teoria de Judith Butler: na maioria das figuras não são as mulheres que se definem, mas sim os homens/maridos/o narrador pessoal/José. As mulheres muitas vezes são 120 descritas ou “feitas” por meio das afirmações deles. Em resumo as Portuguesas parecem caladas, mudas e não muito aberto. Não-Portuguesas Figuras portuguesas analisadas neste capítulo: Waltraut, Liesel, as Lindomontes (Vera Lindomonte e sua filha), as Mündels (Irma e Hannah), Rosemarie Grünbaum, a Senhora Teich, a Austríaca e Elfe. O resultado da análise das dez figuras não-portuguesas mostra quatro encenações directas e quatro indirectas, assim como dois casos em que há outra vez uma mistura das encenações indirecta-directas. Em geral, nota-se uma tendência mais forte pela encenação directa do que nas figuras portuguesas. Também há diferenças entre Não-Portuguesas e Portuguesas quanto ao número de actos de fala. Todas as figuras femininas, tanto as encenadas com um modo indirecto como directo, dizem pelo menos uma vez qualquer coisa. As mulheres têm força de vontade e contradizem muitas vezes nas conversas com outras pessoas. Marcante é também que, no caso das mulheres não-portuguesas, há algumas que falam sobre a situação dos maridos e que os descrevem (Hannah, Senhora Grünbaum) – uma situação que não se passa com as mulheres portuguesas que são descritas pelos homens. Estes resultados sustentam a teoria que a encenação indirecta é menos utilizada na descrição das mulheres não-portuguesas. Uma razão pode ser o tempo passado em países diferentes, mais liberais e modernos do que em Portugal. Elas já experimentavam outras tradições e normas e não se podiam definir sobre o papel português da mulher. Se calhar essas mulheres ilustram bem a situação de Ilse Losa. Outra coisa é que essas figuras vêem o inconveniente da política e do quotidiano português e abordam-nos. Também nelas concretiza-se a teoria de Judith Butler porque elas só são integradas quando aceitam as tradições e normas portuguesas e o papel da mulher tão diferente. Em resumo, as Não-Portuguesas parecem mais emancipadas do que as figuras portuguesas, o que se vê nas conversas e actos: fumam (Hannah), bebem (Elfe), sortem (Hannah, Österreicherin, Liesel) e trabalham (Hannah, Waltraut, Österreicherin). 121 Conclusão No meu trabalho cheguei à conclusão que há nem só umas fortes vozes/figuras femininas mas também uma diferença entre as figuras portuguesas e não-portuguesas. 19 de 28 personagens analisadas podem-se relacionar com uma encenação indirecta. Todas as Não-Portuguesas encenadas indirectas fazem pelo menos uma vez o uso da palavra: elas falam, conversam e discutem. Em contrapartida, não todas das Portuguesas com encenação indirecta falam. Na verdade muitas delas estão caladas. Cinco figuras portuguesas rompem com este sistema e mostram uma tendência à encenação directa. É interessante que essas mulheres são ou excluídas pela sociedade (prostitiução, oposição política) ou interessadas em coisas modernas, novas e estrangeiras. Esse facto está de acordo com as teorias sobre os termos sex e gender de Judith Butler. Quatro das figuras femininas, todas Não-Portuguesas, mostram uma encenação directa. Também este resultado mostra a forte influência da cultura e sociedade em que elas foram criadas. Esse facto está de acordo com as teorias sobre os termos sex e gender de Judith Butler. Quatro das figuras femininas, todas Não-Portuguesas, mostram uma encenação directa. Também este resultado mostra a forte influência da cultura e sociedade em que elas foram criadas. Já são personalidades que não se podem ou querem definir sobre o ideal antiquado da mulher portuguesa. Ao termos esses resultados, podemos dizer que um Focalizer masculino como José foi um artifício necessário para possibilitar um romance mais próximo possível à realidade portuguesa deste tempo. 122 9.2. Deutsche Zusammenfassung Die hier vorgelegte Diplomarbeit behandelt die literarische Inszenierung von Frauenstimmen im Roman Sob Céus Estranhos (1962) der deutsch-portugiesischen Autorin Ilse Losa. Da die Autorin als Jüdin vor dem Nazi-Regime nach Portugal fliehen musste und dort mit dem patriarchalen System des Estado Novo (1932-1974) konfrontiert wurde, hat sie sich in ihrem teilweise autobiografischen Werk oft mit dem Schicksal der Exilierten, aber auch dem der Frauen beschäftigt. In dieser Kombination bietet sich der Roman Sob Céus Estranhos besonders für eine Analyse an, da er durch den männlichen Erzähler/Protagonisten zu einem sehr maskulinen Text wird, dem man auf dem ersten Blick nichts Feminines ansieht. Es stellt sich daher die Frage, ob in dem Roman Frauenstimmen vorkommen, wie sie sich manifestieren oder ob der Texte möglicherweise eine rein männliche Sicht der Dinge wiedergibt. Es wird die Geschichte von Josef Bergers/José Montanhas Leben im Exil erzählt. Er trifft dort sowohl auf Frauen aus Portugal als auch anderen europäischen Ländern. Die Bekanntschaften mit so unterschiedlichen Frauenfiguren lässt zudem die Hypothese zu, dass in der Inszenierungsart von Portugiesinnen und Nicht-Portugiesinnen ein Unterschied feststellbar sein könnte. Im Zentrum der Arbeit steht dabei eine eingehende Figurenanalyse in Hinblick auf das Auftreten von direkten und indirekten Inszenierungsformen. Bevor jedoch die Analyse am Text möglich ist, beschäftigt sich die Arbeit mit Ilse Losas Leben und Werk, da gerade die Erlebnisse der Flucht und des Exils für die Autorin und ihr literarisches Schaffen prägend waren. Darauf folgend wird ein Überblick über den historischen Hintergrund gegeben, der sowohl für das Verständnis der Autorin als auch des Romans essentiell ist. Dabei sollen die Ereignisse die zum Estado Novo führten und daraufhin auch auf die Rolle, die der portugiesischen Frau während der Diktatur zuteilwurde, aufgezeigt werden. Das letzte Theoriekapitel bietet eine Übersicht der für die Arbeit wichtigen Ansätze der feministischen Literaturtheorie und der Erzähltheorie, besonders in Hinblick auf Butlers Gender Trouble und Beauvoirs Le Deuxième Sexe sowie dem Begriff der Fokalisierung von Gerard Genette. Den Hauptteil der Arbeit stellt die eingehende Analyse der Frauenstimmen/Frauenfiguren in Sob Céus Estranhos. Es wird untersucht, inwiefern die Frauenstimmen direkt oder indirekt inszeniert werden, wie und was der Rezipient über die Figuren erfährt. 123 10. Lebenslauf ANGABEN ZUR PERSON Name: Staatszugehörigkeit: Julia Holzschuh Österreich AUSBILDUNG seit 2007 Studium der Deutschen Philologie an der Universität Wien seit 2006 Studium der Romanistik (Portugiesisch) an der Universität Wien 1998-2006 Klemens-Maria-Hofbauer Gymnasium, Katzelsdorf 1994-1998 PVS Santa Christiana, Wiener Neustadt AUSLANDSAUFENTHALTE Studienjahr 2009/10 Zwei Auslandssemester im Zuge des Romanistik-Studiums an der Universidade Nova de Lisboa, Portugal Sommer 2008 Österreichisch-portugiesisches Sommerkolleg in Colares, Portugal Sommer 2007 Österreichisch-portugiesisches Sommerkolleg in Payerbach, Österreich BERUFSERFAHRUNG (AUSWAHL) 2012/2013 NMS Purkersdorf Portugiesisch-Workshop (Jän., Sept., Jän.) à 4 Stunden Juli 2011-laufend Communication Systems International GmbH Medienauswerterin / Übersetzerin für brasilianische Medien SPRACHEN Deutsch Englisch Portugiesisch Französisch Spanisch 124 Muttersprache Sehr gut in Wort und Schrift Sehr gut in Wort und Schrift Gute Kenntnisse in Wort und Schrift Grundkenntnisse